Die erste Pressekonferenz vor dem Schwergewichts-Kampf zwischen Anthony Joshua und Francis Ngannou in London ist eine Machtdemonstration der Saudis. Der "Entertainment-Beauftragte" des Königreichs zeigt schon den Weg zum nächsten Mega-Event auf.
Wer zahlt, schafft an. Im Preisboxen eine Binsenweisheit. Eine, die Saudi-Arabien im Schwergewichts-Boxen zurzeit eindrucks- und machtvoll zur Schau stellt.
Bei der ersten PK in London vor dem Kampf zwischen Anthony Joshua und Francis Ngannou am 8. März in Riad tat dies ein Mann, den mittlerweile alle ehrfürchtig nur noch "Seine Exzellenz" nennen: Turki Al-Sheikh. Der 42-Jährige ist im Reich der Al-Sauds der Unterhaltungs-Minister von Kronprinz Mohammed bin Salman - zuständig für den Bereich "Brot und Zirkusspiele".
Dank ihres prall gefüllten Staatsfonds stellen die Saudis seit Beginn ihrer "Riyadh Season" Box-Events auf die Beine, wie sie es im Schwergewicht lange nicht mehr gegeben hat. Sogar die einst "verfeindeten" britischen Promoter-Größen Frank Warren und Eddie Hearn schütteln plötzlich gut gelaunt einander die Hände und arbeiten im Auftrag "Seiner Exzellenz" artig zusammen.
Der (Petro-)Dollar schafft es noch immer, auch die größten Rivalen an einen Tisch zu bringen.
Zu bestaunen war dies schon kurz vor Weihnachten, als in Riad sechs Schwergewichts-Duelle stattfanden. Neben Joshua (der gewann) und US-Star Deontay Wilder (der verlor) boxte in der Wüste auch der deutsche Hoffnungsträger Agit Kabayel. Der "Junge aus dem Pott" machte in der Kingdom Arena den im Vorfeld mächtig gehypten Russen Arslanbek Makhmudov platt.
Im Februar erreicht der Box-Zirkus in Saudi-Arabien seinen vorläufigen Höhepunkt. Die ungeschlagenen Weltmeister Tyson Fury (WBC) und Oleksandr Usyk (WBA, WBO, IBF) treffen am 17. Februar im "Ring of Fire" - so das Kampf-Motto - aufeinander. Zum ersten Mal seit dem großen Lennox Lewis vor mehr als 20 Jahren wird es wieder einen Undisputed Champion, einen unumstrittenen Meister aller Boxklassen, geben.
Boxen: Aus Rivalen werden auf einmal Partner
Im Vorprogramm kämpfen der Australier Jai Opetaia und Mairis Briedis aus Lettland um die Cruisergewicht-WM. Ein Duell, das überall sonst auf der Welt ein Hauptkampf wäre, den Saudis aber gerade als Appetithäppchen für das große Ding gut genug ist. Gleiches gilt für den 8. März, wenn Joseph Parker aus Neuseeland und der Chinese Zhang Zhilei die Heißmacher für Joshua und Ngannou spielen.
Der von Hearn promotete Joshua und Ex-Käfigkämpfer Ngannou, der bei Warren unter Vertrag steht, setzen dann den Schlusspunkt der "Riad-Saison", ehe der Ramadan auf Pause drückt. Ngannou, früher Champion der MMA-Serie UFC, bestreitet erst seinen zweiten Profikampf als Boxer. Sein Debüt hatte er - zum "Saisonauftakt" - hauchdünn gegen Fury nach Punkten verloren, dafür aber saftig Geld verdient. Für das Gefecht gegen Joshua soll der Kameruner laut Medienberichten 20 Millionen Dollar kassieren. Dem Briten winken 50 Millionen Dollar.
Wer, wann, wo, gegen wen kämpft - das bestimmen künftig nicht mehr Promoter wie Warren oder Hearn. Auch nicht die einflussreichen TV-Sender in den USA und England. Das Sagen hat künftig "Seine Exzellenz". Al-Sheikh jedenfalls machte in London schon deutlich, wie es weitergehen soll.
Erst "ordnete" er gönnerhaft an, Hearn und Warren sollten bitteschön fünf ihrer Topkämpfer auswählen und aufeinander loslassen, was diese sogleich hocherfreut in Auftrag nahmen.
Dann präsentierte Al-Sheikh einen (klobigen) "WUHC"-Gürtel (World Undisputed Heavyweight Champion") für den Sieger des Duells zwischen Fury und Usyk und gab die Richtung für das Boxjahr 2024 vor: "Das hier wartet auf den Sieger am 8. März." Heißt: Joshua oder Ngannou werden den neu gekrönten Herrscher herausfordern. Das nächste Mega-Event am Golf.
Fury und Usyk haben zwar schon eine direkte Revanche für die Zeit nach dem 17. Februar vertraglich vereinbart. Aber: Wenn Al-Sheik und Co. zuerst einen anderen Kampf sehen wollen, ist Papier geduldig.
Agit Kabayel muss sich trotz guter Position gedulden
Mit ihrer Dollar-Bazooka setzen die Saudis gewisse Box-Gesetzmäßigkeiten außer Kraft. Bisher waren Vereinigungskämpfe zwischen den Weltmeistern der konkurrierenden Verbände, zwischen rivalisierenden Promotern und Fernsehsendern selten, weil schwer verhandel- und machbar. Al-Sheikh negiert all das, schüttet die Gräben mit seinem schier unendlich sprudelnden Geldfluss zu.
Den Saudi interessiert nur die große Show, der sportliche Hochglanz für sein Land. Und weil dabei für jeden genug abfällt, machen alle mit: Verbände, Promoter, Boxer, TV-Macher. Das Halbschwergewicht liefert das nächste Beispiel: Im Juni sollen die Weltmeister Artur Beterbiev (WBC, WBO, IBF, Vertrag bei Promoter Bob Arum und ESPN) und Dmitry Bivol (WBA, mit Hearn und DAZN verbunden) genau wie Fury und Usyk den einzig wahren Champion in ihrer Klasse ermitteln. Wo? Ist klar.
Weil derlei große Kämpfe endlich zustande kommen, müssen sich potenzielle Herausforderer, die in den Ränkespielen der Verbände früher oftmals schnell eine Titelchance bekamen, gedulden. Das gilt auch für Agit Kabayel.
Zwar hat der WBC den Deutschen nach seinem Sieg über Makhmudov schon auf Rang vier seiner Weltrangliste platziert. Aber: Dass Kabayel schon bald eine WM-Chance bekommt, ist unwahrscheinlich. Erst einmal sind Fury, Usyk, Joshua, Ngannou dran.
Grämen braucht sich der 31-Jährige nicht. Auch im Rahmenprogramm der großen Namen lässt sich gutes Geld verdienen - und ein Star-Status aufbauen. Einen Vorgeschmack davon hat Kabayel im Dezember schon bekommen.
Martin Armbruster
