Mit Michael Hayböck beendete an diesem Sonntag einer der erfolgreichsten österreichischen Skispringer dieses Jahrtausends seine Karriere. Vor seinem Abschiedsflug schaute er im Exklusiv-Interview mit sport.de auf sein erfülltes Sportlerleben zurück – und erklärt, warum Olympia 2026 für ihn keinen Reiz (mehr) hat.
Gregor Schlierenzauer, Thomas Morgenstern, Stefan Kraft und nun auch noch Daniel Tschofenig – mit und gegen diese vier Gesamtweltcupsieger ist Michael Hayböck in 15 Jahren im Skisprung-Weltcup gesprungen. 324 Starts sammelte er an, stand dabei 26 Mal auf dem Podium und feierte fünf Siege. Zudem sammelte er jeweils drei Silber- und Bronze-Medaillen bei Nordischen Ski-WMs, dazu je eine Silberne und Bronzene bei Skiflug-WMs und ein Mal Olympia-Silber.
Was bei der Kinder-Vierschanzentournee am 26. Juni 2001 in Berchtesgaden begann, endete am 30. März 2025 in Planica. Auf seiner Lieblingsschanze absolvierte der 34-Jährige in einem extra angefertigten Sprunganzug, dessen Beine im Jeans- und das Oberteil im rot-weiß-karierten Trachtenhemd-Look gestaltet waren seinen letzten Flug.
Im Exklusiv-Interview mit sport.de schaut der nun Ex-Skispringer der UVB Hinzenbach auf sein erfülltes Sportlerleben zurück, erklärt, warum Olympia 2026 für ihn keinen Reiz (mehr) hat und was ihm an seinem Sport gefällt - und auch, was nicht.
Wie empfinden Sie das Interesse an Ihrer Person so kurz vor ihrem letzten Flug, Herr Hayböck?
Es lässt sich aushalten. Es ist schon ein bisschen mehr als sonst, logisch. Aber dadurch, dass ich die Ankündigung schon ein bisschen früher gemacht habe, ist dort schon einiges abarbeitet worden und dann war es so auch ein wenig entspannter.
Welche Frage wird Ihnen am meisten gestellt? Und gibt es welche, die Sie nicht mehr hören können?
Ich kann jede noch hören, das ist kein Problem. Was danach passiert, was ich nun vorhabe, was die Highlights waren und was ich vermissen werde und was nicht, das sind die Klassiker.
Gibt es für Sie einen besseren oder schöneren Ort als hier in Planica, um aufzuhören?
Nein, die Rahmenbedingungen sind genau die perfekten. Es ist Saisonfinale, im Normalfall war immer Sonnenschein. Skifliegen, eine super Stimmung von den Leuten her, auch von den Teams. Jeder ist schon ein bisschen in Urlaubsstimmung, jeder ist gut drauf. Da ist alles schon ein bisschen lockerer und ich finde genau in so einem Rahmen ist es eben dann perfekt, dass man dann auch seine Karriere beendet.
Es ist halt leider nicht in Österreich, nicht im Heimatland, dann wäre es vielleicht noch mal was Besonderes, aber in Bischofshofen wären wir zu früh dran gewesen. Aber wie gesagt, das ist nah an der Grenze und deswegen super.
Sind dementsprechend auch viele Leute aus Ihrem Umfeld vor Ort, dass Sie mit Ihnen zusammen den Abschied feiern können?
Ja genau, es kommen einige. Aber so familienintern habe ich das eigentlich schon über Weihnachten schon ein bisschen bekundet, dass die Möglichkeit besteht. Ich war dort noch in dem Prozess, dass ich darüber nachgedacht habe. Und deswegen waren dann schon in Bischofshofen, das ist für uns das nächstgelegene, es war dann ein 50-Sitzer-Bus voll mit Freunden und Bekannten, die dorthin gekommen sind. In der Annahme, dass es doch das letzte Mal sein könnte.
Hayböck: "Thema Olympia steht nicht vorne an"
Sie haben 2014 in Sochi im Teamspringen Olympia-Silber geholt. Jetzt sind nächstes Jahr Olympische Spiele quasi vor der Haustür für Sie. Warum haben Sie schlussendlich gesagt: "Jetzt mache ich doch ein Jahr vorher Schluss"?
