Das Formel-1-Rennen in Spielberg verkommt zur Farce. Nach dem Grand Prix müssen die Rennkommissare mehr als 1.200 (!) mögliche Verstöße gegen die Track Limits untersuchen. Die als Vollgas-Gladiatoren inszenierten Fahrer werden zur Petze aus der 7b. Ein abartiges Kasperle-Theater, das nur noch nervt. Ein Kommentar.
Dass die Rennen in dieser Saison zu (fast immer) langweilige Prozessionsfahrten mit Red-Bull-Dominator Max Verstappen an der Spitze sind –, okay, daran hat man sich als Zuschauer gewöhnt. Dass es in einem Rennen aber gefühlt nur noch darum geht, wer innerhalb der "weißen Linie", der in Österreich omnipräsenten "Track Limits" fährt –, das gab es in dieser Form so noch nicht.
Im Minutentakt hagelte es für die Fahrer erst Schwarz-Weiße Verwarnflaggen, dann 5-Sekunden-Zeitstrafen. Zur Krönung legte Aston Martin nach dem Grand Prix von Österreich Protest gegen die Wertung ein. Es seien ja gar nicht alle Verstöße bestraft worden, moserte das britische Team.
Gemeldete Verstöße gab es in Hülle und Fülle: 1.200 Mal mussten die FIA-Stewards prüfen, ob alle vier Räder der Steiermark-Raser die weiße Linie (vor allem in den Kurven 9 und 10) überschritten hatten. Ein undankbarer Job an einem Sonntagabend. Das Resultat war somit einmal mehr lediglich provisorisch – bis eben alle Fälle abgearbeitet waren und Aston Martin Recht bekam.
Ist das noch Racing?
Endergebnis: Noch mehr Strafen! Esteban Ocon bekam 30 Sekunden (!) aufgebrummt, Carlos Sainz und Lewis Hamilton jeweils fünf. Sainz rutschte dadurch vom vierten auf den sechsten Platz, Hamilton vom siebten auf den achten. Die Aston-Martin Piloten Fernando Alonso (von 6 auf 5) und Lance Stroll (von 10 auf 9) profitierten.
"Das ist doch kein Racing oder?", polterte der britische Rekordweltmeister nach dem GP. Hamilton ging nämlich – wie wahrscheinlich vielen Race-Fans – noch etwas anderes auf den Keks. Über das gesamte Rennen schwärzten sich die Fahrer gegenseitig für das Überfahren der Streckenbegrenzung an. Der Mercedes-Star machte freilich selbst mehrfach mit, als ihn im zweiten Renndrittel die Herren Perez und Norris überholt hatten. Besonders peinlich für die Ohrenzeugen weltweit: Die Teams ermunterten ihre Fahrer, die die F1 so gerne als furchtlose Helden inszeniert, auch noch zum organisierten Petzen.
Wie kann die Formel 1 so eine Farce verhindern?
Was tun, um solch eine Farce zu verhindern? Erstens, den Boxenfunk auf das Nötigste begrenzen! Gefahrenmeldungen an die Fahrer, das Melden technischer Probleme, Kommandos zum Boxenstopp: das sollte erlaubt sein. Alles andere gehört verboten. Die Fahrer sollen Gas geben und nicht ständig meckern, petzen oder rumheulen, was nun wieder dieser oder jener Konkurrent angestellt hat.
Zweitens: Zurück zu Kiesbetten! Jedenfalls auf einer Strecke wie dem Red Bull Ring. Schon in den vergangenen Jahren waren die Track Limits auf der Steiermark-Piste immer wieder Thema. Die besonders strikte Auslegung in diesem Jahr führte schließlich zu dem ganzen Zinober. Die Piloten geben Stoff, gehen ans Limit oder darüber hinaus. Eine weiße Linie schreckt sie nicht ab, ein Kiesbett schon. Landet das Auto im Kies, überlegt sich der Fahrer zweimal, wie spät er bremst, wie früh er wieder auf den Pinsel drückt.
Beispiel 1998: Als Michael Schumacher bei seiner Jagd auf Mika Häkkinen im ersten Renndrittel ausgangs Kurve 9 zu viel riskierte, rauschte der Ferrari über die Wiese ins Kiesbett. Schumacher wurde heftig durchgerüttelt, der Frontflügel war futsch. Der Ferrari-Pilot musste eine Runde ohne Flügel um den Kurs tuckern und zu einem quälend langen Service in die Box. Das Rennen war gelaufen. Dass Schumacher über das Kiesbett meckerte, ist nicht überliefert. Das ist Racing. Das war Racing.
Martin Armbruster


