In der Laufszene ist sein Spitzname ein geflügeltes Wort: Bottle Claus. Claus-Henning Schulke (58) ist der Edelhelfer des Berlin-Marathons (29. September, ab 8.30 Uhr LIVE bei RTL und auf RTL+). Dort erreichte er mit seinen enthusiastischen Übergaben der Flaschen an Lauf-Ikone Eliud Kipchoge Kult-Status. Im exklusiven Interview mit sport.de erklärt der Wasser-Anreicher, wie er sich auf seine spezielle Rolle vorbereitet, wem er diesmal assistiert und wie er mit seiner plötzlichen Prominenz umgeht.
Herr Schulke, Lauf-Legende Eliud Kipchoge ist dieses Mal nicht dabei, sind Sie denn wieder am Start?
Claus-Henning Schulke: Unbedingt! Das mache ich seit 30 Jahren, da werde ich mir natürlich das Jubiläum nicht entgehen lassen.
Was ist Ihre Aufgabe als Elite-Verpfleger?
Ich habe zwei Funktionen. Einmal bin ich Teamchef von der Eliteverpflegung. Und muss 50 Helfer koordinieren. Die andere ist, dass ich aktiv mitmache - daher kennen mich die meisten.
Es geht darum: Die Athletinnen und Athleten bereiten am Samstagabend die Getränke vor. Und diese Flaschen sollen sie während des Wettkampfs sicher erreichen. In den Flaschen ist heutzutage nicht mehr Wasser, sondern es sind Energiegetränke. So kriegen sie die größtmögliche Sicherheit, dass sie diese Energie aus den Flachen auch während des Rennens gereicht bekommen, um ihren Energielevel aufrechtzuerhalten. Dazu stehen die Flaschen an Verpflegungsstationen.
Mehr dazu:
Wir haben den Helfern immer einen Athleten zugeordnet, diesen begleiten wir dann die ganzen 42 Kilometer. Diese bekommen an 13 Stationen von ihrem Helfer ihre Flasche gereicht. Die Herausforderung ist, die Athleten und Athletinnen aus dem Gewusel herauszufischen und rechtzeitig an der nächsten Verpflegung zu sein, damit er wieder seine Flasche bekommt.
Wo lauern die größten Schwierigkeiten?
Der Erst-Kontakt ist der schwierigste, weil die Athleten und Athletinnen das Gesicht von ihrem jeweiligen Helfer gar nicht kennen, umgekehrt genauso. Daher ist es ganz wichtig, dass der Erstkontakt klappt und man brüllt wie ein Verrückter. Damit der Läufer oder die Läuferin aufmerksam wird auf den Helfer. Dann zieht sich das Feld langsam in die Länge. Bei späteren Stationen ist es einfach, man kennt das Gesicht, es ist alles entzerrter.
Meine Rechnung ist: Wenn die Athleten und Athletinnen pro Verpflegungsstation zwei Sekunden gewonnen haben, durch eine tolle Übergabe, dann können sie 26 Sekunden gewinnen.
Diesem Star hilft "Bottle Claus" beim Berlin-Marathon 2024
Das kann am Ende den Unterschied machen. Werden vor dem Erst-Kontakt denn keine Bilder herumgereicht?
Das haben wir bisher nicht gemacht. Ich mache immer eine Verlosung der Startnummern für die Helfer. Davor ist der Erstkontakt noch ungewiss. Dieser ist bei Kilometer 5 immer eine sehr aufregende Geschichte. Ich habe das etabliert, dass jeder das Armschild mit dem Namen der Athleten und Athletinnen befestigt. Das hat es vereinfacht. Wir versuchen es immer weiter zu optimieren.
Mein Vorteil: Ich habe eine besonders ausgeprägte Stimme. Da traut sich keiner vorbeizulaufen, ohne die Flasche aufzunehmen (lacht).
Kipchoge ist wie gesagt nicht dabei. Für wen sind Sie diesmal im Einsatz?
Manchmal werde ich vom Management der Läufer angesprochen. Ich werde Kibiwott Kandie unterstützen – früherer Weltrekordler im Halbmarathon. Dem trauen wir einiges zu. Da wäre es toll, wenn ein alter erfahrener Hase wie ich und der junge Kandie ein gutes Team abgeben.
Werden Sie ihn vorher kontaktieren?
Da sehe ich schon zu, vorher über den Race Director ein Meeting zu organisieren. Er ist ein lustiger Zeitgenosse, der mit einem Grinsen herumläuft. Da werden wir mal plaudern und uns kennenlernen. Da sage ich ihm ganz genau, welche Trikotfarbe ich anhabe, damit er sich darauf fixieren kann. Vielleicht hole ich ihm auch vom Flughafen ab, das ist ja auch eine nette Geste. Vielleicht das Quäntchen Wohlfühlen, das zu einem guten Ergebnis hilft.
Ist er für Sie ein Favorit für den Gesamtsieg?
Absolut ja. Es gibt zwei, die eng in der Halbmarathon-Zeit beieinander Zeit liegen. Tadese Takele und Kandie. Das wird vielleicht ein geiles Battle werden. Kandie scheint auf jeden Fall gut in Form zu sein.
Schulke übte Übergabe mit Kipchoge an einer Vase
Bedarf die Flaschen-Übergabe einer besonderen Technik, ist es vielleicht sogar eine eigene Kunst?
