In zwölf Einzel-Rennen hat sich die männliche Biathlon-Elite in diesem Winter bislang gemessen, neunmal hieß der Sieger Johannes Thingnes Bö. Eine beängstigende Ausbeute, die in mehr als einem Rekord gipfeln könnte.
"Ich denke, er ist besser denn je", beurteilte mit Johannes Thingnes Bös älterem Bruder Tarjei unlängst einer, der es wissen muss, die Leistungen der 29-jährigen Biathlon-Maschine. Bös langjähriger Hauptkonkurrent Quentin Fillon Maillet stimmte zu, noch nie zuvor einen besseren Johannes Thingnes Bö gesehen zu haben und Landsmann Vetle Sjastad Christiansen kommentierte mit Blick auf Aufnahmen, die Bö beinahe über den Schnee fliegend zeigen: "Sieht eher aus wie ein Gott als wie ein Mensch."
Besagter "Gott" jagt bei seiner Hatz von Sieg zu Sieg längst mehr als seinen vierten Triumph im Gesamtweltcup, seine 13. WM-Medaille oder den nächsten individuellen Erfolg: Bö hat nicht weniger im Blick als das Erbe des legendären Ole Einar Björndalen zu toppen, der aufgrund seiner Gier nach Siegen häufig als "Kannibale" oder - wegen seiner unglaublichen Fähigkeiten - als "der Außerirdische" bezeichnet wurde.
Der erfolgreichste Biathlet aller Zeiten sammelte in seiner langen Karriere 94 Siege in Einzelrennen, die zum Weltcup zählten. Ein Wert, der auf ewig in die Rekordbücher eingebrannt schien, den man Bö allerdings absolut zutrauen muss. Aktuell rangiert der fünfmalige Olympiasieger mit 61 Erfolgen hinter dem Franzosen Martin Fourcade (79) und Björndalen.
Bereinigt man die Liste und ergänzt alle Weltmeisterschaften und Olympischen Spiele, die nicht in jedem Jahr konsequent zum Weltcup zählten, ist die Lücke zu Björndalen sogar etwas kleiner: Björndalen (95), Fourcade (83) und Bö (64).
Ein Abstand, den Bö keineswegs im Handumdrehen wettmachen wird. Bedenkt man allerdings, dass Bö in seiner Karriere bislang im Schnitt beinahe jedes dritte Einzel-Rennen gewann, könnte er in vier Wintern die ewige Bestenliste anführen. Macht Bö so dominant wie im aktuellen Winter weiter, ist die Lücke erheblich schneller geschlossen.
Biathlon-Legende verneigt sich vor Johannes Thingnes Bö
"Johannes in dieser Saison zuzusehen, ist großartig. Er ist unglaublich stark, extrem talentiert, er kann wirklich viel", schwärmte Björndalen selbst im Interview mit "TVPSPORT" von den Leistungen Bös. Dass sein Landsmann ihm seinen Rekord abjagen wird, ist für Björndalen ein realistisches Szenario.
"Wenn er wie geplant bis zu den Olympischen Spielen in Cortina d'Ampezzo 2026 weitermacht, wird er mir diesen Rekord nehmen. [...] Er ist die einzige Person, die mich in den nächsten fünf oder sechs Jahren toppen kann", so Björndalen weiter.
All zu groß sollte die Hoffnung, Bö könne den Spaß verlieren, allerdings nicht sein. Im Gespräch mit "TV2" hob der Dominator hervor, er schätze den Sport von Saison zu Saison mehr und glaube, er könne noch "viele Jahre so weitermachen", habe sich allerdings mit den Olympischen Spielen 2026 ein sehr wahrscheinliches Karriere-Ablaufdatum gesetzt.
Bö gibt der Konkurrenz einen Tipp: "So habe ich Fourcade eingeholt"
Es gehe schlicht darum, nicht seine gesamten 30er mit dem zu verbringen, mit dem er seine 20er verbracht hat. Sein Traum sei es dann, sich vermehrt seinem Familienleben zu widmen.
Bis dahin hält der Schnellste aller Skijäger für seine Konkurrenten einen Rat parat: "Ich würde versuchen zu sehen, was er macht und versuchen, ein bisschen dasselbe zu tun. So habe ich Fourcade eingeholt", antwortete Bö auf die Frage, was er tun würde, wenn er mit seinem Selbst in Konkurrenz treten müsste.
Übrigens: Einen Rekord kann sich Bö schon in diesem Winter selbst abluchsen. Mit 16 Einzelsiegen stellte er in der Saison 2018/19 einen Rekord auf, der aktuell bereits heftig ins Wanken geraten ist.
Marc Affeldt