Das lange Warten hat ein Ende: Am Wochenende startet die neue Biathlon-Saison in Östersund. Vanessa Voigt will mit dem DSV-Team ein erstes Ausrufezeichen setzen und zeigen, dass die Mannschaft nach dem Karriereende von Denise Herrmann-Wick weiterhin um das Podest mitlaufen kann.
Im exklusiven Interview mit sport.de spricht die 26-Jährige im Vorfeld unter anderem über ihre persönlichen Ziele, den Umbruch im DSV-Team sowie über das viel diskutierte Fluor-Verbot im Biathlon.
Darüber hinaus schwärmt Voigt von Nachwuchshoffnung Selina Grotian und nennt ihre Favoritinnen auf den Gewinn des Gesamtweltcups.
Frau Voigt, am Wochenende beginnt die neue Weltcup-Saison in Östersund? Wie ist die Vorbereitung für Sie persönlich gelaufen. Mit welchem Gefühl blicken Sie dem Auftakt in Schweden entgegen?
Vanessa Voigt: Ich muss sagen, der Sommer ist gefühlt total schnell verflogen. Ich glaube, es war der Sommer, der am schnellsten vorbeigegangen ist. Bei den ersten Rennen steht man am Start und denkt, und schon geht es wieder los. Ich bin mit meiner Saisonvorbereitung sehr zufrieden. Ich bin verletzungsfrei durchgekommen und bin gesund geblieben über den Sommer. Ich konnte das Training so umsetzen, wie ich es mir erhofft hatte. Dementsprechend bin ich motiviert und gehe mit einem guten Gefühl in die Saison.
Sie haben in der Vergangenheit betont, dass Sie an ihrer Schießzeit arbeiten wollen. Sind Sie dieses Ziel im Sommer noch einmal konkret angegangen? Wie schwierig ist es, hierbei Fortschritte unter Wettkampfbedingungen zu erzielen?
Ich habe meinen Fokus darauf gerichtet. Im Training schaffe ich es eigentlich jedes Mal, meine Schießzeit kontinuierlich unter 25 Sekunden zu halten. Aber im Wettkampf war es dann schon nochmal ein Meilenstein. Die Frage war, ob es irgendetwas Mentales ist und ob es einfach damit zu tun hat, dass ich eine Startnummer umhabe.
Deshalb habe ich mir in der Vorbereitung das Ziel gesetzt, es einfach wochenweise zu überprüfen - sprich mit Wettkämpfen oder auch mit Showkämpfen, die vielleicht ohnehin durch etwas schnellere Schießzeiten geprägt sind. Das ist mir dann sowieso etwas entgegengekommen. Manchmal hat es aber auch gar nicht so reingepasst, da man immer auf die Stundenanzahl schaut, die wir realisieren wollen. Wenn der Wettkampfreiz dann aber dabei ist, muss man sich bezüglich der Stunden schon ein bisschen drosseln und schauen, dass die Regeneration passt.
Ich habe aber glaube ich ein gutes Maß an Wettkämpfen gefunden, habe mich vor allem auf ein paar einzelne Biathlon-Rennen konzentriert und konnte da gezielt schauen, ob es mit der Schießzeit klappt. Ich habe gesehen, dass es auch im Wettkampf möglich ist, schnell zu schießen.
Sie sind in der vergangenen Weltcup-Saison auf dem insgesamt zwölften Platz gelandet. Welches Ziel setzen Sie sich für diesen Winter?
Ich will mich am Anfang der Saison noch nicht so auf den Gesamtweltcup fokussieren. Ich möchte mehr in Richtung der Podestplätze schielen, einfach schauen, dass ich ein Top-Rennen zusammenbekomme. Wenn ich an einem Tag alles perfekt hinbekomme, dann kann ich wieder ganz vorne einlaufen, so wie ich es bereits vor zwei Jahren gezeigt habe. Am Anfang der Saison liegt mein Fokus darauf, einfach gut reinzustarten. Hintenraus kann man dann noch immer sehen, wie es im Gesamtweltcup aussieht.
Durch den Rücktritt von Denise Herrmann-Wick gibt es in der deutschen Mannschaft einen Umbruch. Wie nehmen Sie Ihre Rolle im Team wahr? Nimmt man den Gesamtweltcup aus der Vorsaison als Grundlage, sind Sie auf dem Papier die neue Nummer eins.
Ich glaube, von Nummer eins, zwei, drei und vier braucht man nicht zu sprechen. Wir sind alle auf einem ziemlich gleichen Level. Das hat man auch in den Trainingseinheiten sowie im Wettkampf gesehen. Das bedeutet, dass niemand besonders heraussticht. Natürlich wird man in der Saison sehen, ob es eine von uns schafft. Aber aktuell würde ich sagen, dass alle gefragt sind. Alle können sich gleichgestellt sehen.
