Obwohl die Skisprung-Saison am vergangenen Wochenende in Planica zu Ende ging, steht die Sportart weiterhin im Fokus. Noch immer ist der Manipulationsskandal um die norwegischen Skispringer bei der WM in Trondheim nicht aufgeklärt. Polens Ex-Cheftrainer Thomas Thurnbichler wünscht sich weitreichende Änderungen, ist aber skeptisch, ob sie kommen.
Am Ende einer denkwürdigen Skisprung-Saison stellen sich sowohl Aktive als auch Beobachter die Frage: Wie geht es in Zukunft weiter? Welche Auswirkungen auf den Sport und vor allem das Reglement hat der Manipulationsskandal um die norwegischen Skispringer bei der WM in Trondheim?
Die Sperre gegen die fünf suspendierten Springer Marius Lindvik, Johann André Forfang, Robert Johansson, Kristoffer Eriksen Sundal und Robin Pedersen wurden zwar nach Saisonende wieder aufgehoben, aufgeklärt ist der Sachverhalt aber nach wie vor nicht – und das wird auch noch seine Zeit dauern.
Dass die Sache hinsichtlich der Vergehen der Norweger aufgearbeitet wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Ob dies aber auch hinsichtlich etwaiger Versäumnisse seitens der Verantwortlichen beim Ski-Weltverband FIS passiert, ist völlig offen.
Renndirektor Sandro Pertile bekundete zwar, dass er mit dem Gedanken gespielt habe, zurückzutreten, entschied sich aber dagegen. Mehr noch: Seine Rücktrittsmeldung wurde sogar vom polnischen Portal "skijumping.pl" als Aprilscherz verbreitet. Für diejenigen, die den Italiener als Teil der Misere ausmachen, war dieser Aprilscherz bestenfalls blanker Hohn – im schlimmsten Fall sogar ein Schlag ins Gesicht. Und er schlug in die Kerbe jener, die den Eindruck haben, dass sich herzlich wenig ändern wird.
Thurnbichler: "Das ganze System funktioniert nicht"
Zu dieser Gruppe zählt auch Thomas Thurnbichler, inzwischen Ex-Cheftrainer der polnischen Weltcup-Mannschaft. "Aktuell habe ich nicht den Anschein, dass wirklich große Veränderungen kommen werden. Ich habe das Gefühl, dass die FIS meint, dass die Leute, die uns da mit reingeritten haben, auch wieder rausholen können", sagte er im Gespräch mit sport.de beim Weltcup-Finale in Planica.
Dabei wären Veränderungen dringend notwendig, denn schließlich "funktioniert das ganze System nicht". Thurnbichler berichtete aus Sitzungen im Sub-Komitee Equipment, in dem er für Polen während seiner Amtszeit gesessen hat. Dort werden Vorschläge für Reglementänderungen diskutiert und formuliert und schließlich im übergeordneten Skisprung-Komitee beschlossen. "Man kann sich vorstellen, dass wenn das von den Nationen eingebracht ist, dass diese Vorschläge immer sehr politisch mit einer nationalen Brille vorgelegt werden", führte er aus.
Diese müsse aus seiner Sicht jetzt "abgelegt werden", weil sie nicht zielführend sei. Vielmehr bräuchte es "eine Expertengruppe, vielleicht auch mit ehemaligen Athleten, zumindest aber ein Gremium mit Leuten, die zu 100 Prozent Ahnung vom Material haben." Diese Gruppe solle klare Vorgaben hinsichtlich des Reglements machen, auf deren Grundlage entschieden werden soll "und das auch messbar. Vieles aktuell kann immer noch subjektiv entschieden werden, aber die Dinge müssen klar messbar werden."
Das sei seiner Meinung nach auch umsetzbar. Wenn man von den Athleten bereits vor den Wettkämpfen "über mehrere Messungen gewisse Standard- oder Durchschnittswerte von Kniemaß, Oberschenkelmaß, Hüftmaß, Torsomaß hat und dazu noch die Skilänge, das Skigewicht et cetera" erhebe, müsse man nach dem Wettkampf nur mehr "eine strikte Kontrolle mit einem einfachen Reglement und am besten von den besten 15" durchführen, denn klar sei: "Hast du die besten 15 im Griff, hast du das ganze Feld im Griff."
Thurnbichler: "Disqualifikationen gehören zum Skispringen dazu"
Der Ursprung der aktuellen Situation liege seiner Meinung nach schon ein gutes Stück in der Vergangenheit. "Ich würde sagen, sogar Sven (Hannawald, Anm. d. Red.) hat schon ganz gute Anzüge gehabt zu seiner Zeit", holte der Österreicher gegen einen der meinungsstärksten Experten aus. Seine Landsleute seien dann diejenigen gewesen, die "in diesem Bereich Riesenschritte" gemacht haben.
Danach sei man "immer kreativer geworden und das Reglement war immer einen Schritt hintendran." Deswegen sei seine Meinung zu etwaigen "Geständnissen" von ehemaligen Skispringern auch klar, "dass damals viele Sachen passiert sind, von denen man heute sagen könnte, das ist Betrug. Damals aber war es keiner, weil es nicht im Reglement stand."
Weil die Teams inzwischen so arbeiten, brauche es aber auch mehr Personal, ist sich Thurnbichler sicher: "Wie soll ein Kontrolleur, der das nicht mal Vollzeit macht, damit Schritt halten? Das ist unmöglich."
Was im norwegischen Team passiert ist, "ist natürlich nochmal eine Stufe darüber. Das ist zweifellos Betrug und sie sollen eine Strafe bekommen für das, was sie gemacht haben." Nachdem diese abgegolten ist, sollten sie jedoch die Möglichkeit bekommen, wieder in den Weltcup-Zirkus zurückzukehren, sagte der 35-Jährige. Denn: "Wir als Skisprungfamilie brauchen Norwegen und die verantwortlichen Personen in der FIS und in den Komitees, müssen schauen, dass sie aus dem Fehler lernen und das System bestmöglich aufstellen."
Zudem müsse man wieder dorthin kommen, dass Disqualifikationen normalisiert werden. "Sie haben immer schon zum Skispringen gehört und werden auch weiterhin dazugehören", so sein Standpunkt. "Wenn ich weiß, jemand wird disqualifiziert, wenn er über Grenzen geht, gibt mir das als Trainer auch Vertrauen", begründete er gegenüber sport.de.