Die erste Testwoche der Formel 1 ist Geschichte. Drei Tage lang durften die Teams ihre Boliden in Barcelona auf Herz und Nieren prüfen. Bevor es ab Mittwoch nochmals für drei Tage auf den Circuit de Catalunya geht, werfen wir ein Blick auf die Probleme der drei Top-Teams.
Wo hakt es noch? An welchen Stellschrauben muss gedreht werden? Und welcher Spitzenrennstall der Formel 1 strauchelt bislang am meisten? sport.de hat die aktuelle Situation bei Ferrari, Mercedes und Red Bull unter die Lupe genommen.
Ferrari
Bei Ferrari herrscht Ernüchterung. Nach der Hälfte der Testtage findet sich das Team in der Zeitentabelle nur auf Platz acht wieder, der mangelnde Speed der Roten sorgt allseits für Fragezeichen.
"Die anderen sind im Moment schneller als wir", gab Mattia Binotto ganz offen zu. Für das erste Saisonrennen in Australien (15.03.) schraubte der Teamchef die Erwartungen bereits deutlich nach unten. Ob geschicktes Tiefstapel-Manöver oder nicht, ist bislang nicht abzusehen.
So richtig in Gang kam der italienische Rennstall in Barcelona jedenfalls noch nicht: Lediglich 354 Runden konnten Sebastian Vettel und Charles Leclerc an den ersten drei Tagen abspulen, 140 Runden (oder umgerechnet rund zweieinhalb Grand-Prix-Simulationen) weniger als die ärgsten Rivalen im Silberpfeil. Das lag unter anderem daran, dass der Deutsche den SF1000 am Freitagvormittag mit einem Antriebsdefekt abstellen musste und wertvolle Zeit verloren ging.
Nicht der einzige Rückschlag für Vettel: Schon am Mittwoch musste sein Team auf das frühe Feedback und die damit verbundene kostbare Expertise des vierfachen Weltmeisters verzichten, weil er unvorhergesehen erkrankt war und schließlich der junge Leclerc die gesamte Session bestritt.
Zwar durfte sich Ferrari am Ende der ersten Testphase über mehr Abtrieb freuen, doch die Zuwächse an Bodenhaftung gingen deutlich zulasten der Maximalgeschwindigkeit, was sich wiederum auf die Rundenzeiten niederschlug. Vettels 1:18.154 Minuten sowie Leclercs 1:18.289 Minuten waren nicht nur weit entfernt von Mercedes (Vergleich: Bottas fuhr 1:15.732 Minuten), sondern auch deutlich hinter den eigentlich im Mittelfeld angesiedelten Teams, wie Renault und Racing Point.
Doch die Suche nach dem Kompromiss zwischen Handling und Speed ist schwierig. "Ich denke, dass wir die wahre Performance erst kommende Woche oder in Australien sehen werden. Ich denke, das Potenzial ist da. Am wichtigsten wird sein, das Paket in die richtige Richtung zu entwickeln", sagte Binotto. Da die Scuderia allerdings bis zum ersten Rennen keine Updates mehr für den SF1000 plant, dürfte das Unterfangen nicht einfacher werden.
Ferrari werde Mercedes "über die Saison schlagen können", erklärte Binotto trotzdem mutig. Nach den ersten Eindrücken dürfte es jedoch schwierig werden, den WM-Titel erstmals seit 13 Jahren wieder nach Italien zu holen.
Mercedes
Es klingt fast paradox, aber: Das größte Problem der Silberpfeile könnte sein, dass es zur Zeit einfach kein wirkliches Problem gibt. Der F1 W11 EQ Performance präsentierte sich an den ersten drei Testtagen äußerst ausdauernd und gleichzeitig performant.
"Wir haben ein Auto, das dem Vorjahresboliden in Sachen Abtrieb deutlich voraus ist", versicherte Technikchef James Allison. Und jene Bodenhaftung durften Lewis Hamilton und Valtteri Bottas auch ausgiebig testen. 494 Runden spulten die beiden Piloten ab, mehr als jedes andere Team.
Doch damit nicht genug. Der Motor des W11 hat ein "beeindruckendes" Update bekommen, wie Allison verriet. Zwei Tagesbestzeiten durften die Silbernen damit für sich verbuchen, darunter auch die Wochenbestzeit, die Bottas mit einer 1:15.732 Minuten in den Asphalt brannte.
