Kurz vor Weihnachten lohnt bereits ein Blick auf die anstehenden Awards der NFL-Saison 2023. Ein Preis, der in diesem Jahr wohl besonders umkämpft sein wird, ist der für den Coach of the Year, für den es so viele verdiente Kandidaten wie selten gibt.
Sport.de-Redakteur Marcus Blumberg nennt seine Favoriten und warum sie jeweils den Award verdient hätten. Zudem wagt er eine Prognose.
NFL: Kandidaten für den Coach of the Year Award
Viele Wege führen in diesem Jahr nach Vegas zu den "NFL Honors", der Award-Show der NFL, auf der auch der Coach of the Year gekürt wird, der von der "Associated Press" gewählt wird. Und für jeden dieser Kandidaten gibt es gewisse Ansätze, eine Auszeichnung zu begründen. Sei es der Erfolg des Teams insgesamt oder besondere Umstände, die einen Erfolg überraschend machten. Diese Kandidaten ragen heraus:
Mike McCarthy (Dallas Cowboys)
Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal schreiben würde, doch Mike McCarthy hat mich in dieser Saison wirklich überrascht. Trotz der Trennung von Kellen Moore als Offensive Coordinator und Play Caller sieht die Offense der Cowboys immer noch sehr fortschrittlich unterwegs und in diesem Jahr sogar mit einer Pass Rate von 60,7 Prozent auf Rang 4 der NFL in early Downs anzutreffen. Damit sind sie pass-happier als noch in der Vorsaison!
Zudem sind sie mit 0,114 EPA/Play das vierteffizienteste Team der NFL. Sie stehen bei 10-4 und haben die Playoffs schon sicher. Ob es mit dem Division-Titel reicht, ist noch offen und erscheint angesichts der Restprogramme der Cowboys und Eagles auch eher unwahrscheinlich. Aber die Tatsache, dass die Offense ohne Moore nicht schlechter wurde und vielleicht sogar besser ist, sagt schon einiges über die Entwicklung von McCarthy aus. Und allein damit ist er ein Darkhorse in diesem Rennen.
Kyle Shanahan (San Francisco 49ers)
Der offensichtliche Kandidat für diesen Award ist natürlich Kyle Shanahan, der die NFL mit elf Siegen anführt. Die Niners sind der erste feststehende Division-Champion in diesem Jahr, zudem haben sie mit +191 die beste Punktedifferenz der Liga. Der Top-Seed ist ihnen nur schwer zu nehmen, nachdem sie sowohl die Eagles als auch die Cowboys bereits vermöbelt haben. Bis auf diese Drei-Spiele-Niederlagenserie zur Saisonmitte hat das Team keine Schwächen gezeigt und marschiert durch die Liga.
Mehr noch: Shanahans Offense ist nach mehreren Metriken die beste und effizienteste der Liga und sein Scheme macht es Brock Purdy wirklich einfach, auf MVP-Niveau zu agieren. Sollte er mit den Niners tatsächlich den Top-Seed der NFC abgreifen, wäre er ein klarer Favorit auf diese Auszeichnung, zumal es trotz starkem Kader eben nicht klar war, ob Purdy seine gute Debüt-Saison würde bestätigen können. Doch das tat er mit Nachdruck.
John Harbaugh (Baltimore Ravens)
Was für Shanahan gilt, gilt natürlich auch für Harbaugh. Auch er führt mit seinen Ravens die NFL mit elf Siegen an und steuert auf den Top-Seed der AFC zu. Allerdings sieht es bei den Ravens weniger spektakulär aus, was aber auch damit zusammenhängt, dass Lamar Jackson deutlich mehr selbst machen muss und weniger gute Anspielstationen zur Verfügung hat.
Die aggressive und unangenehme Defense tut ihr übriges, um das Team momentan von der Konkurrenz abzuheben. Die Ravens und Harbaugh haben jedoch derzeit den Nachteil, dass man eben dann doch von den imposanten Niners ein wenig überschattet wird. Umso spannender wird das direkte Duell an Weihnachten.
Kevin Stefanski (Cleveland Browns)
Er zählt nicht zu den Favoriten bei den Wettbüros, doch warum eigentlich nicht? Kevin Stefanski wird die Browns sehr wahrscheinlich in die Playoffs führen. Die AFC North scheint zwar nach Baltimore zu gehen, aber mit einer 9-5-Bilanz belegt man derzeit Rang 5 im Playoff Picture der AFC, was die erste Wild Card bedeuten würde. Und die Browns tun dies mit ihrem nun vierten Starting Quarterback in dieser Saison!
Normalerweise ist der Ausfall eines Star-Quarterbacks - auf dem Papier ist Deshaun Watson noch immer ein solcher - gleichbedeutend mit dem Ende jeglicher Hoffnungen eines Teams in einer Saison. Die Browns hingegen fielen auch ohne Watson in kein Loch. Sie starteten den früheren XFL-Star P.J. Walker, sie ließen Rookie Dorian Thompson-Robinson ran und nun wurde Joe Flacco aus dem Vorruhestand geholt.
All das führte nicht zum Leistungseinbruch - ebenso wenig die grausige Verletzung von Running Back Nick Chubb. Stefanski hat den Laden zusammengehalten und sich von Verletzungen von Schlüsselspielern, darunter im Übrigen auch beide Offensive Tackles und der Center, nicht beirren lassen. Dass das auch anders geht, sahen wir in dieser Saison schon vielerorts, man denke etwa ans grüne Team in New York ...
