Brock Purdy schreibt in San Francisco sein persönliches Football-Märchen fort. Trotzdem nehmen ihn einige Kritiker nicht ernst. Im Super Bowl 58 kann er allen beweisen, wie relevant er wirklich ist.
Da steht er nun im Super Bowl. Zuvor hatte Brock Purdy sein Team zum besten Record der NFC geführt (12-5). All das ziemlich souverän und abgebrüht für einen 24-Jährigen im zweiten Profijahr, der in jedem Spiel im Mittelpunkt steht.
Interessanterweise kleben aber immer noch ziemlich viele Rest-Zweifel am Quarterback der San Francisco 49ers. Ist er wirklich so gut? Kann er das wirklich? Als Spielmacher das Team zum Titel führen? Gegen Patrick Mahomes und die gefürchtete Maschinerie der Kansas City Chiefs um Coach Andy Reid?
Ist Purdy nur ein "Game Manager"?
Er sei nur ein "Game Manager", also ein Verwalter, lautete die gängige Kritik an Purdy. Ein ganz guter, das schon, aber halt ein Verwalter. Und außerdem profitiere er von den Offensiv-Hochkarätern im Kader. Christian McCaffrey, Deebo Samuel, Brandon Aiyuk und wie sie alle heißen. Und natürlich erst recht von dem System des Offensiv-Gurus Kyle Shanahan. Da müsse er ja nur noch ausführen, so die Annahme. Harte Kritik für den Senkrechtstarter der Liga.
Der Aufstieg von Brock Purdy aus den Untiefen eines NFL-Kaders ins Zentrum der Star-Fabrik NFL ist fast schon erdrückend oft erzählt worden. "Mr. Irrelevant", klar. Für alle, die möglicherweise seit einem Jahr hinter dem Football-Mond gelebt oder -News boykottiert haben: Purdy wurde beim NFL Draft 2022 an Nummer 262, also an letzter Stelle ausgewählt, daher der Spitzname "Mr. Irrelevant."
Mitten in der vergangenen Saison musste er dann in Week 13 verletzungsbedingt für QB Jimmy Garoppolo, der auch schon nur Ersatz war, einspringen. Und Purdy? Lieferte sofort und führte die 49ers märchenhaft und mit einer imposanten Siegesserie in die Playoffs. Er erzielte jeweils mindestens zwei Touchdowns in den letzten sieben Spielen. So geht eine Aufsteigergeschichte. Allerdings ohne richtiges Happy-End.
Im NFC Championship Game gegen die Philadelphia Eagles endete diese verblüffende Reise rabiat. Nach einem Tackle verletzte sich der Spielmacher schwer am Ellenbogen des Wurfarms. Es folgte eine Operation, bei der die Sehen der gerissenen Bänder ersetzt wurden und eine lange Leidenszeit in der Reha. Die Zukunft? Plötzlich wieder ungewiss. Denn die Operation hinterließ Fragezeichen, viele kommen nach ihr schwächer zurück. Mindestens sechs Monate solle er pausieren, rieten Ärzte. Purdy war schneller wieder da.
Pünktlich zum Saisonstart meldete sich der Quarterback bei Head Coach Kyle Shanahan fit. Dessen Entscheidung war eindeutig: Purdy ist nicht mehr Interimsmann, er ist die Nummer eins. Garoppolo war weg, kurz vor Saisonstart schickten die Niners Trey Lance zu den Dallas Cowboys. Der Weg war also frei. 2022 hatte sich Purdy erst überraschend hochgekämpft, jetzt musste er das Team ein zweites Mal übernehmen.
Und was dann geschah, ist vielleicht noch größer und höher einzuschätzen als der erste Wunder-Lauf von Purdy mit den Niners in der Vorsaison.
Denn angeführt von diesem weder besonders schnellen, starken oder krass wirkenden Quarterback, entwickelten sich die 49ers nach einem kurzen Zwischentief mitten in der Saison zum stärksten und heißesten Team der Liga und spielen nach zwei hart erkämpften Playoff-Siegen am kommenden Sonntag um die NFL-Krone. Nicht schlecht für einen "Game Manager".
Purdy liefert Stats und Argumente
Und siehe da: Der Ex-Mr.-Irrelevant führte die 49ers schon wieder zu einer Siegesserie, fünf Erfolge feierte das Team aus der Bay Area zum Auftakt.
Relevant bedeutet übrigens laut Duden: "In einem bestimmten Zusammenhang bedeutsam, [ge]wichtig". Und oh ja, das ist er in dieser Saison allemal.
Purdy stellte mit 4.280 Passing Yards einen Franchise-Bestwert auf, erzielte 31 Touchdowns durch die Luft und leistete sich gleichzeitig nur 11 Interceptions. Das Passer Rating von 113 ist ligaweit das höchste. Beste Quoten, bester Platz der NFC.
Woche für Woche performte Purdy auf der wichtigsten Position auf hohem Niveau. Aussetzer gab es zwar auch, allerdings nur wenige.
Mitten in der Saison gab es drei Pleiten in Folge. Doch die Niners kämpften sich zurück, setzten spätestens gegen die Philadelphia Eagles ein Ausrufezeichen, als sie Philly mit 42:19 überrollten. Purdys Stats: Vier TDs, 314 Yards.