Es ist schon ein bisschen knifflig. Man muss viel vermeiden, es kann viel schiefgehen. Mit Eliud Kipchoge habe ich es tatsächlich geübt. Wir haben eine Vase zu Hilfe genommen und geschaut, wie man sie am besten hält, dass er sauber greifen kann.
Es gab bei Kipchoge mal die Situation, dass sein Pacemaker seine Flasche greifen wollte. Da musste ich konzentriert sein und die Situation schnell begreifen. Ich habe sie dann weggezogen und Eliud hingehalten. Es gibt viele Dinge, die einen ins Verderben stürzen können. Bei Eliud und mir hat es vorzüglich geklappt und so war ich ein kleines Puzzleteil auf dem Weg zum Rekord.
Wie lange, wie akribisch bereiten Sie sich auf das Event vor?
Dadurch, dass ich Teamleiter bin, habe ich acht Wochen vorher schon Action. Für die Übergabe selber: Da habe ich viel Routine in der Technik und das versuche ich auch weiterzugeben. Am Morgen des Laufs haben wir eine halbe Stunde an der ersten Station, wo wir üben können. Durch Routine habe ich das gut im Griff, meistens aber trotzdem eine schlaflose Nacht, weil ich weiß, wie viel davon abhängt und viel schiefgehen kann.
Ist denn schon mal was so richtig in die Hose gegangen?
Vor drei Jahren ist der Vorjahressieger auf der falschen Seite der Straße gelaufen. Und wir dürfen unter keinen Umständen mit der Flasche auf die Strecke gehen. Da war der Trainer ganz schön verärgert. Wenn einer mal danebengreift und die Flasche runterknallt, ist es auch blöd. Das sind so die größten Fehler.
"Geiler Spitzname"
Wenn man Sie als "Wasserträger" bezeichnet – finden sie das eigentlich despektierlich?
Ne, finde ich toll. Ich heiße ja "Bottle Claus". Also ich bin nicht nur Wasserträger, sondern für die ganze Flasche zuständig. Ich finde, das ist ein geiler Spitzname.
Werden Sie erkannt auf der Straße?
Ja, wenn ich durch die Welt fahre, werde ich angesprochen. Das ist ganz verrückt. Letztes Jahr habe ich am "Race Across America", dem härtesten Radrennen der Welt, teilgenommen. Da wurde ich vorher im Supermarkt angesprochen und angestrahlt: "Bist du der Bottle Claus?!" Das hat sich also bis nach Kalifornien herumgesprochen oder bis nach Marokko. Dort hat mich eine Frau noch vorm Ziel umarmt. Wenn ich in Berlin zum Marathon laufe, kriege ich auch viel Anfeuerungsrufe.
In den vergangenen Jahren sind Sie mit ihren enthusiastischen Wasserübergaben und Anfeuerungen viral gegangen. Waren Sie davon überrascht?
Das war kurios, ja. Ich mache das seit 30 Jahren mit dem gleichen Enthusiasmus. Ich finde das geil, diese Spitzen-Athleten zu erleben. Und dann war ich einmal zehn Sekunden im TV, dann ging das ab wie eine Rakete. Ich war total überrascht und habe Anrufe bekommen, dass ich im TV zu sehen war. Ich habe gesagt: "Ich habe gar keinen Fernseher, aber schön! Was war denn da?" Dann wurde mir die Story erzählt. Im Jahr darauf haben wir dann einen netten Videoclip gemacht.
Dadurch kommen auch mal die Leute hinter dem Erfolg von solchen Rekorden aus dem Schatten heraus, das finde ich gut. Wir opfern unsere Freizeit, bekommen keinen Cent. Da kriegt man etwas zurück.
"Bottle Claus" entstand in den USA
Der Spitzname kam aus einer US-Sendung, richtig?
Ja, durch eine TV-Sendung. Auch in den USA guckt man Marathon in Berlin. Da gab es eine Meldung, sie haben sich darüber unterhalten und so hat sich Bottle Claus etabliert.
Eine deutsche Version gibt es nicht?
Schulke: Es gab mal "Flaschengeist", aber es hat sich eben Bottle Claus etabliert.
Werden wir Kipchoge nochmal in Berlin sehen?
Das wäre unsere größte Hoffnung. Hier hat er seine größten Erfolge gefeiert. Ich würde es mir sehr wünschen. Er hat Berlin viel gegeben und mehrere Rekorde aufgestellt. Hier ist er der Star schlechthin. Er hat eine tolle Ausstrahlung, ist ein netter Kerl. Es wäre toll, wenn ich ihn nochmal privat treffen und ein bisschen schnacken könnte.
Standen sie in diesem Jahr mal in Kontakt zu ihm?
Vor den Olympischen Spielen habe ich ihm alles Gute gewünscht per Instagram. Letztes Jahr hat er mir zum "Race Across America" eine Video-Botschaft geschickt und gratuliert. Das fand ich sehr rührend. Das zeichnet ihn aus, er ist sehr menschlich. Deswegen bewundere ich ihn auch und nennen ihn immer "My Hero". Ich trage auch immer noch sein Armband mit der Aufschrift: "No human is limited - Eliud Kipchoge."
Herr Schulke, vielen Dank für das Gespräch.