Stefan Kraft schmiss im rot-weiß-roten Partymobil Richtung Bischofshofen eine Runde Eierlikör und stimmte sich mit den Austria-Teamkollegen auf das historische Herzschlagfinale der Vierschanzentournee ein. Bei der deutschen Reisegruppe herrschten nach der Schlappe von Innsbruck indes Stille und Ratlosigkeit: Gesamtsieg wie auch Podest sind meilenweit entfernt, der Abstand zu den dominierenden Österreichern ist riesig - für Pius Paschke und Co. geht es bei ihrer "Null-Chancen-Tournee" nur noch um Schadensbegrenzung.
"Die Tournee ist durch, das muss man akzeptieren und respektieren", sagte Bundestrainer Stefan Horngacher achselzuckend nach der kalten Dusche in der heißen Atmosphäre vor 22.500 Zuschauern am Bergisel. Dort war der als Mitfavorit zur Tournee gereiste Paschke als Achter bei der Gala-Flugshow der Österreicher erneut chancenlos gewesen. "Es hat wieder ein bisserl was gefehlt", sagte der 34-Jährige.
Ein großes Bisschen: Als Gesamtsechster liegt Paschke vor dem Finale am Montag in Bischofshofen (16.30 Uhr/ZDF und Eurosport) 22 Meter hinter Kraft, der bei den österreichischen Meisterschaften von Innsbruck vor Jan Hörl und Daniel Tschofenig siegte - im Gesamtklassement liegen sie keinen Meter auseinander. "Der Abstand ist abartig, das wird richtig richtig spannend", sagte Tschofenig grinsend.
Paschke: ÖSV-Adler sind nicht viel besser
"Die genießen es im Moment. Sie haben einen extremen Flow - so wie ich vor ein paar Wochen", sagte der fünfmalige Saisonsieger Paschke: "Dadurch wirkt es, als wären sie viel besser - so viel ist es aber nicht." Derzeit ein kühne Einschätzung.
Mehr dazu:
Paschke ist dennoch der klar beste Deutsche - neben ihm erreichten am Bergisel nur Andreas Wellinger (13.) und Philipp Raimund (15.) den zweiten Durchgang. Mau für eine Nation, die sich alljährlich den Tourneesieg als Ziel setzt.
"Ich bin nicht enttäuscht. Sonst hätte ich seit 23 Jahren enttäuscht sein müssen", sagte Horngacher. Der Österreicher ist Langzeit-Schwarzwälder, fühlt die schmerzende Durststrecke seit dem Triumph von Sven Hannawald 2001/02 mit. Doch Hannawald selbst verliert allmählich die Geduld.
Vom Material und Training seien die deutschen Springer auf höchstem Niveau, sagte der "ARD"-Experte, von der Mentalität her nicht. "Zu Saisonbeginn herrscht eine gewisse Leichtigkeit. Vor der Tournee wird es fester, fühlt sich schwerer an. Diesen Trend bekommen sie nicht geregelt und umgewuppt", diagnostiziert Hannawald: "Die Österreicher lassen die Tournee auf sich zukommen, machen überall Fotos, geben Interviews."
"Wenn ich wüsste, was die Österreicher machen"
Fast schwerelos fliegen sie nun allen davon, stehen vor dem erst vierten Dreifachsieg einer Nation in der langen Tournee-Geschichte - im wohl spannendsten Finale des Klassikers. "Wir werden einen Schmäh haben, der Beste soll am Ende vorne sein", sagt Kraft. Nichts zu spüren ist im ÖSV-Team von belastendem Druck, die Hauptdarsteller rauschen mit kindlicher Freude durch die Tournee.
Der "Krafti" ("Da wird ein Kindheitstraum wahr"), dirigierte am Bergisel mit "Hörli" und "Tschofi" die Massen, flipperte mit seinen 31 Jahren wie ein Teenager herum und pfiff sich noch an der Schanze eine Lasagne rein. Trainer Andi Widhölzl rutschte feixend auf dem Rücken den Aufsprunghügel hinab - es war die schiere Leichtigkeit des Seins.
Zehn Jahre nachdem Kraft als bislang letzter Österreicher die Tournee gewonnen hat, haben die ÖSV-Adler das Anti-Durststrecken-Mittel gefunden, werden in Bischofshofen endlich wieder jubeln. Die DSV-Adler suchen weiter. Und rätseln und staunen.
"Wenn ich wüsste, was die Österreicher machen", sagte Raimund, "dann würde ich's genauso machen."