Weil für mich das Thema Olympia nicht vorne ansteht. Egal ob es Olympische Spiele, Weltmeisterschaften oder auch gar nichts ist, es ändert von meinem Zugang her nichts. Ich sage, ich muss entweder bereit sein, dafür alles zu geben, alles unterzuordnen und ich sage, ich mache das zu 100 Prozent. Und das ist eine Grundsatzentscheidung und an der ist völlig wurscht, was dann ansteht, weil ich für mich dann klar über die letzten Monate entschieden habe, dass ich zu dem nicht mehr bereit bin und, ganz egal, ob Olympische Spiele kommen oder nicht, hat das meine Entscheidung nie beeinflusst.
Also ging es für Sie hauptsächlich darum, den richtigen Zeitpunkt zu finden, aufzuhören, wenn Sie noch konkurrenzfähig sind?
Ja, das spielt natürlich auch mit. Es war immer schon so, wenn ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt habe, und das habe ich schon eine Zeit lang immer gemacht, habe ich mir gedacht: Ich möchte die Entscheidung frei von mir aus treffen können und nicht müssen, weil ich entweder die Leistung nicht mehr bringe oder weil der Körper nicht mehr mitspielt. Und ich habe gesehen, auch in der Saison, dass ich nach der Saison noch in der Weltspitze mithalten konnte. Das heißt Punkt 1 war erfüllt, Punkt 2, mir geht es körperlich super. Und deswegen waren diese zwei Sachen mir schon wichtig, dass es letztlich eine freie Entscheidung ist, weil ich glaube, dann ist es auch viel leichter. Ich glaube, da kann man auch mit einem viel positiveren Gefühl abschließen.
Das heißt auch, es gibt nichts mehr, was auf ihrer Skisprung-Bucket-List steht und abgehakt werden will oder muss?
Unter den Sachen, die auf meiner Bucket List stehen, gibt es mittlerweile viel mehr, als was abseits vom Skispringen ist. Die, die ich immer wieder hintenanstellen habe müssen; zu denen ich nicht gekommen bin. Und im Sport ist es genauso, natürlich setzt man sich Ziele, wo man hinarbeitet, wo man hin will. Ich muss sagen, ich laufe keinem einzelnen Ding mehr hinterher, sondern ich finde, es war eine sehr schöne Karriere. Ich habe immer so sein dürfen, wie ich wirklich bin. Ich habe schöne Erfolge gefeiert und habe alles gegeben, was möglich war. Deswegen hat es die Bucket List, was den Sport betrifft, nicht mehr gegeben.
Was wäre denn außerhalb des Sports das, was Sie zukünftig vorhaben?
Es gibt so viele Freunde zuhause in Oberösterreich, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe, mit denen wir immer wieder probiert haben, etwas auszumachen und es ist immer wieder nicht gegangen, weil ich wieder das Wochenende doch nicht da war oder doch wieder dorthin habe müssen. Irgendwann wird der Stellenwert von den Sachen rundherum aber größer. Und auch seitdem mein Sohn auf der Welt ist, hat sich das auch noch einmal alles geändert. Dass ich Papa sein kann und daheim Verantwortung übernehmen darf und will. Und dass ich wieder so ein paar Hobbys wie Tennis oder Golf spielen ein bisschen öfter ausüben kann. Das sind so kleine Dinge, die einen großen Unterschied machen, wenn man schlussendlich auch die Zeit hat dafür.
Hayböck blickt auf "ganz besondere Zeit" zurück
Welche Dinge am Skispringen werden Sie denn trotzdem vermissen?
Ich glaube, mit ein bisschen Abstand kann man das noch besser sagen. Aber was für mich von Anfang an klar war und immer klar gewesen ist, dass das Leben, das ich gehabt habe oder wir als Spitzensportler haben, ist das Schönste, was man haben kann. Dass man sein Hobby zum Beruf macht, dass man, so wie wir als Team dastehen, mit lauter Freunden durch die Welt reist und das macht, was einem Spaß macht, teilweise auch noch sehr erfolgreich. Und ich glaube, mit ein bisschen Abstand wird man es so sehen, dass die Zeit schon wirklich etwas ganz Besonderes war. Und das Zwischenmenschliche mit den Kollegen, vor allem mit "Krafti" (Stefan Kraft, Anm. d. Red.) als sehr guten Freund, dass man da immer wieder gemeinsam irgendwo hinfährt. Dass wir, wie manche, die keinen Sport machen, sich mit Freunden zusammentun und irgendeinen Männertrip machen. Es hat sich so ähnlich angefühlt und das jedes Wochenende. Und das ist schon ganz was Besonderes.
