Red Bull und Max Verstappen haben sich mit einem dominanten Sieg in Imola eindrucksvoll zurückgemeldet. Die Wende im WM-Kampf in der Formel 1 gegen McLaren? Im exklusiven Interview mit sport.de äußert sich Mastermind Helmut Marko zurückhaltend und sagt, wann das Kräfteverhältnis wirklich klar wird.
Außerdem verrät der Österreicher, warum Max Verstappen zuletzt strahlte wie lange nicht mehr, und schätzt die Red-Bull-Chancen beim anstehenden Grand Prix von Monaco (das Qualifying am Samstag LIVE bei RTL) ein.
Herr Marko, war Max Verstappens dominanter Sieg beim Rennen in Imola für Red Bull die WM-Wende im Kampf gegen die zuvor scheinbar übermächtigen McLaren?
Da sind wir uns nicht sicher, Imola war sicher streckenspezifisch für uns von Vorteil mit den vielen schnellen Kurven. Aber das Positive war: Nach einem Jahr sich im Kreis drehen haben wir endlich einen Fortschritt im Fahrverhalten gefunden. Max' Ausspruch, 'I‘m happy with the car', haben wir lange nicht mehr gehört. Das Auto – noch nicht am Freitag, aber am Samstag mit den Änderungen an der Abstimmung – war absolut so, wie Max es will. Es ermöglicht ihm, seine Performance entsprechend auf die Strecke zu bringen.
Was war der entscheidende Baustein im Red-Bull-Upgrade für den RB21? Der neue Unterboden?
Es lässt sich nie auf ein Teil reduzieren, sondern es ist die Summe der Teile und die müssen zusammenspielen. Es hilft nichts, wenn der Unterboden funktioniert, man aber die Fahrzeughöhe nicht in einer entsprechenden Konfiguration fahren kann. Da kommen viele Komponenten zusammen.
Verstappen hat seinen zweiten Saisonsieg eingefahren. Wie viele müssen denn dieses Jahr zusammenkommen, damit er eine Chance auf seinen fünften WM-Titel hat?
Es müssen sicher fünf bis sechs Siege sein und das wird gegen McLaren schwer, denn McLaren hat bewiesen, dass ihr Auto auf jeder Strecke, mit jedem Reifentyp, mit jeder Temperatur funktioniert. Bei uns muss alles zusammenpassen und optimal funktionieren, dass wir eine Chance haben. Ich hoffe aber, dass auch Lando Norris wieder zu siegen beginnt und sie sich bei McLaren Punkte wegnehmen. Das müssen wir dann entsprechend nutzen.
Macht ihn seine Tochter Liliy, die vor zwei Wochen zur Welt kam, noch besser, noch schneller?
Lily macht ihn auf jeden Fall nicht langsamer (schmunzelt). Max macht einen zufriedenen, glücklichen Eindruck. Was ihm sehr gefallen hat, war die Nordschleife in einem GT-3-Auto zu fahren, das hat er sehr genossen. Und dass er da schon nach drei Runden den Rundenrekord knacken konnte – so strahlend habe ich ihn selten gesehen. Er braucht Abwechslung und Freiraum.
Was hat ihn an der Grünen Hölle so fasziniert?
Er ist im Simulator sicher mehr als 100 Runden gefahren, aber dann diese Wucht zu erleben, die von dieser Strecke ausgeht – 22 Kilometer, wunderbar in die Natur eingebettet, Kurvenfolgen, die es sonst nirgends gibt –, das hat ihn als puren Rennfahrer richtig fasziniert. Drei Runden und schon Rekord – das ist halt Verstappen.
Video: Max Verstappens wilder Ritt durch die Grüne Hölle
Glauben Sie, dass das in Zukunft ein Ziel für ihn sein wird, auch mal auf dem Nürburgring ein Rennen zu fahren und zu gewinnen?
GT Racing ist jetzt schon seine große Liebe, er hat ja ein eigenes Team. Ich glaube schon, dass das mal ein Ziel ist, vielleicht ein 24-Stunden-Rennen mit seinem Vater Jos. Ich glaube, das wäre von der Emotion und vom Spaß für ihn ebenbürtig mit einem WM-Titel.
Formel 1: Zweiter Sieg beim Triple Header würde Red Bulls Nervens "deutlich beruhigen"
Kann Red Bull den Schwung aus Imola mitnehmen und auch beim Grand Prix von Monaco um den Sieg kämpfen?
