Quarterbacks entscheiden in einem eigentlichen Teamsport wie Football oftmals über Sieg und Niederlage. Insofern benötigt es auf dieser Position bestenfalls Konstanz. Aber die NFL erlebt momentan aufgrund von Verletzungen und auch veränderungsfreudigen Trainern eine spürbare Quarterback-Fluktuation. In vielen Fällen können die Backups nicht brillieren, aber Ausnahmen wie in Cleveland gibt es auch.
Joe Flacco gilt schon seit Jahren etwas süffisant als "Stone Age Pony", als ein immobiler Quarterback aus einer alternden Generation. Allerdings hat der mittlerweile 38-Jährige all seine Kritiker noch einmal Lügen gestraft und mit vier Siegen in Folge in der Regular Season die Cleveland Browns in die Playoffs geführt.
Auch im fortgeschrittenen Football-Alter verfügt Flacco immer noch über einen Arm wie eine Haubitze, womit er die Bälle, sofern ihm seine O-Line etwas Zeit gibt, geradezu mit Leichtigkeit 20, 30 oder auch 40 Yards weit befördert.
Bevor Flacco quasi von der heimischen Couch rollte und in Woche 13 das Ruder auf der Quarterback-Position übernahm, hatten die Browns bereits drei andere Quarterbacks eingesetzt. Neben dem designierten Starter und Großverdiener Deshaun Watson, der sich bis zu seinem persönlichen Saisonaus mit Verletzungen herumplagte, waren das P.J. Walker und Dorian Thompson-Robinson.
Die beiden Letztgenannten brachten es zusammen auf zwei Touchdowns in fünf Starts, warfen den Ball aber zugleich neun Mal zum Gegner. Da mag es nicht überraschen, dass das Quarterback-Zimmer im Gebäude der Browns zwischenzeitlich eine Drehtür benötigte. Flacco kam, sah und warf 13 Touchdowns – mittlerweile darf sich Cleveland sogar etwas in den Playoffs ausrechnen. Am Samstag (22:30 Uhr live bei RTL) geht es im NRG Stadium gegen die Houston Texans mit dem überzeugenden Rookie-Quarterback C.J. Stroud. Flacco führte Cleveland in Woche 16 bereits an Ort und Stelle zu einem 36:22-Sieg.
Wenige Teams haben einen fähigen Backup
In dieser Saison kamen bislang Liga-weit 70 Quarterbacks zum Einsatz, die eine zweistellige Anzahl an Passversuchen unternahmen. Im Vorjahr waren es, die Playoffs miteingerechnet, 71 Quarterbacks. Davor jedoch einige weniger. Verletzungen gehören seit jeher dazu und die Verletzungsgefahr hat sich für Quarterbacks trotz einiger Regelanpassungen – Stichwort "Roughing the Passer" – immer weiter erhöht.
Gerade weil Quarterbacks zunehmend selbst mit dem Ball laufen oder mit trickreichen Bewegungen versuchen, einen Sack zu verhindern, kann es zu Blessuren oder auch schwereren Vorfällen kommen. Zugleich scheinen Trainer besonders in dieser Saison seltener davor zurückzuschrecken, ihre eigentlichen Starter zu degradieren – so geschehen zum Beispiel in Denver, Las Vegas, New England und Tennessee.
Allerdings sind viele Teams auf der Backup-Position zum Start einer Saison nur unzureichend besetzt. Ausnahmen existieren natürlich, wie etwa die Indianapolis Colts, die mit Gardner Minshew von Beginn an einen veritablen Backup für Rookie Anthony Richardson bereitstehen hatten.
Hinter Richardson standen nach dem Draft, bei dem er an Nummer vier von Indy ausgewählt wurde, ein paar Fragezeichen ob der arg überschaubaren Anzahl an Spielen, die er im College für die Florida Gators absolvierte. Richardson, von Natur aus ein starker und aggressiver Läufer, musste mehrfach verletzt raus und die Saison nach Woche fünf frühzeitig beenden. Dass Minshew direkt einspringen konnte, war ein Segen für die Colts, selbst wenn es schlussendlich für eine Playoff-Teilnahme knapp nicht reichte.
Zwei Ersatzleute in den Playoffs
Einige andere Teams wiederum mussten sich erst einmal auf dem Free-Agent-Markt umschauen oder einen wie auch immer gearteten Trade initiieren. Erfolgreiche Feuerwehrmänner wie Flacco oder, mit Abstrichen, auch Minshew gab es nur selten, selbst wenn der Bedarf groß war. Josh Dobbs schaffte sogar das Kunststück, bei zwei Teams als Ersatzmann eine Chance zu erhalten. Zunächst absolvierte er acht Partien für die Arizona Cardinals, die zu jener Zeit noch nicht wieder auf ihren Star-Quarterback Kyler Murray zurückgreifen konnten.
Als Dobbs' Zeit in Arizona abgelaufen war, ging er nach Minnesota und durfte sich dort als Lückenfüller für den verletzten Kirk Cousins probieren. Allerdings sind solche Wechsel mitten in einer Saison eine noch größere Herausforderung, denn der neue Spieler muss sich zunächst mit dem Playbook eines Trainers vertraut machen.
Das gilt insbesondere für einen Quarterback, der nicht nur die Plays im Huddle ansagt, sondern auch diese verstehen und richtig timen muss. Dobbs, der einen Abschluss in Luft- und Raumfahrttechnik hält, tat sein Bestes, war aber nach fünf Spielen für die Vikings wieder draußen.
Generell besteht die Frage, wie viele Quarterbacks wirklich die technischen, athletischen und kognitiven Fähigkeiten besitzen, um in der NFL auf hohem Niveau zu performen. Der Zeitdruck aufgrund des immer stärkeren Pass Rush und die Notwendigkeit, hochpräzise Pässe zu spielen, können nur von einer überschaubaren Zahl an Menschen geleistet werden. Alle anderen schlittern meist recht schnell, manchmal mit Verzögerung, ins Verderben.
In den nun anstehenden Playoffs werden voraussichtlich zwei Teams mit Quarterbacks antreten, die zu Saisonbeginn noch keine Starter waren: Das eine Team sind die Pittsburgh Steelers, die mittlerweile mit ihrem Quarterback Nummer drei Mason Rudolph spielen. Auch wenn man Head Coach Mike Tomlin und die Steelers dafür loben muss, dass sie Rudolph quasi als Backup vom Backup zum Start der Spielzeit in der Organisation hielten, sind das keine guten Vorzeichen.
Das zweite Team sind die erwähnten Cleveland Browns, die im "Stone Age Pony" Joe Flacco anscheinend ihren Heilsbringer gefunden haben. Flacco ist jedoch die Ausnahme, denn die hohe Fluktuation an Quarterbacks hat einem Teil der Liga nicht gutgetan.
Constantin Eckner