Was wird Ihnen gar nicht fehlen, abseits von blöden Journalisten-Fragen?
Das hat mich nie gestört. Ich finde, es hat immer super gepasst, aber in erster Linie das viele Reisen. Das immer wieder zusammenpacken und wieder von zu Hause Abschied nehmen müssen. Für mehrere Tage oder sogar oft einmal über Wochen. Vor allem jetzt mit dem Nachwuchs ist das Gefühl immer schwieriger geworden. Aus dem Koffer zu leben werde ich nicht mehr vermissen. Und auch in gewisser Weise den Leistungsdruck, den man doch irgendwo immer hat. Vor allem das Skisprung-Land Österreich ist bekannt dafür, dass wenn man mal kurz nicht abliefert, gleich der Nächste da steht und es geht dann ganz schnell, dass man dahin abrutscht, wo einen keiner mehr sieht. Den Druck spürst du immer ein bisschen. Du musst alles geben, 100 Prozent abliefern und in Form sein, weil sonst geht es ganz schnell, dass man weg vom Fenster ist.
Und sonst fällt mir noch ein, Windpech zu haben (lacht). Es war aber von Beginn an klar, dass es ein Freiluftsport ist und dass das dazu gehört. Aber immer wieder mal, wenn es passiert, kann es dich deprimieren und das werde ich mal nicht vermissen.
In den Anfängen "mehr selber Herr der Dinge"
Wie hat sich der Skisprung-Sport aus Ihrer Sicht entwickelt, seitdem Sie in den Weltcup eingestiegen sind?
Das ist eine große Frage, da hat sich viel getan im Vergleich zu 2010, als ich in meinen ersten Weltcup gesprungen bin. Es ist schwer, den Verlauf kurz auszudrücken, aber es hat sich so entwickelt, dass ich das Gefühl habe, dass die Einflussfaktoren, die man jetzt nicht ganz selber zu 100 Prozent in der Hand hat, sei es äußere Bedingungen, wie der Wind ist, wie das Material abgestimmt ist auf einen, immer größer geworden sind. Dann machen kleine Dinge, wie wenn der Anlauf runter geht, einfach mehr aus. Und so ist es halt noch viel sensibler, feinfühliger geworden. Auch mit der Materialentwicklung, die es gegeben hat, das ist schon ein großer Unterschied.
Zu den Anfängen war ich noch ein bisschen mehr selber Herr der Dinge, meinem Gefühl nach. So wie ich trainiert habe, was ich da reingeworfen habe, was ich alles gemacht habe, war ein bisschen mehr Garantie dafür, dass ich schlussendlich gut werde als so, wie es jetzt ist. Jetzt müssen noch viel mehr Sachen zusammenpassen. Aber es ist ja auch gut, finde ich, dass sich Skispringen so entwickelt, dass die Dichte groß und nach wie vor das Interesse groß ist. Insgesamt gesehen schon eine gute Entwicklung.
Haben Sie abschließend noch Wünsche, wie sich das Skispringen zukünftig entwickeln sollte?
Ich finde, dass Skispringen nach wie vor einen sehr guten Stellenwert hat. Vor allem in Mitteleuropa, in den bekannten Ländern. Und ich finde, dass man nicht die großen Nationen, die es gibt, so wie Österreich, Deutschland, Norwegen, Polen, und selbst Slowenien, mehr und mehr kastriert. Natürlich ist das eine super Sache, wenn es noch internationaler wird und man kleine Nationen mit gewissen Sachen fördert oder unterstützt.
Wenn gleichzeitig die großen Nationen irgendwo Abstriche machen müssen, das heißt vor allem bei Startplätzen, ist das immer ein großes Thema. Ich finde, dass das keine gute Entwicklung ist. Vor allem, wenn es den klassische Team-Wettbewerb mit vier Startern, der für mich selber immer der coolste Bewerb als Teilnehmer war und wo auch jeder Zuschauer gesagt hat, das ist der coolste Bewerb zum Zuschauen irgendwann nicht mehr geben sollte, weil eben die Starter-Quoten sinken, nur damit mehr kleinere Nationen bei Super-Team-Wettbewerben auch mitmachen können. Es gibt eine gewisse Tradition in dem Sport, die sollte man beibehalten. Dass das schon bei den nächsten Olympischen Spielen anders ist, ist richtig schade.
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Ihre Zukunft!
