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Die sport.de-Kolumne von Florian Regelmann

Andy Murray: Ein-Mann-Theaterstück für den Broadway

Andy Murray wird seine legendäre Karriere wohl bald beenden
Andy Murray wird seine legendäre Karriere wohl bald beenden
Foto: © IMAGO/BEAUTIFUL SPORTS /Pajonk
13. Juni 2024, 15:03

In seiner sport.de-Kolumne beleuchtet Florian Regelmann alle Themen, die ihn gerade umtreiben, begeistern oder aufregen. In Folge drei geht es um eine Legende, die kurz vor dem Karriereende steht: Andy Murray. 

Andy Murray befindet sich auf der Zielgeraden seiner legendären Karriere. Höchste Zeit, noch einmal mit ihm zu sprechen. Über LeBron James als Inspiration, eine besondere Starting Five und die Zukunft des Tennissports.  

Die Aufgabe, die ich Andy Murray am Rande der BOSS Open in Stuttgart gegeben habe, scheint ihm zu gefallen. Ich habe ihn gebeten, eine Starting Five aus Tennisspielern zusammenzustellen. Unser erstes gemeinsames Interview vor 13 Jahren drehte sich um seine Leidenschaft für die NBA, jetzt, in meinem vielleicht letzten Interview mit dem aktiven Tennisspieler Andy Murray, geht es zum Start auch wieder um Basketball.

Sein ehemaliger Coach Brad Gilbert nahm ihn einst zu den Golden State Warriors zu seinem ersten NBA-Spiel live vor Ort mit. Seitdem verehrt Murray Warriors-Star Steph Curry, auch weil dieser immer mit einem Lächeln im Gesicht spielt und in großen Momenten seine beste Leistung abliefert. Wer soll also in seine Starting Lineup?

Andy Murray: Das ist meine Starting Five 

"Als Center nehme ich Giovanni Mpetshi Perricard. Er ist ein großer und kräftiger Junge. Dann muss Nick Kyrgios auf jeden Fall mit rein, er liebt Basketball und er spielt auch ziemlich gut. Hm, wer noch? Thanasi Kokkinakis ist auch Basketball-Fan, aber nach allem, was ich gehört habe, ist er nicht der Beste. Ich weiß nicht, ob ich ihn nehmen kann."

Was ist mit Dir, frage ich ihn. "Ich stelle mich selbst als Point Guard auf. Wenn ich in der NBA spielen würde, wäre ich definitiv ein Guard, wahrscheinlich ein Point Guard. Ein Spielmacher, der ein guter Stratege ist, so jemand wie Chris Paul vom Spielertyp."

Murray, Kyrgios und Mpetshi Perricard sind also fix, noch zwei Spots sind zu füllen. Murray überlegt lange.

"Vielleicht sollte ich noch einen der serbischen Jungs nehmen, die sind nicht schlecht. Wer wäre denn ein guter Power Forward mit gutem Touch? Jetzt hab ich es, ich nehme noch Ben Shelton. Und als Small Forward entscheide ich mich für Tommy Paul. Frances Tiafoe würde sich bestimmt wünschen, dass ich ihn nehme, aber ich habe ihn heute Morgen werfen gesehen und er hatte so seine Probleme, ich kann ihn nicht nehmen, sorry", schmunzelt Murray.

Fassen wir also zusammen…

Point Guard: Andy Murray

Shooting Guard: Nick Kyrgios

Small Forward: Tommy Paul

Power Forward: Ben Shelton

Center: Giovanni Mpetshi Perricard      

Murray wirkt sehr gelöst in diesen Tagen. Irgendwie ist es eine seltsame Situation, wenn man sich vorstellt, dass er wahrscheinlich sehr bald schon seine Karriere beenden wird. Seit ich Murray 2005 in Queens (6:3, 6:3 gegen Taylor Dent!) das erste Mal spielen sah, habe ich seine Karriere in besonderem Maße verfolgt. Vor einiger Zeit hat er angekündigt, dass bald Schluss sein wird, nur wann genau, das weiß offiziell niemand. 

Klar, Anfang Juli in Wimbledon aufzuhören, würde natürlich am meisten Sinn ergeben. Die Ankündigung, dass er dort zum ersten Mal mit seinem Bruder Jamie Doppel spielen wird, passt da gut ins Bild.

