Sie starteten als Titelfavorit und Spitzenteam. Doch seit Dezember kriselt es bei den Philadelphia Eagles massiv. Die Mannschaft rauscht vom ersten Platz der NFC auf Rang 5 und humpelt in die Playoffs. Was ist los in Philadelphia?
Die Fans in Philadelphia haben da eine Theorie. So eine ist heutzutage online immer schnell an der Hand. Denn wie der Zufall es will: Seitdem der Sicherheitschef der Eagles Dom "Big Dom" Di Sandro, der Name ist Programm, von der NFL wegen einer Auseinandersetzung am Spielfeldrand verbannt wurde, geht es in Philadelphia bergab. Mit ihm stehen sie bei einer Bilanz von 10-1, ohne ihn bei 1-5. Klarer Zusammenhang, der mysteriöse Fall gelöst.
Das ist natürlich Internet-Quatsch. Aber irgendwie muss man sich diesen komischen Fall der Eagles ja erklären. Es ist die große Frage in der US-Metropole: Was zum Teufel ist in den vergangen sechs Wochen mit dem NFC-Giganten passiert?
Denn es ging gut los. Wie in der Vorsaison blieben die Eagles am längsten ungeschlagen in der NFL. In der vergangenen Spielzeit ging es nach einem 14-3-Record bis in den Super Bowl, war quasi nur einen Fumble von Quarterback Jalen Hurts vom Titel entfernt.
Seit Week 13 geht nix mehr in Philadelphia
Und in der neuen Saison ging es erstmal so weiter. Wieder waren die Eagles am längten unbesiegt. Sie schlugen unter anderem die Kansas City Chiefs, Tampa Bay Buccaneers und Dallas Cowboys. Und dann kam Week 13. Die San Francisco 49ers überrollten Philly brutal (42:19). Seitdem geht nichts mehr. Es folgte eine bittere Spanne von fünf Pleiten aus sechs Spielen, auch gegen Teams wie die Cardinals und Giants.
Zur Wahrheit gehörte aber auch: Schon in einigen Spielen zu Saisonbeginn profitierten die Eagles von Spielglück, zitterten sich auch gegen nicht gerade übermächtige Gegner irgendwie zum Sieg.
Die Eagles fielen vom Top-Seed der NFC bis auf Wild-Card-Platz fünf ab. Sie sind erst das zweite Team überhaupt, das nach einem 10-1-Start nicht die Divison gewann. Ausgerechnet NFC-East-Erzrivale Dallas Cowboys fing die Eagles ab. Statt einer Bye Week müssen die Eagles also schon am Super Wild Card Weekend gegen die Tampa Bay Buccaneers ran (Dienstag, 16. Januar 2024, ab 2 Uhr LIVE im Free-TV bei RTL).
Dementsprechend katerhaft ist die Stimmungslage in der Stadt. Die Erwartungen in Philadelphia für die Sportteams im Allgemeinen und die Eagles im Speziellen sind immer hoch. Die Fanbase pflegt eine Art manisch-depressive Verbundenheit zu den Eagles. Also schnell ist alles supergeil, aber das schlägt auch noch schneller in Hohn und Spott um, wenn es nicht läuft. Gerne auch schon während eines Spiels.
Als Referenz wird hier dann immer der Santa-Claus-Vorfall hervorgehoben, als die Philly-Fans 1968 zur Halbzeit den Weihnachtsmann mit Schneebällen bewarfen. Philly tickt anders.
Wenn man eine Analogie zum Fußball machen will: Die Zuschauer in Philadelphia entsprechen vielleicht einer wilden Mischung aus den Fanlagern von Dynamo Dresden, Eintracht Frankfurt und dem FC Schalke. Vielleicht aber auch nicht. Auf jeden Fall: Laut(stark), vorlaut und lauter Emotionen.
Spielt Nick Sirianni jetzt um seinen Job?
Jedenfalls werden plötzlich die Rufe nach einer Entlassung von Head Coach Nick Sirianni lauter. Dem Coach, der im vergangen Jahr noch für den Super-Bowl-Einzug gefeiert und verehrt wurde und als einziger Eagles-Trainer jemals drei Playoff-Einzüge in Serie zum Start seiner Amtszeit schaffte. In der Tat muss sich der 42-Jährige unangenehme Fragen stellen lassen. Möglicherweise spielt er am kommenden Montag tatsächlich auch um seinen Job.
Denn seit Woche 13 stecken die Eagles in einer handfesten Krise und Sirianni hat bisher keine Antworten darauf gefunden – weder in der Offense noch in der Defense.
