Martin Schmitt sieht in den Anzug-Vorwürfen aus Polen gegen die deutschen Skispringer bei der WM in Trondheim nicht mehr als das handelsübliche Material-Geplänkel. Im Interview mit sport.de nennt die Skisprung-Legende Gründe für die starken Leistungen der DSV-Adler im ersten Wettkampf - für das Springen von der Großschanze hat er allerdings nur einen Deutschen auf dem Zettel.
"Es ist immer so: Wenn jemand gut springt, laufen die ganze Saison hinter den Kulissen die Diskussionen darüber. Die, die auf dem Podest sind, beklagen sich in der Regel nicht, aber andere finden Punkte, die sie kritisieren", kommentierte Martin Schmitt bei sport.de die Vorwürfe aus Polen, Karl Geiger sei beim Springen von der Normalschanze mit einem irregulären Anzug angetreten.
Das Portal "sport.pl." schrieb von einem "monströsen Anzug" Geigers, der Wettkampf sei dadurch zu einem "kompletten Skandal" verkommen.
Auch Schmitts einstiger Rivale Adam Malysz stimmte in den Chor der Anklage ein: "Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich meine, das ist doch offensichtlich. Es ist sehr seltsam", sagte der Präsident des polnischen Ski-Verbandes der Zeitung "Przeglad Sportowy".
Kernpunkt der Aufregung: Auf den TV-Bildern war deutlich zu erkennen, dass sich an Geigers Anzug vor dem Anlauf eine Beule im Schritt bildete. Auch nach seiner Landung war diese zu erkennen. Laut Regelwerk darf sich der Stoff um nicht mehr als vier Zentimeter vom Körper abheben.
"Es ist schon so, dass man je nach Schnitt hier und da mal eine Falte erkennen kann, je nachdem, wie die Aufnahme ist. Ich hatte den Eindruck, dass sich die Anzüge der Topteams ziemlich ähneln und da wenig Unterschiede sind", sagte Schmitt: "Man findet genauso Einstellungen und Bilder, in denen der polnische Anzug sehr groß aussieht – aber der ist zurzeit eben nicht im Fokus."
Skispringen: Mehrere große Namen schon disqualifiziert
Eine Weile seien Material-Vorwürfe aus Norwegen gekommen, erinnerte Schmitt an den bisherigen Saisonverlauf. "Von dort hört man jetzt weniger - verständlich bei den Ergebnissen", spielte der zweimalige Weltmeister auf Marius Lindviks Goldmedaille beim Springen von der kleinen Schanze an. "Polen ist natürlich hinten dran", vermutet Schmitt auch sportliche Enttäuschung hinter den Vorwürfen.
Geigers Anzug sei kontrolliert und geprüft gewesen, sagte Schmitt und verwies darauf, dass in der Weltcup-Saison "mehrere Springer, auch Spitzenspringer schon disqualifiziert wurden: Stefan Kraft hat es erwischt, Timi Zajc, Domen Prevc, also auch namhafte Athleten. Es wird also kontrolliert."
Wenn es auf der Schanze nicht laufe, suche man nach Erklärungen für die Misere. "Das deutsche Team hat während der Tournee auch gehadert. Da ging auch der Blick nach außen, dann ist Unruhe im Team, man fragt sich, ob man beim Material was verpasst hat", so der zweimalige Gesamtweltcupsieger.
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Er habe die Probleme der DSV-Adler im Januar allerdings "im sprungtechnischen Bereich lokalisiert", erläuterte Schmitt. "Da haben die Jungs in den vergangenen Wochen sehr intensiv gearbeitet, dass sie einfach wieder über ihre Qualität kommen, dass man vielleicht sogar weniger auf die Aerodynamik achtet, sondern mehr auf die Absprungqualität, um zu seinen Stärken zurückzufinden."
Bei Andreas Wellinger sei schon bei den Wettkämpfen vor der WM erkennbar gewesen, "dass er technisch deutlich besser gesprungen ist", sagte Schmitt, der die Titelkämpfe in Norwegen für "Eurosport" analysiert. "Mit der letzten Trainingsphase hat er noch mehr Sicherheit bekommen und eine deutlich höhere Qualität in seine Sprünge reinbekommen."
Skisprung-WM: Funktioniert das DSV-System auch auf der Großschanze?
Wellinger gewann auf dem kleinen Bakken Silber, Geiger wurde Vierter. "Man wusste um die Qualitäten. Ein sauberes Abdruckverhalten vom Schanzentisch ist die DNA der deutschen Mannschaft, da legt Stefan Horngacher großen Wert drauf, dass man viel Wirkung in seinen Sprung bekommt und einen hocheffizienten Absprung hat. Da hat die Pause jetzt gutgetan, auch, um auf einer kleinen Schanze zu trainieren, um die Absprung-Intensität zu erhöhen", begründete Schmitt das gute Abschneiden.
Video: Wellinger springt zu Silber
Die Herausforderung für die Deutschen bestehe nun darin, "das auch auf der großen Schanze umzusetzen". Er sei mit Blick auf den zweiten Einzel-Wettkampf "verhalten optimistisch", sagte Schmitt. Wellinger könne sein System auch auf dem großen Bakken entfalten.
"Er hat offenbar etwas gefunden, dass er wieder 'leicht' wird nach dem Absprung, wie er sagt, dass sich sein System schön schließt, also viel Wirkung in seinem Sprung ist. Wenn er Energie in seinem Sprung hat – er kann damit umgehen, definitiv", so Schmitt. "So stabil wie Wellinger gesprungen ist, sollte das Ganze auf der Großschanze auch funktionieren."
Bei Geiger dagegen sei "das Ganze etwas fragiler". Der Bayer habe auf der kleinen Schanze dank "einer unglaublichen Konzentrationsfähigkeit und Überzeugung" gute Sprünge gezeigt. "Aber das war ein Kraftakt. Das zweimal zu schaffen, wirf schwer."
Aus dem deutschen Team traut Schmitt daher lediglich Wellinger zu, auch auf der Großschanze um Edelmetall mitzuspringen. Die ersten Trainings-Ergebnisse geben dem "Eurosport"-Experten recht: Wellinger war in den drei Durchgängen mit den Plätzen 17, 22 und 12 bester Deutscher. Geiger enttäuschte mit den Rängen 47, 31 und 30.