Nach den ersten drei Wochen in der NFL scheint kaum eine Offense so richtig in der neuen Saison angekommen zu sein. Wenige Teams überzeugen auf der Seite des Balls wirklich, vieles wirkt wacklig und inkonstant. Doch warum ist das so?
In seiner monatlichen Kolumne schreibt RTL-Experte Adrian Franke exklusiv über die NFL bei sport.de und beantwortet die Fragen der Fans.
Die NFL ist ohnehin schwer berechenbar. In kaum einer anderen Liga ist das Leistungsniveau so nah beieinander, in kaum einer anderen Liga ist die Aussage, dass jeder jeden schlagen kann, so zutreffend.
Dieses Jahr fühlt es sich aber selbst für NFL-Verhältnisse besonders undurchsichtig an.
Die Frage des Monats September:
Allein in Woche 3 gewannen acht bei den Buchmachern im Vorfeld als Außenseiter geführte Teams. Acht Teams gingen mit einer 0-2-Bilanz in den Spieltag, sechs dieser acht Teams gewannen. Und das erste 300-Passing-Yards-3-Touchdown-Spiel der Saison gehörte - wem auch sonst? - Panthers-Backup-Quarterback Andy Dalton.
Diese Saison fühlt sich nach den ersten drei Wochen noch undurchsichtiger an, weil es wenige verlässliche Offenses gibt. Und Offenses sind insbesondere wenn es darum geht, Prognosen zu treffen, der konstantere Part. Gute Offenses erlauben sicherere Prognosen, und wenn es wenige verlässliche Offenses gibt, dann sind enge und chaotische Spiele vorprogrammiert.
Lediglich 21,2 Punkte pro Spiel legen die 32 Teams bislang in dieser Saison auf. Sollte es dabei bleiben, wäre das der niedrigste Wert seit 2006. Und es fühlt sich umso niedriger an, weil vor nicht allzu langer Zeit Offenses komplett das Geschehen diktierten: Man muss dafür nicht mehr als vier Jahre zurückgehen: 2021 verzeichneten Teams 23 Punkte pro Spiel, 2020 waren es gar 24,8. Der höchste Wert für eine Saison jemals in der NFL.
Die Tendenz war hier über die letzten beiden Jahre bereits merklich rückläufig, dieses Jahr aber scheint ein neuer Tiefpunkt erreicht - natürlich, das muss man immer dazu sagen, rein aus offensiver Perspektive argumentiert.
Warum punkten Teams so wenig?
Dabei fällt auf, dass der Yard-pro-Play-Schnitt ligaweit relativ konstant ist. Die Turnover Percentage ist sogar runter gegangen und die Drive-Success-Rate, also wie viele Drives prozentual mit Punkten für die Offense enden, ist die höchste seit 2020.
Wenn man die Statistiken vergleicht, fallen zwei Dinge auf, die diese Diskrepanz erklären: Teams punkten zwar konstant, aber in erster Linie durch Field Goals. In den ersten drei Wochen der Saison verwandelten Teams im Schnitt pro Spiel 1,88 Field Goals. Bleibt es bei dieser Zahl, wäre das der höchste Wert aller Zeiten. Umgekehrt schaffen Teams nur 2,24 Touchdowns pro Spiel, das wäre als Saisonmarke der niedrigste Wert seit 1993!
118 Passing-Touchdowns hat diese noch junge Saison gesehen. Zum Vergleich: Nach drei Spielen waren es 2020 bereits 172, 2021 waren es 159, 2022 immerhin noch 144 und selbst letztes Jahr waren es 128, also zehn mehr.
Field Goals statt Touchdowns ist eine simple Erklärung dafür, dass die Punkte runter gehen und Spiele eng bleiben.
Die andere betrifft schlicht und ergreifend die Anzahl an Möglichkeiten für die Offenses: Lediglich 10,6 Drives pro Spiel haben Teams aktuell im Schnitt. Seit mindestens 1998 war diese Zahl auf eine ganze Saison gerechnet noch nie unter 10,8.
Das Passing Game steckt in einer Krise
Das wirft unweigerlich die Frage auf: Warum? Warum haben Offenses weniger Drives, warum gibt es Field Goals statt Touchdowns?