Aber der zweimalige Olympiasieger hat auch immer betont, dass er eigentlich gerne noch bei den Spielen in Paris dabei wäre. Also vielleicht danach? Wobei er jetzt andeutete, dass er sich nicht sicher ist, ob er Olympia noch mitnehmen will, sollte er nur im Einzel antreten können. Es bleiben also weiterhin einige Fragezeichen. 

Theoretisch wären auch die US Open in New York ein passender Ort, um Goodbye zu sagen. Der Ort, an dem er 2012 durch einen Fünfsatz-Sieg gegen Novak Djokovic endlich seinen ersten Grand-Slam-Titel holte - nach zuvor vier verlorenen Finals. Murray nannte damals LeBron James als Inspiration, weil dieser ähnlich wie er erst viele Niederlagen einstecken musste, ehe er den großen Wurf landete.

Andy Murray: LeBron James als Inspiration 

"Viele Leute haben an LeBron gezweifelt, da habe ich mich sehr gut wiedergefunden, weil es bei mir ähnlich war. Ich habe mich generell immer sehr für Spieler gefreut, die erst durch tiefe Täler gehen mussten, bevor der ganz große Erfolg kam", erzählt mir der inzwischen 37-Jährige, der in seiner Karriere insgesamt drei Grand-Slam-Titel gewann (neben den US Open 2012 noch zweimal Wimbledon 2013/2016). Wie viele Slams er wohl gewonnen hätte, wenn er nicht in der Ära der Big Three gespielt hätte? Seine Final-Bilanz gegen Novak Djokovic und Roger Federer steht bei 2:8.   

Trotzdem ist es angebracht, von einer Big Four zu sprechen, nicht von einer Big Three. Murray gehört als ehemalige Nummer eins der Welt und mit seinen 46 Karriere-Titeln in diese Kategorie mit rein. Vielleicht ist es sogar als seinen größten Erfolg anzusehen, dass er im Juni 2024 überhaupt noch Profitennis spielt. 

Dass er mit seiner Metall-Hüfte nochmal so zurückgekommen ist auf einem richtig anständigen Niveau. Bis auf Rang 36 schaffte es Murray noch im vergangenen Jahr. Mehr als respektabel. Murray ist auch nicht müde. Er liebt Tennis nach wie vor, er würde gerne noch weitermachen. Aber er musste Schritt für Schritt einsehen, dass der Körper es einfach nicht mehr zulässt, dass er sich zurück nach ganz oben spielt und bei großen Turnieren einen tiefen Run hinlegen kann. 

Im Gegenteil. Inzwischen geht es wieder in die ganz andere Richtung. Murray wird nächste Woche aus den Top 100 fallen - sein Auftritt bei seiner Erstrundenniederlage in Stuttgart, sein 999. Einzel-Match der Karriere, war gelinde gesagt nicht gerade vielversprechend. 

Dabei sah Murray selbst in den vergangenen Monaten von der Körpersprache auf keinen Fall wie jemand aus, der noch ein bisschen vor sich hin spielt und bald aufhört. Normalerweise ist jedes seiner Matches heute immer noch ein einzigartiges Murray-Erlebnis, Drama inklusive.

Er ist on fire. Er pusht sich, er schimpft. Er lacht immer häufiger sarkastisch. Er spielt viel zu lange Ballwechsel, obwohl er die Punkte im jetzigen Stadium der Karriere doch kürzer halten müsste. Andy Murray ist ein Ein-Mann-Theaterstück für den Broadway. Es ist einfach so. 

Andy Murray: Muss Tennis moderner werden?

Murray wird dem Sport aber auch deshalb fehlen, weil er viel mehr ist als jemand, der mit einem Schläger gut gegen einen gelben Filzball schlagen kann. Murray ist vielleicht der klügste Kopf im Tenniszirkus, der sich auch nicht scheut, zu sportpolitischen oder gesellschaftlichen Themen Stellung zu beziehen.  

Ich frage ihn, ob der Tennissport etwas von der NBA lernen kann? "Das ist eine wirklich gute Frage. Wenn ich zu einem Basketball-Spiel gehe, gefällt mir immer der Entertainment-Faktor. Ein Basketball-Spiel kann auch ziemlich lange dauern, aber die NBA macht einen super Job, die Fans zu unterhalten, sei es durch den DJ, eine Kiss-Cam, Cheerleader oder dadurch, dass sie T-Shirts in die Ränge schießen. Natürlich soll der Sport weiterhin im Vordergrund bleiben, aber ich denke, dass Tennis da einen besseren Job machen könnte", meint Murray.