Doch nicht nur die reine Leistung wurde aufgebohrt, die Power-Unit sei nun auch widerstandsfähiger, unter anderem bei Hitze, was einen weiteren Vorteil bei der Aerodynamik nach sich ziehe. Mit gleichmäßigen Longruns sorgten die Mercedes-Piloten jedenfalls für Eindruck.
Mercedes zeigt sich innovativ
Da ging es fast ein wenig unter, dass auch Mercedes einen technischen Defekt zu verzeichnen hatte: Am Donnerstag rauchte das ERS-System ab, die gesamte elektronische Power Unit musste ausgetauscht wurden.
Doch dies war nur eine Randnotiz in einer ansonsten hervorragenden ersten Testwoche, in der der deutsche Rennstall vor allem mit seinem innovativen DAS-System überraschte, bei dem die Fahrer auf den Geraden die Spur der Vorderreifen durch Ziehen am Lenkrad verändern können.
Nicht umsonst kündigte Mercedes bereits an, dass der W11 bereits beim Saisonstart in Melbourne "ein großer Schritt vorwärts" sein und gleichzeitig auch eine gute "Plattform" für Weiterentwicklungen im Laufe des Jahres bieten wird. Die Konkurrenz darf das durchaus als Warnung verstehen.
Red Bull
Beim österreichischen Rennstall sieht man sich nach den ersten drei Testtagen schon gut gerüstet für die neue Saison. Mit Recht. So gut wie in diesem Jahr ist Red Bull wohl noch nie in die Wintertests gestartet.
471 Runden spulten Max Verstappen und Alexander Albon auf dem Circuit de Catalunya ab und damit nur 23 Runden weniger als Spitzenreiter Mercedes. 168 Mal umrundete der niederländische Spitzenfahrer den Kurs gleich am ersten Tag - so oft wie kein anderer Fahrer zuvor - und bewies damit, dass der Honda-Motor offenbar äußerst belastbar ist.
"Ich denke, das ganze Paket ist besser integriert. Das ganze Team hat beim Auto eine großartige Arbeit geleistet", lobte Christian Horner seine Mechaniker.
Die veränderte Frontpartie scheint zu funktionieren, die modifizierte Steuerung zu greifen. Das Komplettpaket stimmt bei Red Bull. Allein: es fehlt noch an den Top-Zeiten. Verstappen (1:17.516 Minuten) und Albon (1:17.912 Minuten) bewegten sich an den ersten Tagen eher im Mittelfeld.
War Red Bull nie besser?
Dennoch spricht der Niederländer von einer "ersten guten Woche" und sagte: "Das Auto ist jetzt angenehmer zu fahren als im Vorjahr. Es ist überall schnell." Und tatsächlich fiel der RB16 in keinem Sektor des Barcelona-Rundkurses ab.
Dass das Team am Donnerstag zeitweise den Motor tauschen musste, war im Nachhinein kein Grund zur Sorge. Offenbar war das Ganze nur eine Vorsichtsmaßnahme, denn der gleiche Motor wurde am Freitag wieder eingesetzt.
Auch der Umstand, dass sich Verstappen gleich mehrfach von der Strecke drehte, war darauf zurückzuführen, dass er seinen Boliden auf Herz und Nieren testete und versuchte "das Limit zu finden", wie er später erklärte.
Spannend bleibt, welches Wagnis Red Bull mit der extrem niedrigen Streckenlage des RB16 geht. Dieser scheint zur Zeit an der untersten Grenze zur Bodenfreiheit zu sein. Nicht umsonst mussten die Mechaniker am Donnerstag ausgiebig am Rennwagen arbeiten, weil die Piloten den ein oder anderen Curb mitgenommen hatten.
Doch für diese Optimierungen gibt es ja die zweite Testwoche. "Ich denke, wir sind in der besten Verfassung, in der wir in der Hybrid-Ära je waren", erklärte Horner. Es fehlen nur noch die absoluten Spitzenrunden. Doch dafür hat Red Bull ja in den nächsten Tagen noch etwas Zeit.
Chris Rohdenburg


