Für Sergio Pérez ist die Luft in der Formel 1 zurzeit dünn - sehr dünn. Das Stammcockpit bei Red Bull ist für den Mexikaner längst zum Schleudersitz mutiert. Der erst Anfang Juni bis 2026 verlängerte Vertrag hat nur noch Papiertiger-Status. Für das Team aus Österreich gibt es kaum noch rationale Gründe, am 34-Jährigen festzuhalten. Eine Bestandsaufnahme in drei Thesen.
Die Schlagzeile wäre schnell verfasst. Nur die offizielle Bestätigung und der genaue Zeitpunkt wären noch zu definieren. "Red Bull trennt sich von Sergio Pérez", je nach Wording auch gerne "Red Bull und Pérez trennen sich".
Und sollte der 34-Jährige aus freien Stücken gehen, wie vor seinem Heimrennen im Mexiko am vergangenen Sonntag laut spekuliert wurde, dann tut es eben "Sergio Pérez verlässt Red Bull" oder "Sergio Pérez beendet Formel-1-Karriere".
Wie es auch kommt: Die Ergebniskrise, die sich durch die 2024er Saison des Teamkollegen von WM-Spitzenreiter Max Verstappen zieht, hat längst auch Auswirkungen auf den gesamten Red-Bull-Rennstall. Die Entscheidung, den Vertrag des Mexikaners Anfang Juni vorzeitig bis Ende 2026 zu verlängern, fliegt dem Titelverteidiger im Saisonfinale zusehends um die Ohren - und das nicht nur sportlich. Hier kommen drei Thesen zur Pérez-Krise.
These 1: Red Bull kämpft mit stumpfen Waffen - und das mit Ansage
1:19 nach Qualifying-Duellen, 1:19 nach Rennergebnissen - deutlicher denn je fährt Pérez in dieser Saison seinem Teamkollegen hinterher.
Während aber WM-Primus Verstappen im längst nicht mehr überlegenen RB20 seinen Vorsprung aus der ersten Jahreshälfte clever ins Ziel manövriert, dümpelt der Mexikaner auf Platz acht in der Fahrerwertung herum. Selbst die beiden Mercedes-Piloten Lewis Hamilton (189 Punkte) und George Russell (177) liegen vor Pérez (150), der es nach drei zweiten Plätzen in den ersten vier Rennen nicht mehr auf das Podest schaffte.
Verstappen dürfte es durchaus recht sein, über keinen Teamkollegen zu verfügen, der ihm den Nummer-eins-Status im Team streitig macht. Intern dürfte sich der Vierfach-Weltmeister in spe mittlerweile jedoch hoffnungslos unterfordert vorkommen - und zunehmend ärgern.
Denn auf einen loyalen Partner auf der Strecke, der seinen WM-Rivalen wertvolle Punkte wegschnappt, kann Verstappen zurzeit eben auch nicht bauen - siehe nicht zuletzt Pérez' kläglich gescheiterten Versuch, sich beim Heimrennen in Mexiko mit frischen Reifen den Punkt für die Schnellste Rennrunde zu sichern.
Die harten Rad-an-Rad-Duelle im Titelkampf, wie zuletzt mit dem WM-Zweiten Lando Norris in Austin und Mexiko, muss "Mad Max" momentan also selbst führen - und zeigt dabei immer häufiger Nerven.
Doch auch für das Red-Bull-Team hat Pérez' anhaltende Ergebniskrise mittlerweile spürbare Folgen. Hinter McLaren (aktuell 566 Punkte) und Ferrari (537) belegt der Rennstall aus Österreich (512) seit Sonntag nur noch Rang drei in der Team-WM.
Die Pérez-Krise kommt indes mit Ansage - nicht nur wegen der früh erfolgten Vertragsverlängerung. Selbst in der Sommerpause hielt das noch amtierende Weltmeister-Team am Mexikaner fest - und das, obwohl dieser das vorgegebene Punkteziel klar verpasst hatte.
