Woche 3 in der NFL brachte erneut große Überraschungen mit sich. Die Packers haben erneut mit Malik Willis gewonnen, die Vikings entnervten die Texans und die Ravens zitterten sich zum ersten Sieg, während die Dolphins ohne Tua enttäuschten.
sport.de-Redakteur Marcus Blumberg liefert jeden Montag seine Erkenntnisse der NFL-Woche.
Brauchen die Ravens einen Plan B?
Dafür, dass die Ravens das Spiel in Dallas über drei Viertel komplett dominiert hatten, mussten sie am Ende ganz schön zittern, um ihren ersten 0-3-Start seit 2015 zu verhindern. Nach so einem Spiel am Ende nur mit 28:25 zu gewinnen, ist herzlich wenig und gibt den Spielverlauf und das Kräfteverhältnis nur bedingt wieder.
Vor allem beeindruckend war die Tatsache, dass sich im Backfield gewissermaßen ein dreiköpfiges Monster gebildet hat mit Lamar Jackson, Derrick Henry und Justice Hill. Zusammen liefen sie für 274 Yards (ein 3-Yard-End-Around von Zay Flowers). Es war eine bärenstarke Vorstellung auf dem Boden. Doch es zeigte auch das Problem dieses Teams auf - es fehlt der echte Plan B.
Als es im Schlussviertel darum ging, das Spiel nach Hause zu bringen, stockte der Motor Baltimores merklich. Die Cowboys fanden doch mal einen Weg, die dann recht simplen Läufe durch die Mitte zu stoppen - man kam ein wenig vom Read-Option-Ansatz weg, mit dem die Cowboys zuvor so gar nicht zurechtgekommen waren - und das Passspiel wackelte dann in offensichtlichen Passing Downs, weil dann nämlich der Pass Rush der Cowboys doch zur Geltung kam und für ein wenig Pressure sorgte.
Am Ende saß dann doch noch ein letzter Pass für das vorletzte First Down, ehe Jackson mit einem brillanten Option-Keeper nach angetäuschtem Outside-Zone-Run von Hill das letzte First Down zum Sieg erlief. Doch wer weiß, vielleicht wäre für die Cowboys mit besserem Clock-Management von Mike McCarthy und einer Incompletion der Ravens am Ende doch noch was drin gewesen. Wie schon in der Woche zuvor, als die Ravens einen sicher geglaubten Sieg gegen die Raiders noch aus der Hand gegeben hatten.
Die konstante Frage über all die letzten Jahre bleibt also auch in diesem Jahr bestehen: Was, wenn jemand den Run stoppt? Geht es dann auf Kommando auch durch die Luft? Oder muss man wenigsten auch ganz am Ende noch die Varianten im Run Game beibehalten, um den Gegner auf Abstand zu halten? In jedem Fall reicht es nicht, zu glauben, dass man einfach dreimal durch die Mitte laufen kann, um eine Uhr zu killen.
Darum sollte Drake Maye weiter draußen sitzen
Woche 3 begann mit einem deutlichen Heimsieg der New York Jets über die New England Patriots. Und auch wenn der Ausgang des Spiels zu erwarten war, blieb in erster Linie eines hängen: Die Offensive Line der Patriots ist eine Katastrophe. Sicherlich ging man schon ersatzgeschwächt in die Begegnung, doch selbst das ist keine Entschuldigung dafür, dass diese Line 15 QB-Hits zugelassen hat. Jacoby Brissett sah dabei Pressure in zwölf seiner 23 Dropbacks, das entspricht einer Pressure-Rate von mehr als 52 Prozent.
Und er kassierte fünf Sacks, also Sacks in 41,7 Prozent seiner Pressures gegen ihn. Und das gegen ein Team, das in Woche 2 mit Jermaine Johnson seinen wohl besten Pass Rusher verloren hat. Das sind natürlich verheerende Zahlen, die letztlich zur Folge hatten, dass Rookie Drake Maye unerwartet zu seinem Debüt in der NFL kam. Und selbiges bestätigte, was eigentlich hätte klar sein sollen: Auch der athletisch stärke Maye stand nicht weniger unter Druck.
Im Gegenteil! In seinen zwölf Dropbacks sah er fünf Pressures und steckte seinerseits zwei Sacks ein. Er scrambelte noch für ein paar Yards auf dem Boden, doch unterm Strich bleibt dieses Bild von einem seiner Sacks, als er dabei mit dem Hinterkopf hart auf dem Boden aufschlug. Offenbar zog er sich dabei keine Gehirnerschütterung zu, doch überraschend wäre eine solche nach der Szene auch nicht gewesen.
Maye soll die Zukunft auf Quarterback in diesem Franchise sein. Entsprechend hat seine Entwicklung Priorität. Jedoch ist das Gerüst, dass die Patriots um ihren herum gebaut haben, so instabil, dass es wenig ratsam wäre, ihn nun auf Teufel komm raus spielen zu lassen, nur weil man damit eventuell ein bis zwei Spiele mehr gewinnen könnte als mit Brissett. Die Chancen, dass er sich hinter dieser Line verletzt, stehen hingegen nicht so schlecht basierend auf den bisherigen Eindrücken.
Brian Flores hat zweite Chance verdient
Ein Kandidat für den Coach of the Year - ja, es ist ziemlich früh dafür - muss Kevin O'Connell von den Minnesota Vikings sein. Was er aus Sam Darnold herausholt, ist im Prinzip schon jetzt phänomenal. Damit hätte keiner gerechnet nach dem Ausfall von J.J. McCarthy. Doch O'Connell allein ist nicht der Grund für den Erfolg der Vikings in diesem Jahr. Die Defense spielt ebenfalls beeindruckend gut auf.