Es ist teils mysteriös. Denn die vielgelobte Offensive um Quarterback Jalen Hurts scheint plötzlich der Saft ausgegangen zu sein. Die einzelnen Spieler sind extrem talentiert: QB Hurts, Running Back D’Andre Smith oder die Receiver um A.J. Brown. Das ist Spitzenteam-Niveau. Die reinen Offense-Zahlen sind auch nicht besonders schlecht, aber plötzlich findet Hurts seine Kollegen nicht mehr so effizient wie zuvor. Fans und Experten nörgeln: Das Run Game werde vernachlässigt, die alte Floskel "Run the Ball" ausgepackt.
Um ein bekanntes Zitat umzudrehen. Bei den Eagles ist derzeit die Summe weniger als die Einzelteile. Auch das muss man erst mal hinbekommen.
Verletzungssorgen vor den Playoffs
Hinzu kommen Verletzungsprobleme, immer wieder kämpft Hurts gegen kleine und größere Wehwehchen, mal das Knie, zuletzt der Mittelfinger, der "herausploppte", wie der Spielmacher beschrieb. Zwar lobt Sirianni seinen Spielmacher immer wieder und hebt dessen "Toughness" und mentale sowie körperliche Stärke hervor, doch wie ein Quarterback auf der Höhe seines Schaffens wirkt der 25-Jährige, der vor der Saison einen gigantischen Vertrag (51 Millionen Dollar pro Jahr) unterschrieben hat, momentan nicht.
"Aber ich habe keinen Zweifel daran, dass er alles tun wird, um bereit zu sein, und dass er in der Lage sein wird, trotz seiner Beulen und blauen Flecken zu spielen, denn ich habe gesehen, wie er das macht", sagte Sirianni über Hurts. "Ich habe gesehen, wie er das immer und immer wieder macht."
Im letzten Spiel der Regular Season verletzte sich dann neben Hurts und weiteren Eagles-Spielern (Safetys Reed Blankenship und Sydney Brown und Guard Cam Jurgens), auch Star-Receiver A.J. Brown. Er verdrehte sich das Knie und musste vom Platz gebracht werden. Ein Update mit genauer Diagnose und Informationen zu einem möglichen Ausfall gab es lange Zeit nicht. Inzwischen ist klar: Er wird den Auftakt in der Wild Card Round gegen Tampa verpassen. Einfacher macht es die Aufgabe für die Eagles ganz sicher nicht.
Größtes Problem ist die Defense
Wirklich bedenklich wird es dann rund um die Defensive der Eagles.
Bei zugelassenen Punkten rutschten die Eagles von Platz 8 der Vorsaison auf 29 2023 ab (25,1 PPG). In Sachen EPA pro Play Allowed stehen die Eagles sogar nur auf Rang 30.
Ein großes Problem ist, dass die Defense nur wenig Druck auf gegnerische Quarterbacks erzeugt. Nur wenige Sacks und Pressures pro Spiel machen es dem Gegner leicht. Wer so verteidigt, gehört eigentlich gar nicht in die Playoffs. Titelambitionen? Fast schon ganz zerbrochen. Auch bei der 3rd Down Conversion der Gegner liegt Philly ganz hinten, die Konkurrenten punkten in den wichtige dritten Versuchen sehr häufig und schmerzhaft.
Kurioserweise hatte Head Coach Sirianni Anfang Dezember das Play-Calling der Defense von Defensive Coordinator Sean Desai auf Matt Patricia übertragen. Doch seitdem rauschten die Defensivstats noch weiter ab. Der Personalschachzug verpuffte maximal. Seitdem Patricia das Sagen hat, wurde es noch schlimmer. Die Eagles kassierten noch mehr Punkte und ließen noch mehr Yards zu. Man müsse jetzt wieder "schnell und aggressiv" spielen, ordnete Patricia jüngst an.
Hinzu kommen Gerüchte um Grüppchenbildung im Team, immer wieder finden Infos per Leaks den Weg an die Öffentlichkeit, es soll intern Ärger über Entscheidungen von Sirianni geben.
Klar ist: So spielt kein Contender, so spielt kein Team, das den Super Bowl auch nur erreichen wird. Vielleicht ist der Ausflug nach Florida zu den Bucs (9-8) schon der letzte in dieser Saison. Nicht mal das Heimrecht haben sich die Eagles gesichert. Aufgrund der aufgeheizten und leicht entflammbaren Stimmung ist das vielleicht sogar besser.
Die gute Nachricht für die Eagles-Fans zum Schluss: "Big Dom" kehrt pünktlich zu den Playoffs an die Sideline zurück. Immerhin das.
Emmanuel Schneider



































