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Die sport.de-Kolumne von Florian Regelmann

Darum ist Struff der am meisten unterschätzte Sportler

Jan-Lennard Struff siegte zuletzt in München
Jan-Lennard Struff siegte zuletzt in München
Foto: © IMAGO/Mladen Lackovic
07. Mai 2024, 17:09

In seiner neuen sport.de-Kolumne beleuchtet Florian Regelmann alle Themen, die ihn gerade umtreiben, begeistern oder aufregen. Zum Start geht es um Tennisprofi Jan-Lennard Struff.

Genug mit Wer-wird-Bayern-Trainer-Bla-Bla-Bla! Genug! Zum Start meiner Kolumne will ich mich einem Sportler widmen, der ein bisschen mehr Aufmerksamkeit verdient hat: Jan-Lennard Struff. 

Jan-Lennard Struff - "Ich versuche einfach, ein netter Mensch zu sein"

Es gibt Sportler, denen man Erfolge einfach ganz besonders gönnt. Als Jan-Lennard Struff vor knapp zwei Wochen das Turnier in München gewann, gab es in der Tennis-Bubble wahrscheinlich keinen einzigen Menschen, der sich nicht für Struff freute. Im 218. Turnier der Karriere, nach zuvor drei verlorenen Finals, teils auf ganz bittere Art und Weise, hatte Struffi endlich seinen großen Moment.

Und was sagte Struff im Moment des größten Erfolgs? "Ich versuche einfach, ein netter Mensch zu sein." Klappt ganz gut, Struffi, klappt ganz gut. 

"Ich habe Ende letzten Jahres eine Trainingswoche mit Struffi gemacht, dabei hat er auch ein paar meiner engen Freunde kennengelernt. Und wenn solche Leute, die vorher nichts mit einer Person zu tun hatten, sofort hellauf begeistert sind und nach dem ersten Eindruck sagen, was das für ein unfassbar guter Kerl ist, sagt das alles", erzählte Tennisprofi Daniel Masur kürzlich im "Advantage Podcast".  

Er ist noch ein besserer Mensch als Spieler. Das ist so eine Phrase, die mittlerweile ziemlich oft benutzt wird. Aber wenn wir uns anschauen, was alles so abgeht in der (Sport-)Welt, wie Werte immer weniger gelebt werden, sollten wir einfach froh sein, dass die Phrase tatsächlich gar nicht so selten der Wahrheit entspricht. Vor allem im Tennis.

Denn das Gleiche könnte man über Jannik Sinner und Carlos Alcaraz sagen. Was für ein Geschenk für den Tennissport, dass du nach den Big Four zwei solche Jungs bekommst, die deinen Sport in die Zukunft führen und schon die Gegenwart sind - es ist ziemlich unfassbar, wenn man es sich mal genau überlegt.

Struff ist gerade 34 Jahre geworden und damit der drittälteste Premieren-Champion. Er wird nicht mehr die Zukunft im Tennis bestimmen, aber er ist im Herbst der Karriere definitiv der beste Struffi aller Zeiten und macht eher den Eindruck eines 24-Jährigen. "Meine Karriere wäre nicht weniger wert gewesen ohne den Sieg", erklärte Struff nach seinem München-Titel. Und er sagt das nicht nur so, er meint das so. 

Jan-Lennard Struff musste sich alles hart erarbeiten

Wer Struffs Karriere verfolgt, der sieht jemanden, der nicht mit 20 aufgrund massiven Talents nach oben geschossen und dem alles zugeflogen ist. Struff musste sich alles hart erarbeiten. Und was er sich erarbeitete, war über viele Jahre eine extrem respektable Karriere. 

Er war der Typ Top-50-Spieler, jemand, gegen den keiner der Stars gerne spielt, weil er mit seinem Power-Game gegen jeden viel Schaden anrichten kann. Er war immer jemand, der gerade für Deutschland im Davis Cup sein bestes Tennis spielte. Er war auch immer jemand, der die - sorry - beschissensten Auslosungen ever bei Grand Slams abbekam. 

Als Struff aufgrund von Verletzungsproblemen am Fuß Ende 2022/Anfang 2023 nur noch jenseits von Rang 160 in der Weltrangliste zu finden war, schien die Karriere eher auszutrudeln, als dass jetzt noch die beste Zeit überhaupt kommen sollte. Aber von wegen!

Struff-Comeback mit Hindernissen

Struff kämpfte sich auf die harte Tour zurück, rackerte sich durch Qualis und hatte dann vor einem Jahr tatsächlich auch mal ein bisschen Glück. Beim Masters in Madrid schied er in der Quali aus, kam als Lucky Loser noch ins Hauptfeld und legte einen fast wundersamen Run bis ins Finale hin, ehe er von Alcaraz gestoppt wurde. 

Struffs Form war beängstigend gut, so gut, dass man sich schon dachte: Oh Mann, ich will diesen Struffi vor allem in Wimbledon sehen, das kann richtig weit gehen… Stattdessen wurde Struffs magische Saison von einer Hüftverletzung gestoppt. Drei Monate war er raus und wusste zwischendurch nicht, wie es genau weitergeht. Bitterer geht es gar nicht. Was aber in der Folge passieren sollte, war wieder "vintage Struffi". 

