Der Große Preis von Brasilien zählt zu den Formel-1-Rennen im Kalender, auf die einfach Verlass ist. Auf kaum einem Kurs spielen sich so viele Dramen ab, wie auf dem Autódromo José Carlos Pace in Sao Paulo: Unfälle, Überholmanöver, Siege und Niederlagen, über die Jahre später noch gesprochen wird.
Präsent ist noch heute etwa der dramatische Titelgewinn von Lewis Hamilton im Jahr 2008. Oder die phänomenale Aufholjagd von Sebastian Vettel vier Jahre später. Oder auch die Sensations-Pole von Nico Hülkenberg 2010. Nicht zu vergessen die schier unmenschliche Heldentat von Ayrton Senna 1991, als er die letzten sieben Runden im sechsten Gang fuhr und trotzdem gewann.
Angesichts der Fülle an denkwürdigen Momenten gerät die 32. Ausgabe des Brasilien-Grand-Prix im Jahr 2003 schon fast in Vergessenheit. Dabei ist es für viele bis heute eins der besten Formel-1-Rennen aller Zeiten.
Jenson Button crasht mit 230 km/h
Der neue Asphalt machte schon das erste (nasse) Training zu einer unkalkulierbaren Rutschpartie. Nahezu jeder Fahrer flog mindestens ein Mal ab. Manche landeten in der Mauer, andere nur im Gras. Wer auch nur mit dem kleinen Zeh auf den Randstein kam, konnte nur noch hoffen.
Kurz vor Beginn des verregneten Freitags-Qualifyings forderten viele Fahrer per Petition eine Absage, solange sich die Bedingungen nicht bessern. Der Antrag wurde abgelehnt. Mehr schlecht als recht quälte sich das Feld durch die Session.
Richtig Dusel hatte Jenson Button, dessen BAR-Honda bei über 230 km/h aufschwamm und nur wie durch ein Wunder nicht einschlug. "Zu gefährlich" seien die Bedingungen, klagte der Brite hinterher. Dass die Fahrer bei Regen rausgelassen wurden sei "ein Witz", beschwerte sich Button.
Das Samstags-Qualifying lief dann in geordneten Bahnen ab - dem Wettergott sei Dank. Bei trockenen Bedingungen stellte Rubens Barichello seinen Ferrari auf die Pole. David Coulthard und Mark Webber folgten auf P2 und P3. Ralf und Michael Schumacher teilten sich die Plätze 6 und 7. Direkt hinter Schumi stand Giancarlo Fisichella, der noch eine ganz besondere Rolle spielen sollte.
Gefährliche Bedingungen am Renntag
Am Renntag öffnete der Himmel erneut seine Schleusen. Das stehende Wasser auf der Strecke verzögerte den Start. Die FIA erlaubte den Teams, ihr Set-Up zu ändern, um den Wassermassen auf der Strecke Herr zu werden. Erst nach acht Runden hinter dem Safety Car konnte das Rennen endlich beginnen.
Hinten wie vorne kam es in der Gischt zu risikoreichen Überholmanövern. Die Strecke trocknete nun langsam ab. Allerdings nicht überall. Es kam zu gefährlichen Mischbedingungen. Einige Kurven waren trocken, in anderen stand noch Wasser. Der erste gefährliche Crash war nur eine Frage der Zeit.
Unfälle im Minutentakt
In Runde 18 erwischte es schließlich Ralf Firman. Auf der Start-Ziel-Geraden brach die Vorderrad-Aufhängung an seinem Jordan-Ford. Auf seinem Weg in die Mauer nahm er Olivier Panis mit. Teamkollege Fisichella verpasste er nur knapp. Reiner Zufall. Es war ein erster Vorbote auf das, was noch kommen sollte.
In der 25. Runde rutsche Juan Pablo Montoya in der Curva do Sol von der Strecke, nur Sekunden später flog an der gleichen Stelle auch Antonio Pizzonia ab. Beide standen Rad an Rad in der Auslaufzone. Das Schicksal meinte es gut. Es war pures Glück, dass der Brasilianer nicht in den Kolumbianer knallte.
Noch während der Bolide von Pizzonia geborgen wurde, verabschiedete sich auch Michael Schumacher in der Curva do Sol. Auch er rutschte in die Wand. Er hätte das Bergungsfahrzeug oder auch den Jaguar treffen können, hatte aber ebenfalls Glück. Sein Rennen war danach trotzdem vorbei.
Spätestens jetzt hätte die FIA das Rennen ab- bzw. mindestens unterbrechen müssen. Doch es ging weiter. Und so setzten sich auch die Unfälle fort. Jos Verstappen (Runde 31) und Jenson Button (33) waren die nächsten Piloten, die abflogen.
In Runde 54 war das Glück der Formel 1 an jenem Tag aber aufgebraucht. Mark Webber verlor beim Versuch seine Reifen zu kühlen die Kontrolle. Mit 240 km/h rauschte er erst rechts in die Mauer, prallte ab, rutsche quer über die Fahrbahn und knallte links in die Wand. Von hinten kam der junge Fernando Alonso angerauscht. Er sah das Trümmerfeld zu spät. Mit 270 Sachen zerlegte er seinen Renault. Der Tag endete für ihn im Krankenhaus.
Jetzt endlich entschied sich die FIA zu einem Rennabbruch. Zum Sieger wurde Giancarlo Fisichella gekürt, der das dezimierte Feld - nur neun von 20 Fahrern sahen die Zielflagge - zu diesem Zeitpunkt eher zufällig anführte.
Fisichella erst zurückversetzt, dann zum Sieger erklärt
Fisichella steuerte seinen Wagen nach - so dachten alle - Runde 55 in die Boxengasse, wo der Jordan umgehend Feuer fing, weil er hinter dem Safety Car überhitzte. Während der Italiener mit seinem Team feierte, gab es plötzlich Verwirrung bei der Rennleitung. Die Regeln bei einem Abbruch sahen vor, dass die Reihenfolge zwei Runden vor dem Abbruch gleichbedeutend mit dem Endstand ist. Daher zählte das Klassement nach 53 Runden. Hier lag jedoch nicht Fisichella vorn, sondern Kimi Räikkönen. Der Finne wurde zum Sieger erklärt.
Erst einen Tag später kam heraus, dass Fisichella bereits seine 56. Runde begonnen hatte, demnach das Klassement von Runde 54 hätten zählen müssen. Hier war der Italiener in Führung, nicht Räikkönen. Die Folge: Dem "Iceman" wurde der Sieg 24 Stunden später wieder aberkannt.
Es war das bizarre Ende eines Rennens, das in die Formel-1-Geschichte einging.