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Die sport.de-Kolumne des Biathleten

Strelow über WM-Traum: "Vielleicht hat sich Mama getäuscht"

Justus Strelow ist Teil der deutschen Biathlon-Mannschaft bei der WM in Oberhof
Justus Strelow ist Teil der deutschen Biathlon-Mannschaft bei der WM in Oberhof
Foto: © IMAGO/Christian Einecke
01. Februar 2023, 10:23
sport.de
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Regelmäßig schreibt Deutschlands Biathlon-Hoffnung Justus Strelow für sport.de über seine Erlebnisse im Weltcup. Diesmal über seine Karriere als Spätstarter und ein Telefonat mit Mutter Ina.

Für meinen Geschmack klingelt der Wecker heute Morgen ein bisschen früh. Schon um kurz vor sieben Uhr werde ich aus dem Schlaf gerissen. Mit geschlossenen Augen tippe ich auf die Snooze-Taste und freue mich über ein paar Minuten Zeitgewinn. Kurz döse ich nochmal weg, aber meine digitale Aufstehhilfe ist einfach erbarmungslos: wieder piept es von meinem Nachttisch. Also gut, denke ich, und springe mit Elan aus den Federn.

Heute ist schließlich ein schöner Tag: Es geht nach Ridnaun, wohin wir deutschen Biathleten uns für eine Woche zurückziehen, um die unmittelbare Vorbereitung auf die WM in Oberhof zu absolvieren. Endlich wieder fest strukturierte Trainingstage wie ich sie liebe. Aufstehen, Frühstück, erstes Training, Mittagessen, ausruhen, zweites Training am Nachmittag, Pflege, Abendessen, Bettruhe – perfekt aus meiner Sicht.

"Körperlich war ich ein kleiner Spätstarter!"

Um 8.30 Uhr sitze ich im Auto in Richtung Südtirol, sieben Stunden Fahrt liegen vor mir. Nach zweieinhalb Stunden passiere ich bereits Nürnberg. Ich bin bester Laune und pfeife vor mich hin. Wer hätte gedacht, dass ich, Justus Strelow, mich jemals auf die Teilnahme an einer Biathlon-Weltmeisterschaft vorbereiten darf? Ich ja selbst nicht!

Als Jugendlicher bin ich eher mitgeschwommen, habe aber nie herausgeragt. Im wahrsten Sinne des Wortes übrigens, denn wenn ich in Ausnahmefällen bei Wettkämpfen in meiner Altersklasse doch einmal ganz oben auf dem Podest stand, hielt man mich todsicher trotzdem nicht für den Sieger. Der Zweite und Dritte standen zwar tiefer auf dem Treppchen, überragten mich dank ihrer Körpergröße aber dennoch immer gleich um mehrere Zentimeter. Ich war physisch eben ein kleiner Spätstarter.

13.30 Uhr, vorbei an Rosenheim. Im Geiste höre ich plötzlich meine Mutter Ina sagen. "Justus, mach Dir keine allzu großen Hoffnungen, dass Du es einmal bis ganz nach oben schaffst!" Ich solle Biathlon besser als schönes Hobby sehen, riet mir Mama als Kind und Jugendlicher immer. Und jahrelang tat ich das. Ganz nach oben zu kommen? Keine Chance! Also habe ich die Schule ernst genommen und Biathlon aus purer Leidenschaft betrieben und vielleicht auch, weil dieser Sport immer ein kleines bisschen etwas Besonderes war.

"Mensch Justus, hat sich Mama vielleicht doch getäuscht?"

Gerade passiere ich, noch immer ohne jeden Stau, die Grenze aus Österreich nach Italien. Das Panorama mit den schroffen Felsen der Alpen ist der pure Genuss.

Ich erinnere mich zurück, wann ich zum ersten Mal Lunte gerochen habe, dass vielleicht doch etwas möglich sein könnte für mich als Biathlet – noch gar nicht so lange her: Mit 19 Jahren bestritt ich 2015 in Minsk meine erste Junioren-WM und landete im Einzel in einem starken internationalen Feld auf einem respektablen sechsten Platz. Mit einem Schießfehler weniger hätte ich sogar gewonnen. Beim Auslaufen nach dem Rennen kamen mir damals die Gespräche mit meiner Mutter wieder in den Sinn: "Justus, mach Dir keine allzu großen Hoffnungen …" In Minsk dachte ich zum ersten Mal: "Mensch Justus, vielleicht hat sich Mama ja doch getäuscht!"

Ich muss jetzt grinsen und wähle ihre Nummer. Auf den letzten Kilometern meiner Reise erzähle ich ihr diese kleine Anekdote. Wir lachen gemeinsam, als mein Wagen in Ridnaun auf den Parkplatz unseres Teamhotels biegt.

Die Vorbereitung auf die WM, meine erste Biathlon-WM, kann beginnen.

Drückt mir bitte weiter die Daumen,

Euer Justus Strelow 

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