Suche Heute Live
Vierschanzentournee
Artikel teilen

Vierschanzentournee
Skispringen
(M)

Kritische Analyse der Two-Nights-Tour

Damit wird man den Skispringerinnen nicht gerecht

Video: Paschke: "Es geht definitiv mehr"
05. Januar 2025, 12:11

Während die Skispringer zwischen den Jahren die traditionsreiche Vierschanzentournee bestreiten, waren ihre weiblichen Kolleginnen lediglich in den deutschen Tournee-Orten aktiv. sport.de-Autor und Skisprung-Experte Luis Holuch hat sich die Two-Nights-Tour in Garmisch-Partenkirchen und Oberstdorf aus nächster Nähe angesehen und zieht eine gemischte Bilanz.

Bei jedem, der das Skispringen liebt, löst das Wort Vierschanzentournee etwas aus. Und genau so geht es auch vielen Skispringerinnen, wie etwa Deutschlands Vorzeigespringerin und der Oberstdorferin Katharina Schmid, die als kleines Mädchen noch im Auslauf der Schattenbergschanze stand und Autogramme von jenen Springern sammelte, die sie bewunderte und sich wünschte: "Da will ich auch mal mitspringen."

Seitdem sind 20 Jahre vergangen, eine Frauen-Vierschanzentournee gibt aber bis heute nicht. Stattdessen wurde für Schmid und ihre Mitstreiterinnen die Two-Nights-Tour organisiert, bei der die deutschen Tournee-Stationen Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen angesteuert wurden, jedoch in umgekehrter Reihenfolge. sport.de-Autor und -Experte Luis Holuch war vor Ort und beleuchtet alle wichtigen Facetten der Veranstaltung.

1. Organisation: Tournee-Vergleich verbietet sich

Mit der Einführung der Two-Nights-Tour setzte der Deutsche Skiverband (DSV) 2023 ein klares Zeichen und unterstrich damit seinen Willen, eine Vierschanzentournee für die Frauen zu organisieren. Genauso klar war sie von Anfang an als Übergangslösung angedacht, weshalb sich der direkte Vergleich zur Vierschanzentournee, die bereits zum 73. Mal stattfindet, verbietet.

Aus der ersten Ausgabe im Winter zuvor wurden die richtigen Schlüsse gezogen: Nachdem bei der Premiere Qualifikation und Wettkampf in Garmisch-Partenkirchen am 30. Dezember und Quali und Wettkampf in Oberstdorf am Silvester- und Neujahrstag ausgetragen wurden, wurde der Spieß heuer umgedreht.

Mit der Ansetzung des Wettkampfs in Partenkirchen auf den Silvestertag wurde den Zuschauern vor Ort neben der Qualifikation der Männer ein weiteres Event geboten. Wer also beide Geschlechter dort sehen wollte, hatte die Möglichkeit dazu.

Auch die aus Marketinggründen notwendige Umgestaltung des Olympia-Skistadions klappte bei diesem ersten Versuch außerordentlich gut, sodass der eingeplante Zeitpuffer zwischen Männer-Quali und Frauen-Wettkampf deutlich unterboten wurde.

2. Modus: Schmaler Grat wurde verfehlt

Ebenfalls verändert wurde der Wettkampfmodus. Nachdem es in der Vorsaison noch zwei klassische Springen mit den 40 besten Springerinnen der Qualifikation im ersten und den besten 30 Springerinnen des ersten Durchgangs im Finale waren, wurde dieses Mal das aus der Tournee bekannte K.o.-System angewendet – allerdings nicht so, wie es die Zuschauer und auch die Skispringerinnen kannten.

Denn bei der Silvester-Tour, die es vor der Two-Nights-Tour zwei Mal gab, wurden gemäß dem Vorbild Tournee 50 Springerinnen für den Wettkampf zugelassen, die in 25 Duellen gegeneinander antraten und deren Siegerinnen und fünf punktbesten Verliererinnen in den zweiten Durchgang kamen.

Dieses Modell wurde bei der Two-Nights-Tour auf die Spitze getrieben: Nur 30 Springerinnen qualifizierten sich für den Wettkampf, sodass es statt 25 nur 15 Duelle gab und auch nur die 15 Siegerinnen und fünf Lucky Loser ins Finale kamen.

Die Österreicherin Eva Pinkelnig konnte dem im Gespräch mit sport.de einiges abgewinnen: "In dem Sinne ist der Modus attraktiv, weil man bereits in der Quali extrem gut springen muss, um überhaupt dabei zu sein. Das gibt ein kompaktes, gut verkaufbares Produkt und darum geht es."

Anna Odine Strøm aus Norwegen, die in Oberstdorf als Zweite auf dem Podium stand, ließ diesen Aspekt ebenfalls in ihre Beurteilung einfließen: "Ich verstehe, dass der Unterschied zwischen der Besten und der Schlechtesten noch etwas zu groß ist. Aber so wie der Sport sich entwickelt, wird auch das bald kein Problem mehr sein."

DSV-Bundestrainer Heinz Kuttin sparte dagegen nicht mit Kritik: "Wenn einige Nationen im Vorfeld absagen, weil sie ihre Chancen zu gering sehen und sich das Geld für die Reise sparen, ist das nicht richtig. Ein Starterfeld von 60 auf 30 Springerinnen zu reduzieren, ist schlecht für den Sport."

Auch Selina Freitag fühlte mit ihren Konkurrentinnen, die es nicht in den Wettkampf schafften: "Es tut mir leid, dass ich das so sage, aber das geht gar nicht. So viele Springerinnen haben gute Sprünge gemacht, auch aus unserer nationalen Gruppe und dann ist es schade, wenn das System sagt, dass nur die Hälfte durchkommt."