Der Mann, der in Arizona aufwuchs und in Iowa State aufs College ging, setzt nicht nur auf kurze Würfe zu seinen Mitspielern, sondern sucht auch die langen Pässe tief in den Raum. Und auch wenn er nicht den Eindruck macht: Purdy kann mit kurzen schnellen Läufen Raumgewinne erzielen und auch härtere Hits einstecken. Dabei helfen die 100 Kilogramm seines 1,85 Meter großen Körpers.
Wasser auf die Mühlen der Kritik war dann eher der schwache Auftritt an Weihnachten gegen die Baltimore Ravens, als er vier Interceptions warf und sein Team gegen den Konkurrenten der AFC unterging.
Und Kritiker gibt es trotz des Erfolges einige. Zuletzt meldete sich zum Beispiel Ex-Star Cam Newton erneut zu Wort. "Brock Purdy - die 49ers gewinnen nicht seinetwegen. Er managt das Spiel nur", sagte er schon Ende der vergangenen Saison. Nun legte er nach. "Um als Game-Changer bezeichnet zu werden, muss Brock Purdy der beste Spieler auf der Offensivseite des Balls sein. Und das ist nicht der Fall!, lautete sein Urteil.
Respekt zeigt hingegen Andy Reid, der Head Coach der Kansas City Chiefs. "Er ist ein verdammt guter Spieler", lobte der Trainer den Gegner im kommenden Super Bowl. "Letzte Woche hat er genauso viel mit seinen Beinen wie mit seinem Arm gemacht. Er ist ein guter Footballspieler. Er ist klug und hat ein Gespür für die Dinge."
"Wir haben Glück, dass er unser Quarterback ist"
Verteidigt wird Purdy auch vehement von seinen Mitspielern.
"Ich kann gar nicht genug gute Dinge über Brock sagen", sagte Running Back Christian McCaffrey nach dem Championship Game. "Alles, was er getan hat, seit er hier ist, ist auf höchstem Niveau zu spielen. Alles beginnt mit ihm. Wir haben Glück, dass er unser Quarterback ist. Er muss viel Kritik einstecken, und das völlig ohne Grund.“
Purdy werde "nicht viel Anerkennung zuteil", sagte Left Tackle Trent Williams. "Er ist das niedrig hängende Obst, auf dem viele Leute herumhacken, aber er hat das ganze Jahr über die Plays gemacht."
Und spielte sich sogar in den Kreis der legitimen MVP-Kandidaten, auch wenn Lamar Jackson von den Baltimore Ravens den Award mit Abstand gewann. Purdy landete auf Rang vier, wie die NFL am Freitag bekanntgab.
Wichtiger ist ohnehin die Vince Lombardi Trophy. Auf diese warten sie in San Francisco schon länger. Zwar stand das Franchise 2020 und 2013 im Super Bowl. Aber der letzte Sieg liegt schon lange zurück. 1995 holten die Niners den bis dato letzten der fünf Titel.
Nun kann also Purdy auf der Weltbühne beweisen, dass er mehr als ein Game Manager ist und Titel Nummer sechs für San Francisco holen. Der Druck ist enorm. Bei den 49ers ohnehin, als Quarterback fällt da schnell der Name Joe Montana, die QB-Legende und viermaliger Champion. Ein schweres Erbe.
Trotzdem scheint Purdy das gut wegzustecken. Der Mann, der noch in einer WG wohnt und weiter mit einem wenig protzigen Toyota zum Training vorfährt. Kraft zieht er aus seinem tiefen Glauben. So auch zur Halbzeit im Halbfinale gegen die Lions, als die Niners fast aussichtslos mit 17 Punkten zurücklagen. Purdy behielt die Nerven und führte sein Team zurück.
Niners gefallen sich als Comebacker
Schon zum Auftakt gegen die Packers hatten er und die Niners einen schweren Start ins Spiel erwischt. Gegen Green Bay kam auch Purdy lange Zeit nicht mit dem nassen Football zurecht. Aber: Als es darauf ankam, lieferte er. Sechs von sieben Pässen brachte er an den Mann und im entscheidenden Drive scorte das Team.
Und nun ist er einer von nur vier QBs überhaupt, der vier Playoff-Spiele in ersten zwei Saisons gewonnen hat. Die Comebacker-Qualität begründet er mit der Mentalität.
"Ich habe das Gefühl, dass wir alle lernen, mit dem Rücken zur Wand zu stehen, und dass wir das brauchen", sagte Purdy. Das sei der Moment, "in dem wir unseren besten Spielstil zeigen und wir alle unser Bestes geben".
Trotzdem sollte er nicht darauf setzen, gegen die Chief erneut ein Comeback-Sieg zu feiern. Zu abgebrüht ist der Champion mit seinem Widersacher Mahomes.
Die Mentalität von Purdy, sie wird auch über den Ausgang des Super Bowls entscheiden. Ob die Kritiker wollen oder nicht. Relevant ist er für den Ausgang des Spiels ohnehin.
Emmanuel Schneider



































