Vor der Saison strotzten die deutschen Skispringer nur so vor Selbstvertrauen: Nachdem Karl Geiger, Markus Eisenbichler und Andreas Wellinger im Sommer zahlreiche Topsprünge auf die Matten zauberten, machten nicht wenige Experten die DSV-Stars sogar zu den Favoriten auf den Gewinn des Gesamtweltcups. Inzwischen sind die ersten sechs Einzelspringen des Winters 2022/23 absolviert, die Euphorie ist wie weggeblasen.
Ein dritter Rang in Titisee-Neustadt durch Karl Geiger ist bislang das Saison-Highlight der deutschen Skisprung-Männer. Im Gesamtweltcup ist der Zweite des vorherigen Winters als Siebter bereits abgeschlagen - und dennoch bester Deutscher. Rekordweltmeister Eisenbichler dümpelt auf Rang 16 herum, Wellinger ist als 13. kaum besser.
Kein Wunder, dass der schlechteste Saisonstart seit zwölf Jahren wenig Hoffnung weckt, dass ausgerechnet zur Vierschanzentournee der Knoten platzt. Auch eine deutsche Skisprung-Legende ist nicht gerade euphorisch.
Geiger könne man bei der Tournee zum "erweiterten Favoritenkreis" zählen, Eisenbichler könnte "für jede Art von Überraschung" sorgen und Wellinger sei alles zuzutrauen, sofern er denn vollkommen fit sei, urteilt Sven Hannawald, der die Tournee vor 21 Jahren als erster Skispringer der Geschichte alle vier Springen des Spektakels gewinnen konnte, im "kicker".
Die ersten Anwärter auf den prestigeträchtigen Erfolg sind für den 48-Jährigen allerdings der Pole Dawid Kubacki, Anze Lanisek aus Slowenien und der Norweger Halvor Egner Granerud. Zudem traut Hannawald den Österreichern um Stefan Kraft eine gute Rolle im Fight um den goldenen Adler zu.
Schlechter Start der deutschen Skispringer sogar ein Vorteil?
Warum es für die DSV-Stars, die in den vergangenen Jahrzehnten bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen regelmäßig abräumten, bei der Tournee seit Hannawalds Triumphzug nicht mehr für den ganz großen Coup reichte, liegt für den heutigen TV-Experten auf der Hand.
"Ich glaube, sie kommen mit dem Druck nicht zurecht", zählt Hannawald die deutschen Stars an. "Und die Tournee ist kein Tageserfolg wie eine Weltmeisterschaft, sondern zieht sich über zehn Tage der Anspannung. Die Vierschanzentournee ist nun mal das größte Highlight im Skispringen, da schaut ganz Deutschland drauf. Die Erwartungen sind entsprechend groß und das Medieninteresse ungewöhnlich hoch. Und das zu ignorieren und die Sache einfach laufen zu lassen, fällt den deutschen Springern offenbar sehr schwer."
Ein Umstand, der Hannawald dazu verführt, dem schlechten Saisonstart der Deutschen sogar etwas Gutes abzugewinnen: "Diesmal sind die deutschen Skispringer eher Außenseiter. Vielleicht liegt ihnen diese Rolle ja besser, und sie sorgen für eine positive Überraschung."
Ob Geiger und Co. diese Hoffnung nähren, zeigt sich ab dem 28. Dezember. Dann beginnt mit der Qualifikation in Oberstdorf die Vierschanzentournee.