Denise Herrmann-Wick wurde innerhalb des Teams als die "Mami" bezeichnet. Was hat sie abseits der Loipe so wichtig für die Mannschaft und die interne Chemie gemacht?
Mit ihrer Erfahrung, die sie jahrelang im Ski Langlauf und Biathlon gesammelt hat, war sie sicher in sehr vielen Sachen gefragt - sei es in der Loipe oder abseits der Loipe. Wenn man die ein oder andere Frage zum Training hatte, war sie offen und wir konnten sie immer fragen.
Durch ihre Erfahrung hat sie zu Entscheidungen im Team beigetragen, weil sie ja auch die Teamleaderin war. Ich glaube, es war auch ganz gut so, weil der Druck dadurch auch etwas von unseren Schultern abgenommen wurde. Ich konnte gerade in meiner ersten Weltcup-Saison ganz befreit auflaufen. Natürlich ist es schon etwas anderes, wenn man dann ein bisschen freier auflaufen kann. Abseits der Loipe konnte sie viele Tipps vermitteln.
Wie wollen Sie das Fehlen von Denise Herrmann-Wick als Mannschaft auffangen?
Ich denke, es gibt nicht mehr die eine Person, die alle Fragen auffängt. Es sind mehrere gefragt, in den Vordergrund zu treten und wir sind insgesamt als Mannschaft gefragt. Die Teamstärke wird ausschlaggebend sein. Jede hat irgendwo ihre Schwächen, aber auch ihre Stärken. Wir müssen diese kleinen Puzzleteile zusammenfügen. Natürlich wird es eine spannende Zeit. Und eine Zeit, in der das ein oder andere vielleicht auch mal nicht klappt. Wir nehmen die Herausforderung auf jeden Fall an.
Neben Denise Herrmann-Wick sind nach der vergangenen Saison weitere Spitzen-Biathletinnen wie Marte Olsbu Røiseland oder Tiril Eckhoff zurückgetreten. Wen schätzen Sie in diesem Winter als Top-Favoritinnen auf den Gewinn des Gesamtweltcups ein?
Natürlich könnte man es so betrachten, dass ein großer Umbruch vonstatten gegangen ist, weil einfach sehr große Namen zurückgetreten sind. Gleichzeitig ist es auch spannend, denn jetzt ist die Zeit, in der man herausstechen kann. Das motiviert sicherlich auch die jungen Athletinnen, dass jetzt die Zeit ist, in der sie gefragt sind.
Ich glaube, dass Julia Simon eine Athletin ist, die sehr schwer zu schlagen sein wird. Sie hat mental einfach eine unglaubliche Stärke. So wie ich die Rennen in Idre Fjäll parallel zu unseren beobachtet habe, ist Elvira Öberg auch nicht so schlecht drauf.
Vor dem Saisonstart gibt es im Biathlon Diskussionen um das Fluor-Verbot. Einige Beobachter äußern die Sorge, dass das Material künftig zu sehr im Vordergrund stehen könnte. Wie nehmen Sie die Debatte wahr?
Ich finde schon, dass es nach den Qualifikationsrennen in Sjusjøen ein Riesenthema geworden ist - auch medial. Medial haben sich einige sicherlich über die Ergebnisse ihre Meinung gebildet, was das mit dem Fluor soll. Wir als Sportler sind aber auch erst einmal ein wenig verunsichert, weil es ein neues Thema für uns alle ist. Am Samstag war es für uns erst einmal nicht so leicht, das ganze Rennen im Zielbereich einzuordnen.
Früher hatte man immer die Test-Ski, ist seine Runden gelaufen und wusste, das sind jetzt Test-Ski und im Wettkampf kommen richtige Raketen. Jetzt ist der Unterschied zwischen Test-Ski und Wettkampf-Ski nicht mehr so groß. Natürlich ist es eine Sache, die sicherlich im Kopf mit herumschwebt. Aber wir nehmen die Herausforderung als Team an. Man hat das ganze Jahr trainiert und sich nun darüber einen Kopf zu machen, bringt ja auch nichts.
Man muss am gewissen Tag X sicherlich einen Top-Ski erwischen. Das war in der Vergangenheit aber ebenfalls so. Man sollte das Thema sicherlich im Kopf haben, aber es sollte nicht die Hauptrolle spielen. Die Skitechniker - egal in welchem Team - geben einhundert Prozent. Sie sind die ersten, die rausgehen, und die letzten, die reinkommen. Da wird mit jedem Quäntchen versucht, gute Ski zu zaubern.
