Gina Lückenkemper blickte nach dem Zieleinlauf sofort hoch zur Anzeigetafel, doch dort leuchteten keine guten Nachrichten auf. Für die frühere Europameisterin hat sich der Traum vom olympischen Finale in Paris in einem Hundertstel-Krimi nicht erfüllt.
"Ich ärgere mich einfach nur", sagte Lückenkemper mit "Wut" im Bauch: "Es ist eine Zeit, die ich voll drin habe."
Im Halbfinale im Stade de France fehlten ihr nur 0,02 Sekunden, um beim mit Spannung erwarteten Showdown zwischen Weltmeisterin Sha'Carri Richardson und Co. dabei zu sein. Die US-Amerikanerin Twanisha Terry löste als letzte Sprinterin das Finalticket, Lückenkemper lief in 11,09 Sekunden knapp daran vorbei.
"Ich hätte anders performen müssen"
"Es wäre schön gewesen, wenn es heute 105 Meter gewesen wären anstelle von 100 Metern", sagte Lückenkemper: "Heute war der Tag, an dem es gezählt hat. Ich hätte anders performen müssen. Ich hatte so ein unfassbar genial gutes Warm-up, ich bin so ready gewesen. Ich habe es einfach nicht auf die Bahn gebracht, das ist einfach nur ärgerlich."
Als bisher letzte deutsche Athletin war Heike Drechsler 1988 in einem Olympiafinale über die 100 m dabei gewesen, die Weitsprung-Legende gewann damals Bronze für die DDR. Für Lückenkemper wäre die Finalteilnahme nach ihrem famosen Lauf zu EM-Gold in München 2022 der zweitgrößte Erfolg ihrer Karriere gewesen.
Doch wieder einmal war im Halbfinale Endstation - wie schon bei den Weltmeisterschaften 2017, 2019, 2022 und 2023. Lückenkemper blieb 14 Hundertstel über ihrer Bestleistung, die mittlerweile fast auf den Tag genau bereits sieben Jahre zurückliegt. In London war sie 2017 10,95 Sekunden gelaufen.
Lückenkemper bereitet sich auf Gänsehautstimmung vor
Nach ihrem soliden Auftritt im Vorlauf (11,08 Sekunden) hatte Lückenkemper angekündigt, sich auch abseits der Bahn auf die stimmungsvolle Kulisse vorzubereiten. "Ich werde mich auf jeden Fall mit unserer Sportpsychologin zusammensetzen, um über Strategien zu reden, wie man mit dieser besonderen Atmosphäre wirklich umgeht", sagte Lückenkemper.
Die spektakuläre Kulisse vor weit mehr als 60.000 Zuschauern sei das Beste gewesen, was sie je in einem Leichtathletik-Stadion erlebt habe. "Das hat mich ein bisschen umgehauen."
Auch im Halbfinale herrschte in Frankreichs Nationalstadion eine Gänsehautstimmung. Die Laufzuteilung spielte Lückenkemper zumindest scheinbar in die Karten, denn den ganz großen Favoritinnen ging sie aus dem Weg. Sie klopfte kurz vor dem Startschuss zweimal auf ihre Oberschenkel, zündete nach einem wie üblich etwas trägen Start den Turbo - doch es reichte nicht.