Um die Kansas City Chiefs in den NFL Playoffs zu tragen und damit den Champion zu entthronen, braucht es mehr als nur das bessere Personal zu haben. Es braucht einen Iron Man, um den Thanos der NFL zu stoppen.
Als die Chiefs am vergangenen Sonntag im Divisional Game abermals als Sieger gegen die Buffalo Bills das Spielfeld verließen, hatte es ein wenig was vom Ende des mega-erfolgreichen Films "Avengers: Infinity War". Thanos hatte gewonnen und das halbe Universum mit seinen Infinity Stones ausgelöscht. Patrick Mahomes ist in diesem Fall Thanos, auch wenn er nur die Hoffnungen der gesamten "Bills Mafia" auslöschte, aber irgendwo auch die jener, die endlich mal ein Championship Game ohne KC bewundern wollen, schließlich gab es diese seit 2018 durchgängig.
Alles was die Chiefs nun von einem weiteren Super Bowl trennt, sind die Baltimore Ravens, die insgesamt sicher die bislang beste Saison aller 32 Teams der NFL hingelegt haben. Daran ließen sie auch in ihrem Divisional Game gegen die Houston Texans keinen Zweifel und ließen defensiv keinen Touchdown zu. Zudem haben sie alle Mittel, die es braucht, um den Kansas City Chiefs beizukommen. Jene Chiefs, die offensiv in den vergangenen Wochen wieder stabiler wirkten, während sie defensiv ihre vielleicht beste Phase unter Head Coach Andy Reid fortsetzten.
Nach teils blamablen Auftritten mit unzähligen Drops, Offside-Stellungen und (Pre-Snap-)Penalties in der Offensive Line scheinen die Chiefs offensiv die Kurve bekommen zu haben. MVS fing die Bälle, die er jüngst noch hat fallengelassen. Travis Kelce ist wieder ein größerer Faktor und war mit zwei Touchdowns maßgeblich am Erfolg über Buffalo beteiligt und keiner stand Offside. Einziger Wermutstropfen: Mecole Hardman übernahm die Rolle des "Disaster Artist" vom verletzten Kadarius Toney und fumbelte zweimal in drei Touches - einmal natürlich vor der Goal Line durch die Endzone.
Chiefs haben Erfolg mit dem Run
Zudem, und das ist vor allem neu unter Andy Reid, hatte man nun auch Erfolg mit dem Run Game. Das funktionierte zuletzt gegen die Bills zwar nicht durchgehend, doch als es am meisten zählte, tat es seinen Dienst dank einer starken Interior Offensive Line sowie einem wilden Stier in Isiah Pacheco. Geholfen hat natürlich, dass den Bills allmählich die Linebacker ausgegangen sind. Doch die generelle Ausrichtung dieser Offense ist eine ganze andere als früher.
Über die Evolution der Chiefs-Offense seit Mahomes als Starter übernommen hat, könnte man womöglich mittlerweile schon ein Buch schreiben. Grob umrissen aber lässt sich sagen: Was einst eine explosive Big-Play-Offense war, ist jetzt eine, die viel über kurze, schnelle Pässe und das Run Game macht. Es war eine notwendige Entwicklung, weil man sich ans Personal anpassen musste, das mittlerweile zur Verfügung steht. Von Tyreek Hill ist keine Spur mehr, auch ein JuJu Smith-Schuster, der im Vorjahr noch ein wichtiger Faktor war, ist abgewandert - und nur noch ein Schatten seiner selbst. Die einzigen Konstanten dieser Offense sind Mahomes, Kelce und Reid.
Und auch wenn diese Version der Chiefs-Offense nicht mehr furchteinflößend ist, ist sie immer noch sehr gefährlich und schwer zu stoppen. Die Bills hatten damals in Woche 14 mal einen ordentlichen Ansatz gefunden. Sie blitzten Mahomes häufiger als sonst, coverten dazu gut und den Rest besorgten die Chiefs-Receiver selbst. Am vergangenen Sonntag jedoch nahm man den Fuß vom Blitz-Gas und versuchte es mit dem normalen 4-Man-Rush, was gründlich daneben ging - Mahomes wurde nur zweimal geblitzt und brachte insgesamt fast 74 Prozent seiner Pässe an.
Pressure kam auch kaum, die Bills kamen nur zu acht Pressures im Spiel, kein Sack.