Hinter dieser Unit steht Defensive Coordinator Brian Flores, der am Samstag den Houston Texans den Zahn gezogen hat. Seine Defense hat sieben Punkte gegen C.J. Stroud und Co. zugelassen. Stroud wirkte zuweilen überfordert, kassierte vier Sacks und warf zwei Interceptions, auch wenn die erste ziemlicher Pech war.
Flores brachte den perfekten Gameplan mit und legte zwei komplett unterschiedliche Halbzeiten hin. Vor der Pause wurde Stroud hemmungslos geblitzt und zwar laut "Next Gen Stats" in 54,4 Prozent seiner Dropbacks. Nach der Pause waren es dann nur noch Blitzes in 27,3 Prozent der Dropbacks. Wirkung zeigten die Blitzes aber in jedem Fall: Stroud brachte dagegen nur 9/15 Pässen für 103 Yards an. Es gelang ihm ein Touchdown, aber auch eine Interception und seine Completion Percentage over Expected lag bei -15,6 Prozent.
Und wem es gelingt, Stroud den Zahn zu ziehen, sollte auch irgendwo die Chance auf einen Head-Coach-Posten erhalten. Im Fall von Flores wäre es nach dem Engagement in Miami bereits der zweite Anlauf. Angesichts der derzeitigen Leistungen seiner Unit ist das aber keineswegs abwegig. Jedoch hat er immer noch eine Klage gegen die NFL laufen, was dann doch ein Hindernis sein könnte. Aber auch hier bräuchte es nur einen aufgeschlossenen Owner, der über seinen Schatten springen könnte.

Altbekannte Probleme der Dolphins sind zurück
Stichwort: Wie ersetzt man seinen Franchise-Quarterback? Die Vikings haben das bislang ziemlich gut gemacht. Herausragend machten es derweil die Packers, die ohne Jordan Love ihre letzten beiden Spiele gewonnen haben und wofür Head Coach Matt LaFleur aller Respekt gebührt. Den Tennessee Titans war es in den vergangenen zwei Jahren nicht im Ansatz gelungen, so viel aus Malik Willis herauszuholen. Geschafft hat LaFleur dies, in dem er viel Wert auf sein Outside-Zone-Run-Scheme legte und für Willis viele einfache Reads und kurze Würfe designte.
Ganz anders sah es da schon bei den Miami Dolphins aus, die bekanntermaßen mindestens vier Spiele auf Tua Tagovailoa verzichten müssen. Im ersten Anlauf in Seattle ging so ziemlich alles schief, was möglich war. Man verlor 3:24, doch damit nicht genug: die Dolphins steckten zahlreiche neue Verletzungen ein. Left Tackle Terron Armstead musste verletzt raus, Right Tackle Austin Jackson ging vorzeitig raus und auch Fullback Alec Ingold überstand das Spiel nicht ohne Verletzung. Im dritten Viertel verließ überdies Backup-Quarterback Skylar Thompson nach einem unterirdischen Auftritt das Feld mit einer "Brustverletzung" und kam nicht zurück.
Für ihn übernahm Tim Boyle, der immerhin unverletzt den Rest des Spiels überstand.
Abgesehen davon, dass die Offensive Line nun mehr verletzte verbuchte, bleibt die Erkenntnis, dass diese Line weiterhin einer Großbaustelle gleicht. Seit 2016 ist General Manager Chris Grier nun in Amt und Würden und seit gefühlt fünf Jahren sitzt er nun schon dran, diese Line auf Vordermann zu bringen. Bislang ohne Erfolg.
In Seattle ließ man 16 Pressures in 34 Dropbacks zu und kassierte sechs Sacks. Fünf davon entfielen auf Thompson. Und das wiederum muss man in erster Linie Mike McDaniel ankreiden. Dem Head Coach ist es offenkundig nicht gelungen, in der langen Pause seit der Tua-Verletzung am Donnerstag in Woche 2 sein Scheme an Backup Thompson anzupassen, um ihn in eine Position zu bringen, in der er gewinnen kann. So, wie es O'Connell mit Darnold macht, und so, wie es LaFleur mit Willis macht.
McDaniel nicht ohne Schuld an Dolphins-Misere
Das größte Problem - und das war Thema unter der Woche! - ist dabei die Tatsache, dass Thompson ein fundamental anderer Typ Quarterback als Tua ist. Tagovailoa ist dann am besten, wenn er den Ball schnell loswird und ihn eben in Windeseile verteilt. Im Schnitt brauchte der Linkshänder seit dem Start der vergangenen Saison nur noch knapp über 2,3 Sekunden, um das Leder loszuwerden. Thompson hingegen hält den Ball in seiner Karriere - nahezu nur Spiele in der Saison 2022 - im Schnitt rund drei Sekunden bis zum Pass. Und selbst wenn es nun nur noch 2,9 Sekunden wären, wäre das immer noch andere eine Welt im Vergleich zu Tua.
Tua hatte zuletzt schon Probleme mit der Offensive Line, der er mit seinem Quick Release unter die Arme gegriffen hat. Thompson nun war gänzlich überfordert hinter der porösen Line, die offenbar nicht in der Lage ist, solange standzuhalten wie Thompson zum Passen braucht. Insofern könnte Boyle, der in seiner fünfjährigen Karriere im Schnitt nur rund 2,4 Sekunden zum Pass braucht, kurzfristig dann doch der bessere Fit für diese Offense sein. Also auch dann, wenn Thompson am Ende doch nicht schwerer verletzt sein sollte.
In jedem Fall aber muss sich McDaniel umstellen und versuchen, sein Scheme näher an seinen künftigen Starting Quarterback heranzubringen, wenn die nächsten paar Wochen nicht schon das Ende aller Hoffnungen in dieser Saison bedeuten sollen.