Natürlich brauchte er nach seinem Comeback Zeit, bis er wieder in Form kam. Und es waren gerade in diesem Jahr schon Niederlagen dabei, da konntest du komplett bekloppt werden. 6:7 im Fünften bei den Australian Open gegen Miomir Kecmanovic, ein absurdes Match. 6:7 im Dritten in Dubai gegen Hubert Hurkacz, ein absurdes Match mit absurd viel Pech. Alles so Matches, nach denen der geneigte Tennisspieler sagt: "Ich spiele nie wieder Tennis!" 

Aber trotzdem war klar zu erkennen, dass Struff Schritt für Schritt wieder in die Form aus dem vergangenen Jahr kommt, ja sie sogar nochmal steigert. Wer ihn aktuell spielen sieht, sieht ihn irgendwie mit noch mehr Power (gefühlte 400 km/h bei jedem Schlag), mit noch mehr Entschlossenheit, mit noch mehr Überzeugung, mit noch mehr Durchschlagskraft. 

Struffs erster Turniersieg bei ekelhaften Bedingungen

Generell ist Struffs Körpersprache ohnehin etwas für einen Lehrfilm. Wenn ich Struffi auf dem Court beobachte, macht mich das fast betroffen, wenn ich an mich früher denke… Ich bin einfach Andy Murray, aber leider nicht Jan-Lennard Struff… Natürlich war es auch bei ihm eine Entwicklung, aber Struff ist so so so positiv, so so so heiß, auch so frisch, er gibt sich die Faust, er bestätigt und pusht sich die ganze Zeit - es ist sensationell. 

Wenn dann noch Marvin Netuschil (neben Carsten Arriens einer der beiden Top-Coaches von Struff) mit seiner legendär emotionalen und lautstarken Art in der Box sitzt, kreieren die beiden die positivsten Vibes, die es auf der Tour gibt.

Es ist deshalb auch kein Zufall, dass Struff ausgerechnet vor einigen Wochen in München seinen ersten Sieg holte. In einer München-Woche, in der es mal wieder unfassbar eklig war, in der du bei 5 Grad mit Handschuhen, Winterjacke und Bommelmütze am Platz sitzen musstest. Ekelhaft! Aber Struff nahm die Bedingungen an, zockte neben dem Einzel noch schön Doppel die ganze Woche und meckerte nicht ein einziges Mal. 

Oder das Match in Monte-Carlo gegen Sebastian Baez. Junger Argentinier, auf Sand kannst du keine viel schlimmeren Lose bekommen in Runde eins. Struff liegt 1:6, 2:5 hinten, es geht absolut nichts zusammen, das Match ist eigentlich vorbei. Aber am Ende gewinnt er es doch noch und du denkst dir nur so: Es ist so typisch Struffi, wie er das jetzt noch gebogen hat, viele andere Spieler wären schon längst am Flughafen gewesen.      

Jan-Lennard Struff: Ein Vorbild für die junge Generation

Wenn mich jemand fragen würde, welcher Sportler denn meiner Meinung nach so als Vorbild taugen würde, wäre Jan-Lennard Struff tatsächlich meine erste Antwort. Er wäre die ERSTE Antwort. Gut, ausklammern muss man seine komische Fußball-Leidenschaft (Borussia, Borussia BVB), aber das fällt einem VfB'ler wie mir, der alle Spiele gegen Dortmund in dieser Saison gewonnen hat, momentan nicht so schwer.     

In Madrid war jetzt Alcaraz in einem dramatischen Duell erneut in den entscheidenden ein oder zwei Punkten einen Tick zu gut (und mal wieder 6:7 im Dritten, verdammt!), aber es müssen wirklich die absoluten Top-Jungs kommen, um Struff aus dem Turnier zu nehmen. Die letzten vier Niederlagen waren zweimal gegen Sinner, einmal gegen Alcaraz und einmal gegen Alex de Minaur, auch einer der besten Spieler im Jahr 2024. Über fast alle anderen Gegner fegt er gerade mehr oder weniger drüber hinweg. 

Und man hat im Match gegen Alcaraz (der zugegeben nicht auf der Höhe seiner Schaffenskraft war) auch ein neues Selbstverständnis bei Struff gesehen. Es war die ganze Zeit förmlich greifbar, dass es ihm hier nicht reicht, ein gutes Match zu zeigen. Er weiß, dass er jeden schlagen kann. Was ihm in seiner Karriere noch fehlt, ist ein tiefer Run bei einem Grand Slam. Seine Karriere ist nicht weniger wert, wenn dieser Run nicht mehr kommt, aber ich glaube, er kommt. Er kommt bald.  

sport.de-Kolumnist Florian Regelmann kann auf viele Jahre als leitender Sportredakteur zurückblicken, seit März ist er als Head of US Sports für HEIM:SPIEL tätig

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