In Monaco sind wir im Vorjahr Sechster geworden. Diese Straßenkurse haben viele und hohe Kerbs, etwas, was wir seit einem Jahr nicht in den Griff bekommen haben. Imola lässt sich da schwer vergleichen. Wir müssen abwarten, wie es in Monte Carlo funktioniert. Im Gegensatz zu Imola haben wir dort keine schnellen Kurven, sondern langsame, da kommt es auf die Traktion an.
Wir haben zudem erlebt, dass verschiedene Temperaturen, verschiedene Reifenmischungen und Strecken-Layouts im Fahrverhalten zu Schwankungen führen, während McLaren auf diese Faktoren nicht reagieren musste, ihr Auto war überall schnell. Aber das betrifft ja nicht nur uns, sondern Ferrari und Mercedes vielleicht in noch höherem Maße.
Für uns entscheidender ist das Rennen Barcelona (eine Woche nach Monaco, d.Red.), wenn die neuen Flügel-Regularien greifen: das heißt, die Verbindungsfähigkeit wird drastisch eingeschränkt, dann sehen wir das richtige Bild. Für uns war in diesem Triple Header jetzt Schadensbegrenzung das Credo. Mit einem Sieg sind wir da recht gut reingekommen, ein zweiter Sieg würde unsere Nerven deutlich beruhigen.
Glauben Sie, dass der von der FIA in Monaco angeordnete zweite Pflicht-Stopp mehr Spannung im Fürstentum bringt und etwas and der üblichen Prozessionsfahrt ändert?
Es ist noch nicht gesagt, dass die Kolonne aufgebrochen wird. In Monaco birgt die schmale Boxengasse immer ein gewisses Risiko. Wenn alle 20 Autos zum Beispiel bei einer Safety-Car-Phase reinkommen, kann das schon eine Herausforderung sein. Dass dadurch die Rennentscheidung fällt – da müssen schon ein paar andere Faktoren zusammenkommen.
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Die McLaren-Piloten Oscar Piastri und Lando Norris kämpfen gegeneinander um die Fahrer-WM. Ist das ein Vorteil für Red Bull?
Wir kämpfen gegen beide McLaren, insofern ist es für uns nicht relevant, wer dort momentan der Schnellere ist. Die wechseln sich ja ab. Prinzipiell war Lando Norris in Imola schneller. Das ist für uns natürlich ein Vorteil. Bei uns ist ganz klar: Max ist die Nummer 1, alles ist auf ihn fokussiert, während McLaren zwei meist gleich schnelle Fahrer hat. Je mehr die sich abwechseln, desto besser für uns.
Helmut Marko: "Tsunoda muss einen Kompromiss finden"
Bei unserem letzten Interview haben Sie bestätigt, dass Max Verstappen trotz seines langfristigen Vertrages bis 2028 unter Umständen Red Bull verlassen kann. Hat das Team da nun wieder bessere Karten?
Er hat einen Vertrag, wenn wir ihm ein entsprechendes Siegauto hinstellen, dann ist alles klar. Wenn wir aber ein Jahr lang – und das war jetzt der Fall – technisch nicht vorwärts kommen ... Deswegen war das jetzt erstmals ein Schritt, der nicht nur die Downforce verbessert hat, sondern sich auch auf der Stoppuhr gezeigt hat. Max ist ein Fahrer, der gewinnen will und wenn wir ihm kein siegfähiges Paket hinstellen, dann ist es für ihn eine Überlegung (zu gehen, d.Red.). Aber zurzeit ist das für ihn kein Thema: Fokus auf die WM und es läuft ja recht gut.
Ihr zweites Cockpit muss Ihnen Kopfzerbrechen bereiten. Warum ist Yuki Tsunoda so viel langsamer, liegt das nur an dem schwer zu fahrenden RB21, oder zerbrechen neben Max Verstappen einfach alle?
Ich glaube, es sind mehrere Faktoren. Beispiel Yuki Tsunoda: Er war am Freitag, als unser Auto absolut nicht wettbewerbsfähig war, in beiden Sessions innerhalb einer Zehntelsekunde (zu Verstappen, d.Red.). Dann kam der große Umbau zum Samstag und er fiel zurück um eine Sekunde. Max braucht eben keine Eingewöhnungszeit. Wenn ein Auto völlig anders reagiert, hat er das innerhalb von ein, zwei Runden raus. Jeder andere Fahrer braucht eine entsprechende Zeit bei solch drastischen Änderungen, wie wir sie vorgenommen haben. Plötzlich also wieder ein eklatanter Rückstand für Tsunoda.
... und Tsunodas schwerer Unfall am Samstag ...
