Kein Tadej Pogacar? Kein Problem! Auch ohne seinen Superstar greift das Team UAE Emirates-XRG nach dem Gesamtsieg beim Giro d'Italia. Der Mexikaner Isaac del Toro fährt im Rosa Trikot in die Führungsrolle.
Isaac del Toro musste da etwas klarstellen, schließlich sorgt er beim Giro d'Italia unfreiwillig für Verwechslungsgefahr. Seine Positionierung auf dem Rad, die jugendliche Unbekümmertheit, die Leichtigkeit, mit der er Attacken der Rivalen pariert - im Rosa Trikot weckt der Mexikaner dieser Tage Erinnerungen an den besten Radprofi der Gegenwart.
Aber, weit gefehlt! "Ich bin nicht Tadej Pogacar", sagte del Toro, "mein Motor ist kleiner."
Groß genug, die fordernde Schlusswoche der 108. Italien-Rundfahrt als Spitzenreiter in Angriff zu nehmen, ist der Motor des 21-Jährigen dennoch. 1:20 Minuten Vorsprung hat del Toro nach 15 von 21 Etappen auf den Briten Simon Yates.
Zu wenig, um sich bei den bevorstehenden Bergetappen zurückzulehnen. Genug, um Träume vom Triumph in Rom zuzulassen. "Ich muss begreifen, dass ich in der Lage bin, den Giro zu gewinnen", sagte del Toro.
Beim Giro schon jetzt Geschichte geschrieben
Beim Pogacar-Team UAE Emirates-XRG, für das del Toro in die Pedale tritt, sorgt das für eine brisante Situation. Eigentlich wurde "El Torito" als Edelhelfer ins Rennen geschickt, sollte Juan Ayuso, einem weiteren Top-Talent in den eigenen Reihen, zum Gesamtsieg und zur Fahrt aus Pogacars Schatten verhelfen.
Nun aber hat sich del Toro, seit der Gravel-Etappe nach Siena in Rosa, als der bislang stärkere Fahrer erwiesen. Von einer "Luxussituation" spricht Sportdirektor Joxean Fernández. "Natürlich" könne del Toro den Giro gewinnen, Ayuso (+1:26) ist als Dritter aber ebenso noch im Rennen - und dürfte Ansprüche erheben.
Noch liegt der Vorteil bei del Toro. "Das ist alles neu für mich, ich lebe einen Traum", sagte del Toro, der seinen ersten Giro unabhängig vom Endergebnis schon jetzt als Erfolg werten kann: Der Jungstar aus Ensenada an der mexikanischen Pazifikküste ist der erste Radprofi seines Landes, der das Führungstrikot bei einer großen Rundfahrt trägt.
Del Toro besticht mit seiner Rennintelligenz
Seinen sportverrückten Landsleuten ist das nicht verborgen geblieben. Immer häufiger sind beim Giro mexikanische Flaggen am Straßenrand zu sehen. Für seinen Berater Alex Carrera hat del Toro "alles, um der Star von morgen zu werden."
Raúl Alcalá, der einst zwei Etappen bei der Tour de France gewann, sieht in del Toro den kommenden Giro-Sieger. "Er ist dazu bestimmt, große Dinge zu tun", sagte der 61-Jährige der Zeitung Esto.
Del Toro, der im Alter von 15 Jahren nach San Marino zog, legt Wert auf die kleinen Dinge. Seine Rennintelligenz ist eine seiner größten Qualitäten. Del Toro sammelte mit 36 Sekunden die mit Abstand größte Zeitbonifikation aller Klassementfahrer, ist auch deshalb erster Anwärter auf die goldene Siegertrophäe "Trofeo Senza Fine".
Im Vorjahr stemmte sie Tadej Pogacar im Schatten des Kolosseums in die Höhe. Wird Isaac del Toro diese Ehre am kommenden Sonntag zuteil, herrscht auf dem Podium keine Verwechslungsgefahr mehr.