Es ist eine der spannendsten Diskussionen im Tennis. Muss sich der Sport verändern, um für jüngere Zielgruppen interessant zu bleiben?

"Wir Spieler müssen uns dafür auf jeden Fall auch öffnen. Wir sind alle damit groß geworden, dass es still sein muss, dass sich niemand bewegen darf. Ich selbst würde das auch als störend empfinden, wenn es jetzt plötzlich anders wäre, auf der anderen Seite ist es jetzt schon in New York bei den US Open sehr laut und daran haben wir uns auch gewöhnt. Das Problem ist eher, wenn es ganz leise ist und sich dann ein Zuschauer bewegt oder ein Geräusch macht, das bringt dich raus", erklärt Murray weiter.    

Es ist ein komplexes Thema. Darts gilt allgemein als der Party-Sport Nummer eins, aber selbst dort gibt es Stress, wenn Fans beispielsweise in die Wurfbewegung reinpfeifen. Bei den French Open wurde der Belgier David Goffin im Match gegen Local Hero Mpetshi Perricard von den französischen Fans stundenlang durchbeleidigt und offenbar sogar bespuckt. 

Andy Murray: Keine Verhältnisse wie im Fußball bekommen

Das macht auch Murray Sorgen. "Das ist natürlich komplett inakzeptabel. Ich liebe es, zu Fußball- oder Basketballspielen zu gehen, aber gleichzeitig finde ich gewisse Dinge, die dort passieren, völlig daneben. Wir wissen alle, wie die Spieler bei einer Ecke oder einem Freiwurf von den gegnerischen Fans aufs Übelste beschimpft werden, die kriegen die schlimmsten Dinge ins Gesicht geschrien, ihre Familien werden beleidigt, da werden Dinge geworfen. Und nur weil es Fußball ist, finden wir das irgendwie okay. Ich will nicht, dass wir solche Verhältnisse im Tennis bekommen. Wir sind davon weit entfernt, aber wir müssen auf jeden Fall aufpassen, dass wir da einen gesunden Mittelweg finden und dass keine Grenzen überschritten werden. Wenn du das einmal alles geöffnet hast, gibt es keinen Weg mehr zurück."

Wenn ich Murray so zuhöre, denke ich mir, dass er ein überragender "Tennis-Commissioner" wäre. Er hat viele gute Ideen, wie man den Sport verbessern könnte. Er erwähnt zum Beispiel auch, dass er kein Fan des fünfminütigen Warm-ups ist. Zumindest bei Matches mit einer klaren Anfangszeit, wie einem Grand-Slam-Finale, könnte man sagen, dass ein Match um 15 Uhr auch tatsächlich um 15 Uhr beginnt. Die Spieler kommen auf den Court und los geht's. 

Wie oft es noch für Sir Andrew Barron Murray auf dem Court losgeht, wissen wir nicht. Fakt ist, dass jeder Tennisfan jede Sekunde genießen sollte, die er Murray noch auf dem Platz sehen kann.

Vielleicht hat Murray ja doch nochmal ein gutes Wimbledon-Turnier in sich, auch wenn aktuell nicht sehr viel dafür spricht, so ehrlich muss man sein. Dennoch wäre es ihm einfach zu gönnen. Und immerhin körperlich fühlt er sich nach schwierigen Monaten nach eigener Aussage auf Rasen wieder deutlich besser. 

"Ich wünsche mir, dass man sich einmal an mich als einen Spieler erinnert, der einfach immer hart gearbeitet hat. Der immer weitergekämpft hat, auch wenn er durch schwierige Phasen durchgehen musste, egal ob es Niederlagen oder Verletzungen waren. Der immer wieder aufgestanden ist und jeden Tag sein Bestes gegeben hat," sagt er zum Abschluss.

Und wir sollten alle nochmal laut rufen: Come on, Andy!

sport.de-Kolumnist Florian Regelmann kann auf viele Jahre als leitender Sportredakteur zurückblicken, seit März ist er als Head of US Sports für HEIM:SPIEL tätig. 

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