Im Qualifying ja – das war ein Fahrfehler von Yuki, er ist den Kerb nicht gut angefahren, dann hat er einen Schlag bekommen und es hat ihn ausgehebelt. Im Rennen ist er mit einer anderen Spezifikation ein tadelloses Rennen gefahren. Aus der Box auf Rang zehn ist schon in Ordnung. Wenn man aber nicht voll bei der Musik ist, so wie wir es waren, muss man drastische Änderungen vollziehen, die manche Fahrer nicht so schnell nachvollziehen und ausnutzen könne.
Hinzu kommt, dass Max ein Auto liebt, das vorne beißt, das heißt, er hasst Untersteuern. Wenn das Heck relativ nervös ist, stört ihn das nicht so sehr, während die meisten anderen Fahrer dann vom Gas gehen. Max bleibt auf dem Gas. Bei ihm ist die Fahrzeugbeherrschung in allen Bereichen außerordentlich und dann hat er noch die mentale Stärke. Wenn es drauf ankommt, ist er halt der Max und macht keine Fehler. Diese Summe an Faktoren lässt die anderen zerbrechen. Wobei Tsunoda diesen Crash gut weggesteckt hat. Natürlich will jeder Rennfahrer seinen Teamkollegen schlagen. Tsunoda muss den Kompromiss finden, als Nummer zwei so zu fahren, dass man in die Punkte kommt, aber nicht versucht, Max zu attackieren – denn das ist bewiesen, das geht in die Hose.
Hat Yuki Tsunoda eine Zukunft bei Red Bull?
Ja, er packt das, das hat man im Rennen gesehen. Yuki ist ein eigener Typ, emotional aufgezogen. Er darf halt keine Fehler machen – das ist das Entscheidende.
Verstappen in Imola "absolute Weltklasse"
Was sagen Sie zu Ihrem Racing-Bulls-Junior Isack Hadjar? Ist er ein möglicher Kandidat für das Seniorteam?
Hadjar ist sicher eine der großen Überraschungen. Er war von Angang an schnell, bis auf seinen Ausrutscher beim ersten Rennen. Ähnlich wie Max ist er nach drei Runden bei der Musik, obwohl er die meisten Strecken nicht kannte. Strategisch hat Racing Bulls in Imola leider wieder nicht glücklich agiert, Hadjar hätte da Sechster werden können. Er ist jedes Mal in Q3, jedes Mal in den Punkten, unauffällig, unspektakulär, aber sauschnell. Mit mehr Routine – ganz klar, dass das ein Kandidat werden kann.
Video: Analyse - so schlug Verstappen in Imola die McLaren
Führen Sie mit Verstappen einen Zweikampf gegen die McLaren oder kann das diese Saison noch ein Drei- oder gar Vierkampf mit Mercedes und Ferrari werden?
Zurzeit nicht. Ferrari und Mercedes haben auch Upgrades gebracht. Ferrari war im Qualifying schwach, im Rennen ging es besser. Aber realistisch betrachtet waren sie eine Sekunde hinter Max pro Runde. Bei Mercedes war es genau umgekehrt: Sie waren im Qualifying stark, vor allem beim Gambeln mit den Medium-Reifen. Aber im Rennen waren sie nirgendwo, da war der Reifenabbau offensichtlich. Solange unsere Konkurrenten ihre Probleme nicht in den Griff bekommen, ist nur McLaren unser Gegner. Wir hatten die gleichen Probleme nicht in diesem Ausmaß und eben Max, der diese Probleme überfahren kann. Warten wir mal Barcelona ab: Das sollte das entscheidende Rennen sein, wenn es eine Änderung (im Kräfteverhältnis, d. Red.) gibt.
Zum Schluss: Wie bewerten Sie Verstappens Überholmanöver gegen Piastri in Imola kurz nach dem Start?
Absolute Weltklasse, denn man muss bedenken, dem Fahrer bleibt nicht mal eine Sekunde, in der er seine Entscheidung treffen muss. Piastri hat auf Russell geschaut und Max war aufgrund seines mittelmäßigen Starts für ihn gar kein Gegner mehr. Piastri hat früher gebremst, Max hat das mitbekommen und dann diese Entscheidung getroffen, da reinzustechen und in der zweiten Kurve auf der Ideallinie zu sein. Die Konsequenz, mit der das durchgezogen hat, war absolute Weltklasse, das können nur wenige.
Wiederholung also beim nächsten Rennen in Monaco?
(Lacht) Nein, ich wüsste nicht, wo man dort so früh bremsen sollte. Aber gegen Max darf man sich im Zweikampf keine Fehler erlauben. In Monaco geht es eher darum, den Vordermann in einen Fehler zu treiben, aber da ist Piastri normal abgekocht genug, dass ihm das nicht passiert.
Mit Helmut Marko sprach Felix Görner