Allein an diesen Aussagen zeigt sich: Der Grat zwischen einem für das Publikum attraktiven Produkt und einem sportlich fairen Wettbewerb ist schmal, wurde aber verfehlt. Dieser verschärfte Modus wird der Trainingsarbeit der Teams nicht gerecht, weshalb es auch verständlich ist, dass etwa die Polinnen, auf die Kuttin anspielte, der Veranstaltung fernblieben.

Dass sich trotz Nachfrage von sport.de niemand dazu bekannte, diesen Vorschlag eingebracht oder abgesegnet zu haben, spricht auch Bände. Wenn weder die Veranstalter noch der Ski-Weltverband FIS oder der Deutsche Skiverband dafür verantwortlich zeichnen will, kann das Konzept nicht ausgereift sein.

3. Außenwirkung: TV-Zahlen steigen, aber …

Die innere Betrachtungsweise ist das Eine, die Außenwirkung ist freilich das Andere. Dort bleibt zunächst festzuhalten, dass sowohl die Zuschauerzahlen vor Ort als auch am TV eine positive Tendenz zeigen.

Sowohl in Garmisch-Partenkirchen (3.000) als auch in Oberstdorf (3.200) wurden die Besucherzahlen des Vorjahres übertroffen. Und das, obwohl die Fans in Partenkirchen eine eineinhalbstündige Pause zu überbrücken hatten und jene in Oberstdorf das Neujahrsspringen der Männer aufgrund des Zeitplans nicht im TV verfolgen konnten.

Apropos TV: In der ARD wurden am Silvestertag zwar weniger Zuschauer registriert als noch am 30. Dezember des Vorjahres, was auch mit der Terminierung zu tun haben dürfte. Dafür stieg der durchschnittliche Marktanteil um 0,35 Prozentpunkte von 12,15 auf 12,5 Prozent an. Am Neujahrstag gab es sogar einen Anstieg von zwei Prozentpunkten auf 15,8 und auch die durchschnittliche Zuschauerzahl stieg von 2,63 auf 2,78 Millionen an.

Das Zuschauerinteresse wächst also mit dem Event und es gibt noch viele Schrauben, an denen die Veranstalter drehen sollten: Denn es gab keine verschiedenfarbigen Startnummern-Leibchen und auch nur provisorisch hergerichtete Positionen, auf die sich die Springerinnen nach ihren Duellen stellten. Dieser professionelle Anstrich, den man von der großen Tournee gewohnt ist, fehlte gänzlich.

Selbiges lässt sich auch über die Übergabe der Sachpreise an Qualifikationssiegerin Selina Freitag in Garmisch-Partenkirchen sagen, die für viele Schlagzeilen und Diskussionsstoff sorgte. Dass der Kontrast zwischen 3.000 Schweizer Franken für die Männer und einem Wellness-Paket für die Frauen nach außen denkbar unglücklich wirkt, haben die Veranstalter schnell begriffen.

Gleichzeitig muss man aber auch festhalten: Diese Geste war mehr als das, was der Ski-Weltverband FIS in den online einsehbaren Weltcup-Statuten vorsieht. Denn während bei den Männern das Quali-Preisgeld verpflichtend ist, wird es im Reglement des Frauen-Weltcups nicht einmal erwähnt. Es ist somit die absolute Ausnahme, wenn, wie dieses Jahr in Willingen, die Quali-Siegerin 2.000 Schweizer Franken erhält.

Der Kommentar von ARD-Experte Sven Hannawald, "wenn ich das vorher gewusst hätte, wäre ich morgens schon mit einem Klingelbeutel zur Bahnschranke gegangen und hätte gespendet oder spenden lassen" macht die Sache auch nicht besser. Mal abgesehen davon, dass es kein Geheimnis ist, dass die Springerinnen in der Qualifikation leer ausgehen, möchte sich keine von ihnen mit wirklich bedürftigen Menschen gleichstellen (lassen), die echte finanzielle Hilfe brauchen.

Fazit: Das wird den Springerinnen nicht gerecht

Schlussendlich bleibt für die Two-Nights-Tour festzuhalten, dass diese Übergangslösung auf dem Weg zu einer richtigen Vierschanzentournee für die Frauen durchaus ihre Vorzüge hat. Die Wettbewerbe waren gut terminiert, kompakt und ansehnlich.

In der Außenwirkung sah dieses Event dagegen wie das ungeliebte Stiefkind aus. Sinnbildlich dafür war auch das Ortsbild von Garmisch-Partenkirchen: Werbeplakate für das Neujahrsspringen – das bekannteste reine Skisprungevent überhaupt – gab es en masse, die Two-Nights-Tour dagegen war schlicht unsichtbar. Anders als in Oberstdorf, bei dem man gleich am Ortseingang mit einem riesigen Poster begrüßt wurde.

Aber allein, dass inzwischen zumindest auf den deutschen Tournee-Schanzen gesprungen wird, ist ein Fortschritt. Ebenso, dass der K.o.-Modus zurückgekehrt ist. Dass diese zwei positiven Entwicklungen dann wieder durch das kleine Starterfeld im ersten Durchgang und Versäumnisse in der Außendarstellung getrübt wurden, fügt sich einmal mehr in die Historie des Frauen-Skispringens ein.

Die Athletinnen wissen genau wo sie mit ihrer Sportart stehen, welche Schritte noch zu gehen sind und fordern auch keine utopischen Dinge. Und dennoch fasst es Selina Freitag im Gespräch mit sport.de vortrefflich zusammen, indem sie sagte: "Es ist fühlt sich immer so an, dass wir etwas bekommen, aber gleichzeitig wieder etwas einstecken müssen. Und ich hoffe sehr, dass sich das bald ändert."

Newsticker

Alle News anzeigen