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1978: Fußball-Show trifft auf Regime-Folter

Argentiniens Kapitän Daniel Passarella nimmt den Siegerpokal von Diktator Jorge Rafael Videla (l.) entgegen
Argentiniens Kapitän Daniel Passarella nimmt den Siegerpokal von Diktator Jorge Rafael Videla (l.) entgegen
16. Juni 2018, 08:41
sport.de
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Alle vier Jahre wird bei WM-Endrunden Geschichte geschrieben. Während der Weltmeisterschaft in Russland erinnert sport.de an kuriose Ereignisse und unvergessene Momente. Heute: Die Skandal-WM in Argentinien.

Ein menschenverachtendes Regime, fußballbegeisterte Folterer, 30.000 "Verschwundene", eine Nazi-Größe im deutschen Lager und eine moralisch flexible FIFA-Führung: Die WM 1978 ging als eines der skandalösesten Turniere aller Zeiten in die Geschichte ein.

Der Fußball hat in seiner Vergangenheit viele dunkle Stunden erlebt. Kaum eine war dunkler als jene im Jahr 1978, als die Fußball-Weltmeisterschaft in Argentinien ausgetragen wurde. Zwei Jahre zuvor hatte das Militär die Macht im Land gewaltsam an sich gerissen. Unter der Führung von Kommandant Jorge Rafael Videla griff die neue Regierung rigoros durch und schreckte auch vor Morden nicht zurück.

Inoffiziellen Angaben zufolge wurden 30.000 Regime-Gegner in geheimen Haftanstalten interniert und systematisch zu Tode gefoltert. Dass die selbst ernannte Regierung als Gastgeber der Weltmeisterschaft fungieren sollte, rief vielerorts eine Welle der Empörung hervor. Nicht so in den Gremien der FIFA. Präsident Joao Havelange frohlockte gar, Argentinien sei erst durch die Übernahme der Junta in der Lage, das Turnier auszurichten.

DFB spielt und schweigt

Auch das deutsche Lager gab im Vorfeld der WM keine gute Figur ab. Als die Albiceleste 1977 zu einem Freundschaftsspiel in Deutschland antrat, wusste DFB-Präsident und FIFA-Vize Hermann Neuberger bereits, dass die deutsche Austauschstudentin Elisabeth Käsemann durch die Hände von Videlas Schergen den gewaltsamen Tod fand. Neuberger hielt die Information wissentlich zurück. Erst zwei Tage später gelangte die Tragödie an die Öffentlichkeit.

Auch andere Entscheidungen der damaligen DFB-Spitze sind heute nur schwer nachzuvollziehen. Hierunter fallen die Nichtberücksichtigung von Uli Stielike und Franz Beckenbauer sowie die Weigerung, Amnesty International den Zugang zum deutschen Lager zu gewähren.

Auf Besuch musste die deutsche Delegation jedoch nicht gänzlich verzichten: Es heißt, der in Südamerika untergetauchte Nazi-Oberst Hans-Ulrich Rudel war ein oft gesehener Gast im WM-Quartier.

Der Lüge folgt der Jubel

Um die Öffentlichkeit zu beruhigen und aus Furcht vor dem WM-Boykott einiger Nationen, verkündete General Videla pünktlich zur WM das Ende des Kampfes gegen den vermeintlichen Terror. Die Realität sah anders aus. Damit man der Welt ein "sauberes" Argentinien präsentieren konnte, wurden Elendsviertel gewaltsam aufgelöst und ihre Bewohner zum Teil gefoltert. Mit dem gewünschten Erfolg: Alle qualifizierten Nationen nahmen am Turnier teil.

Sportlich übertraf der Verlauf der Weltmeisterschaft alle Erwartungen des Regimes. Die "Albiceleste" zog mit dem alles überstrahlenden Mario Kempes nach einem fragwürdigen 6:0 gegen Peru ins Endspiel ein.

Im Finale empfingen die Argentinier im brodelnden Estadio Monumental den amtierenden Vize-Weltmeister aus den Niederlanden. Die unbändigen Jubelschreie der 77.260 Fans peitschten Argentinien schließlich zu einem 3:1-Erfolg und dem ersten WM-Titel.

700 Meter zwischen Freud und Leid

Nur 700 Meter von der Stätte des sportlichen Triumphes entfernt erfüllte eine ganz andere Art von Schreien die Sommerluft. Noch heute liegt die ESMA, die größte Haftanstalt der Diktatur, mahnend im Schatten des Stadions. Während der Zeit der Terrorregierung wurden hier ca. 5000 Männer, Frauen und Jugendliche meist bis zum Tode gefoltert.

Am Abend nach dem Sieg umarmte Chef-Folterer Jorge Acosta jeden der Eingekerkerten und schrie: "Wir haben gewonnen, wir haben gewonnen!" - "Wenn er gewonnen hat, haben wir doch verloren", beschrieb die Überlebende Graciela Daleo Jahre später ihren ersten Gedanken.

Eine Mischung aus Stolz und Scham

Außerhalb der Gemäuer feierten die Spitzen von FIFA und Regime die "erfolgreiche" WM. FIFA-Präsident Havelange schockierte erneut, indem er verkündete, nun habe man das wahre Gesicht Argentiniens gesehen. Im Gegensatz zur Verbandsführung ließen sich die Spieler jedoch nicht vom Schein blenden.

Argentiniens Trainer César Luis Menotti sowie die niederländische Nationalmannschaft verweigerten General Videla nach dem Finale den symbolischen Handschlag. Menotti betonte, man habe für das gebeutelte Volk, nicht für die Ausbeuter gespielt.

Trotzdem hinterließ der Titel einen faden Beigeschmack, eine seltsame Mischung aus Scham und Stolz.

Marc Affeldt

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