Aus deutscher Sicht werden in dieser Biathlon-Saison unter anderem viele Augen auf Selina Grotian gerichtet sein. Schließlich konnte die 19-Jährige schon große Erfolge im Nachwuchsbereich sammeln. Welchen Eindruck macht Grotian im Training auf Sie?
Durch ihre Art ist sie sehr schnell in unsere Herzen gewandert. Sie ist total aufgeschlossen, was die Zusammenarbeit natürlich leicht macht. Es ist bewundernswert, dass sie in ihrem jungen Alter schon so mit uns mittrainieren kann. Sie macht es total gut. Sie kann und wird total befreit in die Saison gehen.
Wie wollen Sie Selina Grotian innerhalb der Mannschaft unterstützen? Können Sie persönlich die Rolle der Mentorin übernehmen?
Ich denke, da ist jede von uns gefragt. Mir fällt es sehr leicht, denn ich habe über die letzten Jahre schon eine gewisse Freundschaft zu ihr aufgebaut. Ich war mit ihrem Bruder [Tim Grotian, Ex-Biathlet, Anm.d.Red.], der ja leider aufgehört hat, total gut befreundet. Ich stehe immer für Tipps und Tricks parat. Da wir eine gute Freundschaft pflegen, ist es eine gute Basis.
Sie haben auf Instagram kürzlich einen Beitrag geteilt, in dem Sie beschrieben, wie schnell sich gute und schwere Tage im Biathlon abwechseln können. Was wollten Sie damit genau zum Ausdruck bringen?
Manchmal fühlt man sich total ok, hat ein gutes Gefühl, trainiert das ganze Jahr und kann es im Wettkampf nicht rüberbringen. Vielleicht war es dann ein kleiner Baustein, der am nächsten Tag bei einer anderen Strategie wieder ganz anders aussehen kann. Natürlich war es für mich spannend, die Wettkämpfe so zu bestreiten, weil ich wieder gesehen habe, wie nah die Freude und Unzufriedenheit über die eigene Leistung beieinander liegen können.
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Ich kann jetzt schon mit einem guten Gefühl in die Saison gehen. Am Samstag [Testrennen in Sjusjøen, Anm.d.Red.] war es schon noch so, dass mich ich gefragt habe, wo ich eigentlich stehe. Ich konnte es gar nicht so richtig einordnen. Aber deshalb mache ich ja diese Faszination Biathlon, weil es von Tag zu Tag anders sein kann. Schaut man auf die Startliste, hat man gewissermaßen Favoriten. Wer vorne steht, sieht man aber erst am Ende des Rennens.
Was können die deutschen Biathlon-Fans von Ihnen und Ihrer Mannschaft erwarten. Sind deutsche Siege nach dem Rücktritt von Denise Herrmann-Wick weiterhin drin oder geht es erst einmal darum, sich in Richtung Top 10 zu etablieren?
Wir wollen nicht tiefstapeln, sondern wollen alle vorne reinlaufen. Aber natürlich muss man am Anfang auch erst einmal schauen, wo man steht. Für uns sind die Staffel-Rennen ebenfalls enorm wichtig, um zu zeigen, dass wir mit einer jungen Mannschaft parat stehen und uns nicht verstecken brauchen.
Ich glaube, wir haben letztes Jahr gesehen, - auch mit Hilfe von Denise Herrmann-Wick - dass einiges möglich ist. Es waren trotzdem noch drei Läuferinnen dabei, die da noch nicht so viel Erfahrung hatten. Wir haben trotzdem einige Podest-Plätze feiern können. Ich glaube, gerade der Podest-Platz in Antholz hat uns gezeigt, dass wir mit Sportlerinnen, die vielleicht noch nicht so einen großen Namen haben, ebenfalls auf das Podium laufen können.
Zum Saisonstart in Östersund stehen gleich auch die Staffeln mit auf dem Programm. Wie blicken Sie dem Auftakt entgegen und wie fühlen Sie sich wenige Tage vor dem Saisonstart?
Ich finde es echt cool, dass die Saison mit einer Staffel losgeht. Natürlich ist man immer etwas so ein bisschen verunsichert. Man hat zwar Qualifikationsrennen hinter sich, aber kann trotzdem noch nicht so genau einordnen, wo man steht. Gerade beim Einzel ist man angespannt, weil jeder Schuss zählt. Deshalb finde ich es cool, direkt mit dem ganzen Team an den Start zu gehen, mit den Mixed-Staffeln zu beginnen. Ich hoffe, wir können zeigen, dass wir ein cooles Team sind und auch für ganz vorne bereit sind.
Das Gespräch führte Jannik Kube.