Quarterbacks werfen den Ball generell weniger. Lediglich 31,1 Pässe pro Spiel werfen die Teams aktuell, 1992 war dieser Wert zuletzt so niedrig.
Und sie werfen nicht nur wenig, sie werfen auch weniger effizient: Auf lediglich 6 Net Yards pro Pass kommen die Offenses dieses Jahr, 2020 waren es 6,4. Und 2020 holten Teams pro Spiel im Schnitt fast drei (!) First Downs mehr durch die Luft heraus, ein riesiger Unterschied.
Ein großer Punkt hierbei ist die fehlende Explosivität. Wo 2020 in den ersten drei Wochen der Saison sieben Quarterbacks den Ball im Schnitt zehn Yards oder weiter warfen, erfüllen dieses Kriterium dieses Jahr bislang nur derer zwei - und die nicht gerade erfolgreich: Anthony Richardson und Trevor Lawrence, und bei beiden ist die Offense bislang nicht gerade mit einem hohen Maß an Konstanz aufgefallen. Insbesondere Richardson hat bisher von 13 tiefen Pässen lediglich vier angebracht.
Wo liegt der Schlüssel zur offensiven Misere?
Die 2020er Saison ist hier in vielerlei Hinsicht so ein Knackpunkt, weil wir ab 2021 den Beginn einer defensiven Umorientierung gesehen haben. Nachdem Patrick Mahomes, Tom Brady, Russell Wilson, Aaron Rodgers, Justin Herbert und dann wenig später Joe Burrow und Kyler Murray Defenses mit Big Play auf Big Play verbrannt haben, war aus defensiver Perspektive klar: So geht es nicht weiter.
Neue defensive Coverage-Strukturen entstanden. Mehr 2-Deep-Coverages - also Coverage-Strukturen mit zwei tief postierten Safeties, im Gegensatz zu den Single-High-Defenses der Pete-Carroll-Ära - erhielten Einzug, aber das war nur eine von vielen neuen Variablen. Defenses wurden generell leichter und schneller, und schafften es schrittweise immer besser, Offenses in lange Drives zu zwingen.
Doch nicht nur das: Leichte Boxes mit viel defensiver Bewegung nach dem Snap zwingt auch Quarterbacks dazu, mehr Informationen zu verarbeiten und das häufig ohne den einfachen Ausweg.
Checkdowns und Underneath-Pässe sind häufig die Folge, und um auf diese Art und Weise den Ball bis in die Endzone zu bewegen, braucht es viele Plays ohne gravierende Fehler. Das kann ein Turnover sein, es kann aber auch ein Sack sein. Oder manchmal reicht dieser Tage schon eine Incompletion bei Second Down, welche die Offense bei Third Down nicht kompensieren kann. Das sind die Wege, um Field Goals zu kicken statt Touchdowns zu erzielen.

Welche Antworten finden Offenses?
Es ist eine spannende Phase in der NFL. Hier wird gerne das sprichwörtliche Pendel ins Spiel gebracht, das dann ab und an zu sehr in eine Richtung ausschlägt und dann wieder zurückkommt.
In Teilen würde ich das hier unterschreiben. Ich denke nicht, dass die NFL jemals wieder zu den Run-heavy-Smashmouth-Offenses von vor 30 Jahren zurückkehren wird. Aber wir sehen schon jetzt, wie Teams sich gezielt wieder mehr auf den Run stützen. Die 26,9 Runs pro Team pro Spiel sind einer der höchsten Werte der letzten zehn Jahre, genau wie die 6,9 First Downs am Boden, die Teams im Schnitt pro Partie erlaufen.
Doch die Effizienz ist noch nicht auf dem Level, dass Offenses Defenses zum Umdenken zwingen würden. Teams laufen den Ball nicht besser oder explosiver, sodass Defenses den Fokus weiter auf das Passing Game richten.
Wir werden mehr Teams sehen, die auf drei Tight Ends setzen. Oder mit dem zusätzlichen Fullback spielen. Teams, die ihre Quarterbacks noch mehr ins designte Run Game einbinden, um die leichteren - sowohl was die Physis der individuellen Spieler, als auch was die Anzahl der Spieler in der Box angeht - defensiven Fronts zu attackieren.
Doch bis Offenses das konstant gelingt, gibt es für Defenses keinen Grund, etwas umzustellen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren haben sie das Heft des Handelns in der Hand.