Durch den 2:1-Heimsieg gegen den VfB Stuttgart hat der FC Schalke 04 im Abstiegskampf der Fußball-Bundesliga neuen Mut geschöpft. Einziger Wermutstropfen war am Samstagabend der schwere Patzer von Keeper Ralf Fährmann beim Anschlusstreffer, der dem Routinier postwendend harsche Kritik von Ex-Nationalspieler Stefan Effenberg einbrachte. Ist das Torwart-Problem der Knappen etwa doch noch nicht gelöst?
Totgesagte leben länger: Der erste Bundesliga-Sieg seit 109 Tagen mit den ersten eigenen Treffern nach 403 Minuten hat den Tabellenletzten Schalke 04 zurück in den Abstiegskampf gehievt. Entsprechend groß ist das königsblaue Selbstvertrauen vor dem brisanten Straßenbahnderby beim aktuell schwächelnden Vorletzten VfL Bochum.
Ein Gesicht des jüngsten Aufschwungs ist zweifelsohne Stehaufmännchen Ralf Fährmann, mit Unterbrechungen seit 2003 im Verein und seit dem 18. Spieltag wieder die Nummer eins beim Aufsteiger.
Der Befreiungsschlag vor den eigenen Fans ging dem 34-Jährigen sichtlich nahe. "Das ist Schalke, das geht unter die Haut und gibt dir Kraft, Tiefen zu überstehen. Ich glaube, jeder stand mit Gänsepelle auf der Tribüne", erklärte der Schlussmann, der die Partie mit einem heftigen Blackout bei Borna Sosas Anschlusstor (63.) nochmal unnötig spannend gemacht hatte, mit Tränen in den Augen.
Vorwürfe machen wollte dem Routinier nach Spielschluss keiner, zu groß war die Erleichterung nach dem überlebenswichtigen Dreier gegen den VfB Stuttgart. Außerhalb Gelsenkirchens wurde Fährmanns Fauxpas allerdings deutlich kritischer bewertet - und der Debatte um die S04-Misere zwischen den Pfosten neues Futter gegeben.
FC Schalke 04: Effenberg watscht Fährmann ab
Am Tag nach dem Spiel stimmte kein Geringerer als Stefan Effenberg in der Talksendung "Doppelpass" bei "Sport1" einen Abgesang auf Pechvogel Fährmann an.
"Er ist kein sonderlich guter Torwart, aber das ist ein anderes Thema", fällte der ehemalige deutsche Nationalspieler ein vernichtendes Urteil.
Damit war Effenberg jedoch noch lange nicht fertig. "Ich verfolge ihn schon lange Zeit. Ich sage, dass Ralf Fährmann kein guter Torwart ist. Da sind sie dort auch nicht gut aufgestellt", nahm der 54-Jährige die Kaderplaner mit ins Visier und ergänzte: "Ein guter Torwart ist nicht nur oben in der Tabelle wichtig, sondern auch im Abstiegskampf."
Tatsächlich war Fährmann erst in den Schalker Kasten zurückgekehrt, nachdem Konkurrent Alexander Schwolow mehrfach unglücklich ausgesehen hatte. Die Leihgabe von Hertha BSC hatte ohnehin nie komplett überzeugen können.
"Hinten raus wird die Entscheidung sein, wer der bessere Torwart ist. Der Trainer steht aber irgendwann unter Druck, wenn du vorher 45 Tore mit Schwolow kassierst", so Effenberg. Nur deshalb sei die Wahl letztlich auf "Okay-Torwart" Fährmann gefallen.
Eine schallende verbale Ohrfeige für den Dauerbrenner, der sich bereits unzählige Male von Bank und Tribüne zurück ins Team gekämpft hat und zu den Lieblingen der Anhängerschaft zählt. Dabei hat er durchaus schlagkräftige Argumente auf seiner Seite.
Fährmann profitiert beim FC Schalke von Schwolows Schwäche
Seit Fährmann in den Kasten zurückgekehrt ist, hat Schalke in vier von fünf Begegnungen die Null gehalten. Vom Fachmagazin "kicker" erhielt der Torwart dabei nie eine schlechtere Note als 3,5 - in diesem Falle für seine Leistung gegen Stuttgart, die neben seinem Patzer auch einige Top-Paraden mit sich gebracht hatte.
Zugleich ist jedem bewusst, dass Fährmann in erster Linie von der Schwäche seines Mitbewerbers Schwolow profitiert hat. Dessen 60,2 Prozent abgewehrte Schüsse sind weiterhin der zweitschlechteste Wert der Liga, zudem war die Körpersprache des 30-Jährigen oft fast schon bemitleidenswert.
Und auch die Tatsache, dass der frühere U20-Nationalspieler im Sommer zu einem direkten Konkurrenten um den Klassenerhalt zurückkehren wird, hat seinem Ansehen in Gelsenkirchen nicht gerade genützt. So war die Entscheidung von Trainer Thomas Reis, den Torwart zu wechseln, fast schon alternativlos.
Allerdings: Effenbergs These, dass Fährmann nur in die Mannschaft gerutscht ist, weil er im Vergleich das kleinere Übel ist, wirkt beim Blick auf dessen wechselhafte Laufbahn nicht völlig abwegig. Auch Ex-Nationalkeeper Timo Hildebrand attestierte dem gebürtigen Chemnitzer in der "WAZ" erst kürzlich, "kein großer Fußballer" zu sein.
Dass sich die Verantwortlichen nach der Saison - ligaunabhängig - nach einer neuen Nummer eins umschauen könnten, ist daher alles andere als unwahrscheinlich, obwohl Fährmanns Arbeitspapier noch bis 2025 gültig ist.
Ralf Fährmann: Doch mehr als ein "Okay-Torwart"?
Bis dahin gehört das Vertrauen allerdings voll und ganz dem 1,97-Meter-Riesen, der intern von je her hohes Ansehen genießt und mit jeder gelungenen Aktion zumindest vorübergehend seine Kritiker zum Schweigen bringen kann.
Es mag stimmen, dass ein überragender Rückhalt im Abstiegskampf den Unterschied machen kann. Momentan macht aber auch der angebliche "Okay-Torwart" Fährmann seinen Job recht ordentlich.
Heiko Lütkehus