These 2: Red Bulls Finanzen geraten ins Wanken
Die Bezeichnung eines Formel-1-Wochenendes als "Großer Preis" kommt bekanntlich nicht von ungefähr. Bei jedem Rennen stehen WM-Punkte und damit auch Preisgelder in Millionenhöhe auf dem Spiel.
Auch jede Verbesserung oder Verschlechterung in der Konstrukteurswertung hat eklatante finanzielle Verschiebungen zur Folge. Allein für die Formel-1-Saison 2024 konnte Red Bull als Team-Champion mit Preisgeldern über 128 Millionen Euro planen. Zum Vergleich: Mercedes erhielt 120 Millionen Euro, Ferrari 114,5 Millionen Euro, McLaren gar nur 103 Millionen Euro.
Der drohende Absturz von Platz eins auf Rang drei könnte sich für Red Bull also gleich in doppelter Hinsicht wirtschaftlich negativ auswirken. Denn die Krise der Österreicher begünstigt die Konkurrenz unmittelbar.
Hätte der WM-Achte Pérez (150 Punkte) nur halb so fleißig wie Teamkollege Verstappen (362) gepunktet, läge Red Bull jetzt nur 23 Punkte hinter McLaren - und sechs Zähler vor der Scuderia.

Kein Wunder also, dass TV-Experte Ralf Schumacher auch in monetärer Hinsicht zuletzt Alarm schlug. "Vor allem finanziell ist das ein Desaster fürs Team, nicht nur für die Mechaniker. Wenn man jetzt noch was ändern will gegen Ferrari, dann muss man jetzt schnell was ändern", sagte der Ex-Formel-1-Pilot nach dem Rennen in Mexiko bei "Sky".
These 3: Red Bull torpediert den Fahrermarkt - und (vielleicht) auch Fahrerkarrieren
Wohin zieht es Carlos Sainz? Das gesamte Formel-1-Fahrerkarussell drehte sich lange um diese Frage, nachdem im Januar der Wechsel von Mercedes-Star Lewis Hamilton zu Ferrari bekannt wurde. Bevor Red Bull im Juni die Verlängerung der Zusammenarbeit mit Pérez bis Ende 2026 verkündete, stand auch eine Rückkehr des Noch-Ferrari-Piloten zu Red Bull im Raum. Ende Juli entschied sich der Spanier dafür, bei Williams anzuheuern.
Die Personalie Pérez könnte für ähnlich viel Wirbel auf dem Fahrermarkt sorgen. Sollten sich die Wege tatsächlich zum Saisonende trennen, wäre für 2025 plötzlich wieder ein Cockpit bei einem Spitzenteam zu besetzen.
Da aber die meisten Top-Piloten schon anderweitig unter Vertrag stehen, wäre dann wohl die Beförderung von Yuki Tsunoda oder Liam Lawson aus dem Racing-Bulls-Team die naheliegendste Option. Als externe Lösung bietet sich Franco Colapinto an. Der 21-jährige Argentinier überraschte als Nachfolger des bei Williams entlassenen Logan Sargeant mit starken Leistungen.
Für alle drei wäre ein Wechsel zu Red Bull ein immenser Karrieresprung, der aufgrund seiner Kurzfristigkeit jedoch mit Tücken und Risiken verbunden wäre. Denn der potentielle Pérez-Nachfolger müsste binnen möglichst kurzer Zeit den Makel abschütteln, mehr als nur ein Notnagel zu sein. Vom internen Kräftemessen mit Mehrfach-Champion Verstappen mal ganz zu schweigen.
Die Gefahr ist groß, dass der Teamneuling keine faire Chance bekommen, sondern bestenfalls als nützliche Übergangslösung an der Seite von Platzhirsch Verstappen verheizt würde. All das hätte freilich verhindert werden können, hätte sich der Rennstall nicht ohne Not frühzeitig zu Pérez bekannt.
Will Red Bull keine junge Fahrerkarriere auf dem Gewissen haben, müssen die Österreicher also wohl auf einen arrivierteren Fahrer setzen, der keine Idealbesetzung wäre - oder entgegen aller Experteneinschätzungen doch weiter an Pérez festhalten. Ausgang offen.



