Als letzter verbliebener deutscher Boxer greift Ammar Riad Abduljabbar im Viertelfinale nach einer Olympia-Medaille. Der größte Trumpf ist sein Kämpferherz.
Lange Zeit kannte Ammar Riad Abduljabbar nur ein Motto: Attacke! Wegen seines ungestümen Vorwärtsdrangs kassierte der Schwergewichtsboxer aber auch immer wieder vermeidbare Kopftreffer, seine Trainer waren in Sorge. "Sie sagten mir, du willst doch bestimmt noch ein paar Jahre leben", erzählte Abduljabbar.
Was ein wirklicher Überlebensmodus ist, weiß der im Irak geborene und aufgewachsene Olympiaathlet nur zu gut. Bevor er 2010 nach Deutschland emigrierte, hatte er als Jugendlicher auf der Baustelle geschuftet oder auf dem Wochenmarkt Gemüse verkauft, um sich und seine Geschwister zu versorgen. Sich durchkämpfen - das hat Abduljabbar sein Leben lang getan. Und das macht seine Klasse als Amateurboxer aus.
Ein Kämpferherz braucht der Hamburger auch, um sich mit einem Sieg im Viertelfinale am Freitag (6:39 Uhr/MESZ) eine Olympia-Medaille zu sichern. Denn sein Gegner Muslim Gadzhimagomedov ist Weltmeister und Topgesetzter in der Gewichtsklasse bis 91 kg.
"Jetzt muss ich mich auf eine noch härtere Aufgabe vorbereiten", sagte Abduljabbar nach seinem lockeren 5:0-Auftaktsieg gegen Jose Maria Lucar Jaimes: "Aber ich glaube an mich und weiß, was ich kann."
Boxen für die Integration
Was das ist, können auch Box-Laien auf Anhieb erkennen. Der Spätstarter, der nie an einem Olympia-Stützpunkt trainiert hat, gilt unter den deutschen Amateurkämpfern als "Mentalitäts-Monster". Er macht technische Schwächen mit Willensstärke und Ehrgeiz wett. Und das schon, seitdem er das erste Mal die Boxhandschuhe übergestreift hat.
Nur auf Wunsch seines irakischen Vater fing Abduljabbar mit dem Boxen an - doch es gefiel ihm anfangs gar nicht. "Es war mir zu anstrengend", sagte er rückblickend, "und ich hatte kaum Talent." Doch er konnte und wollte seinen Papa nicht enttäuschen: "Ich dachte: Dein Vater tut alles für dich, tu' das für ihn."
Abduljabbars Werdegang ist typisch für den Deutschen Boxsport-Verband, ein Großteil der Kaderathleten weist einen Migrationshintergrund auf. Vielen Zuwanderungskindern hilft der Boxsport bei der Integration, manche von ihnen schaffen es im Leistungssport an die Spitze." So wie Artem Harutyunyan, der als Kleinkind aus dem armenischen Bürgerkrieg nach Deutschland floh und 2016 in Rio Olympia-Bronze gewann.
Abduljabbar kann ihm nun aufs Podest folgen. Auch wenn er inzwischen etwas defensiver und taktisch klüger boxt, eines wird er immer tun: kämpfen.