Die Chiefs sind also trotz ihrer schlechtesten Saison seit 2018 wieder auf Super-Bowl-Kurs. Die Frage liegt nahe: Sind sie überhaupt zu stoppen?
Ravens das beste Team der Saison
Hier kommen in erster Linie die Baltimore Ravens ins Spiel. Nicht nur, weil sie der nächste Gegner im AFC Championship Game (So., 21 Uhr live bei RTL) sind, sondern auch, weil sie über die gesamte Saison betrachtet das klar beste Team dieser NFL-Saison sind. Schaut man sich die vergangenen sechs Wochen isoliert an, fällt auf, dass beide in Sachen Defense-Effizienz ziemlich nah beieinander sind. Die Ravens ließen über den Zeitraum -0,097 EPA/Play zu, die Chiefs -0,096. Beides sind Top-10-Werte in der NFL.
Die Ravens sind geringfügig besser gegen den Pass, die Chiefs haben in etwa gleichem Maße die Nase gegen den Run vorne. Und dass die Ravens und Chiefs mal ähnliche gute Defenses stellen würden, hätte vor kurzem sicherlich noch niemand für möglich gehalten.
Ein größerer Unterschied besteht da schon eher in Sachen Offense. Hier sind die Ravens seit Woche 13 das dritteffizienteste Team der NFL mit einem Wert von 0,123 EPA/Play, die Chiefs liegen hier gerade mal auf Rang 16 (-0,024). Dieser deutliche Unterschied rührt vor allem aus dem überragenden Passspiel von Lamar Jackson her, dessen Leistung zu 0,272 EPA/Dropback führte. Jener Jackson, den man laut dem Ex-GM der Colts, Bill Polian, am besten stoppen könne, wenn man ihm zum Passen zwingt. Aber Polian hatte dem bald zweimaligen MVP vor dem Draft 2018 ja auch empfohlen, es vielleicht doch eher mal als Wide Receiver zu versuchen...
Die Chiefs-Offense produzierte seit Woche 14 gerade mal 0,055 EPA/Dropback, die Gründe dafür liegen auf der Hand.
Chiefs kurz vor einer Dynasty
Doch das sind nur Statistiken, die zwar einiges aussagen, aber am Ende eben auch nur Daten sind, die in einem Championship Game im Besonderen eine untergeordnete Rolle spielen. Eines der besten Teams der NFL in dieser Saison, hat es auch aufgrund des großen Verletzungspechs nicht geschafft, diese Chiefs zu stürzen. Und dass die Ravens aktuell den wohl besten Kader haben und die konstantesten Leistungen auf hohem Niveau gezeigt haben, muss auch noch nicht wahnsinnig viel heißen.
Zur Erinnerung: Die Eagles waren im Vorjahr eigentlich auch ein besser besetztes Team als die Chiefs im Super Bowl. Doch selbst ein sehr guter Start war am Ende nicht genug, um nicht doch noch dieser angehenden Dynasty - ein weiteren Super-Bowl-Sieg brauchen sie dafür aber schon noch - zu unterliegen. Ohne nun zu weit nach vorne zu schauen, wirkt keines der zwei möglichen NFC-Teams im Super Bowl wirklich stark genug, die Chiefs von eben jenem dritten Super-Bowl-Titel seit Anbeginn der Mahomes-Ära abzuhalten. Die letzte Hoffnung darauf sind damit die Ravens.
Sie stellen den wahrscheinlichen MVP in Lamar Jackson, sie haben im Gegensatz zu früher einen durchaus brauchbaren Receiving Corps und das Run Game funktioniert wie eh und je. Defensiv wimmelt es ebenso von Playmakern, die dank Defensive Coordinator Mike Macdonald eine herausragende Unit bilden, die es wohl jedem Gegner schwer machen wird. Ob das am Ende reichen wird?
Um Thanos zu stoppen, brauchte es am Ende enorme Anstrengungen in einem Extra-Film sowie Iron Man, der mit den Infinity Stones an der Hand das ultimative Opfer brachte, um die Welt zu retten. Ganz so schlimm wird es für Lamar Jackson nun wahrscheinlich nicht, aber eine außergewöhnliche Leistung werden er und seine Weggefährten ebenfalls brauchen, um den amtierenden Champion zu stürzen.
Marcus Blumberg



