Shane Steichen (Indianapolis Colts)
Bei den Buchmachern liegt Shane Steichen auf Rang vier (Quote: 8,0) dieser Liste und das hat vor allem damit zu tun, dass er die Colts trotz einiger Widerstände auf Kurs gehalten hat. Schon früh verlor er mit Anthony Richardson einen der damals größten Anwärter auf den Offensive Rookie of the Year, zudem musste sein Team über weite Strecken auf Jonathan Taylor verzichten und hatte und hat einige weitere namhafte Ausfälle zu verkraften.
Dennoch brachte er die Colts schnell wieder in die Spur und lässt für die Zukunft hoffen, dass man wenigstens in der eigenen Division, die man mit 8-6 immer noch gewinnen kann, konkurrenzfähig sein wird. Der Rookie-Head-Coach hat in jedem Fall ein gutes Debüt hingelegt.
Mike McDaniel (Miami Dolphins)
Laut aktueller Wettquoten gibt es bei den Buchmachern derzeit drei Favoriten auf den Coach of the Year. Einer davon ist Mike McDaniel. Dieser ist in erster Linie drauf und dran, Historisches zu schaffen, denn die Miami Dolphins steuern auf ihren ersten Division-Titel seit 2008 zu. Angesichts der Tatsache, dass man hinter den Buffalo Bills nicht unbedingt als klarer Favorit in die AFC East gestartet war, ist dies schon bemerkenswert.
Ebenso beeindruckend ist es, dass es McDaniel gelang, seine ohnehin schon starke Offense des Vorjahres nochmal merklich effizienter und explosiver aufzustellen. Und es ist ihm gelungen - auch wenn er davor vor allem die Arbeit seines Quarterbacks in den Vordergrund stellt - Tua Tagovailoas Spiel so zu optimieren, dass er selbst hinter einer verletzungsbedingt zusammengewürfelten Offensive Line offenbar eine ganze Saison unbeschadet überstehen wird. Tua spielt sogar auf MVP-Niveau und hat damit die größte Frage der Dolphins vor dieser Saison beantwortet, nämlich die, ob er der QB der Zukunft für dieses Team sein kann.
DeMeco Ryans (Houston Texans)
Vor Woche 16 haben wir drei Teams, die in der AFC South gleichauf sind. Eines davon sind die Texans, die im Vorjahr noch drei Siege eingefahren haben und die mit ihrem dritten neuen Head Coach in drei Jahren in die Saison gestartet sind. Völlig gleich, ob es die Texans am Ende dann tatsächlich in die Playoffs schaffen oder nicht, hat DeMeco Ryans in seinem ersten Jahr als Head Coach schon jetzt die beste Saison dieses Franchises seit 2019 hingelegt.
Mehr noch: Er hat einen wahren Trümmerhaufen übernommen und daraus eine Einheit geformt, die schon jetzt für die nähere Zukunft gerüstet scheint. Natürlich half es, dass er im Gegensatz zu seinen Vorgängern einen brauchbaren Quarterback und gute Receiver vom Start weg zur Verfügung hatte. Doch selbst ohne C.J. Stroud gelang zuletzt ein enorm wichtiger Sieg über die Titans und zwar per spätem Comeback. Natürlich hat diese Truppe noch einige Mängel, doch sind sie konkurrenzfähig in der Division und der Conference und das darf man mit Recht als Verdienst von Ryans verbuchen.
Dan Campbell (Detroit Lions)
Der dritte große Favorit bei den Buchmachern neben McDaniel und Ryans (Quote: 4,25) ist Dan Campbell, der mit seinen Lions den 2022 eingeschlagenen Weg eindrucksvoll fortgesetzt hat. Schon jetzt hat er zehn Siege auf dem Konto, was keinem Lions-Team seit 2014 gelungen war. Und er steht mit Detroit vorm ersten Division-Titel seit 1993, als man letztmals die alte NFC Central gewann.
Campbell hatte mit seinem Team in der zweiten Saisonhälfte 2022 schon angedeutet, was möglich sein könnte. 2023 hat es diese Truppe dann bestätigt und gezeigt, dass dies kein Sturm im Wasserglas war. Auch wenn das Team defensiv zuletzt durchwachsen agierte, blieb die Offense stets auf hohem Niveau und zeigte, dass sie selbst mit den besseren Teams dieser Liga mithalten kann.
Das ist beeindruckend, besonders vor dem Hintergrund, dass die Lions seit Jahrzehnten eine der Lachnummern dieser Liga waren. Seit Campbell übernommen hat, lacht kaum noch jemand über sie - außer vielleicht über Campbells exzessivem Espresso-Konsum ..
Prognose
Ginge es nach mir, würden am Ende entweder Stefanski oder Ryans gewinnen, denn die Ausgangslage in Houston war wohl trotz Stroud die schlechteste und keiner hatte so gravierende Ausfälle zu kompensieren wie die Browns und blieb trotzdem so erfolgreich. Solche positiven sportlichen Entwicklungen, noch dazu trotz der widrigen Umstände, sind ohne gutes Coaching kaum zu leisten, weshalb diese beiden besonders hervorgehoben werden sollten.
Doch am Ende wird man wohl Campbell wählen, weil auch seine persönliche Entwicklung so herausragend positiv verlaufen ist. Und er bringt eben die beste Story mit und machte aus jahrzehntelangen Lachnummer einen wahrscheinlichen Division-Champion und Super-Bowl-Contender.
Marcus Blumberg