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Gegenentwurf zum "Gentleman" Henry Maske

Trauer um Rocchigiani: "Es ist ein unheimlicher Schlag"

Graciano Rocchigiani ist verstorben
Graciano Rocchigiani ist verstorben
Foto: © getty, David Ramos
03. Oktober 2018, 13:15

Er war Millionär und lebte von Hartz IV, saß im Gefängnis und war Liebling der Massen. Das Leben des Graciano Rocchigiani war turbulent.

Im schummrigen Keller der Ritze war Rocky wieder in seinem Element. Rote Shorts, schwarze Handschuhe, Schweiß und harte Schläge - Graciano Rocchigiani tat, was er am besten konnte. Boxen. Nicht so hart wie in alten Zeiten, doch wie immer sorgte er für eine gute Show.

Im Sommer stieg Rocchigiani für den Dreh eines Musikvideos in der berühmten Boxerkneipe auf der Reeperbahn noch einmal in den Ring. Rau und anrüchig ist es auf St. Pauli, und vielleicht ließ sich der frühere Weltmeister deshalb darauf ein. Es passte.

"Ganz egal, wie hart ich falle, ich stehe immer wieder auf", heißt es in dem Song, für den Rocchigiani im Sommer vor der Kamera stand. Er hat diese Zeile stets mit Leben gefüllt.

Ungeschliffen war das Leben Rocchigianis, das am Montagabend bei einem Autounfall auf Sizilien nach nur 54 Jahren ein tragisches Ende fand. Ungeschliffen war seine Berliner Schnauze, ungeschliffen sein Auftreten. Das brachte ihm Kritik ein, aber auch Bewunderung und Anerkennung.

Gegenentwurf zum "Gentleman" Henry Maske

Er war erfolgreich, 1988 stieg er zum dritten deutschen Boxweltmeister auf. Der Box-Hype nach der Wende war seine Chance. Rocchigiani prägte die Ära in den 90er Jahren mit, er war dabei der krasse Gegenentwurf zum "Gentleman" Henry Maske.

"Man glaubt es nicht, mir ist ganz schaurig", sagte Maske im "ARD"-Magazin Brisant. Ähnlich erging es anderen Wegbegleitern. "Es ist ein unheimlicher Schlag. Ich habe die Nachricht mit Schrecken aufgenommen, Rocky war ein Original", sagte Trainerlegende Ulli Wegner dem "SID".

Laut "Bild" soll Rocchigiani zu Fuß am Rand einer vierspurigen Schnellstraße nahe Catania unterwegs gewesen und um 23:30 Uhr von einem Smart erfasst worden sein. Der Aufprall war laut Polizeibericht so heftig, dass die Windschutzscheibe des Kleinwagens durchschlagen wurde. Rocky war wohl auf der Stelle tot.

Es sei "erschütternd" und "bewegend", dass er so habe gehen müssen, sagte Maske mit tränenerstickter Stimme. Zweimal hatte er sich im Ring mit Rocchigiani duelliert, "es waren harte Kämpfe, aber mit ihnen ist der gegenseitige Respekt gewachsen."

"Er war immer der harte Hund"

Rocchigiani hatte Maske wie auch später Dariusz Michalczewski am Rande einer Niederlage. Beide Male verlor er umstritten. Die Rückkämpfe gab er klar ab. "Er war immer der harte Hund - und dann so etwas", sagte Michalczewski der "Bild".

In geraden Bahnen verlief sein Leben selten. Rocchigiani führte ein medial begleitetes Leben in Saus und Braus. Der Sohn eines sardischen Eisenbiegers scheffelte Millionen, verprasste alles, stürzte ab und lebte lange von Hartz IV.

"In der Vergangenheit habe ich mich oft wie auf einer Achterbahn gefühlt. Für kurze Zeit ganz oben, als strahlender Sieger, und dann plötzlich wieder ganz unten, am Boden zerstört. Einmal fand ich mich im Straßengraben wieder und dreimal auch im Knast", sagte der Bad Boy des deutschen Boxsports einmal.

Skandale in Hülle und Fülle

Das ganze Drama seines Lebens wurde deutlich, als Ex-Ehefrau Christine ihre Autobiografie ("K.o. nach zwölf Runden") vor einigen Jahren veröffentlicht hatte. Drogen, Prostituierte, häusliche Gewalt, Knast, Scheidung - Rocchigiani ließ keinen Skandal aus. Mehrmals musste der Mann aus Berlin-Schöneberg hinter Gitter - u.a. wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung oder wiederholten Fahrens ohne Fahrerlaubnis.

Die Ehefrau war auch dabei, als Rocchigiani einen der spektakulärsten Prozesse in der Geschichte des Profiboxens führte - und gewann. Am 22. März 1998 hatte sich der Rechtsausleger vor 9000 Zuschauern in der Berliner Max-Schmeling-Halle durch einen Sieg gegen den Amerikaner Michael Nunn den WM-Titel der WBC im Halbschwergewicht gesichert. Als erster deutscher Boxer widerlegte er das Motto "They never come back" und wurde zum zweiten Mal in seiner Karriere Champion.

Vier Monate später sorgte das World Boxing Council (WBC) für einen Eklat. Der Verband, in dem bereits Muhammad Ali Weltmeister war, ernannte plötzlich den Amerikaner Roy Jones zum neuen Champion. Rocchigiani fühlte sich bestohlen und zog in den USA vor Gericht. Am Ende wurden ihm 31 Millionen Dollar Schadenersatz zugesprochen. Dem WBC drohte der Konkurs, 2004 ging Rocchigiani auf ein Vergleichsangebot ein und bekam 4,5 Millionen Dollar. Es dauerte aber nicht lange, da war auch diese Summe durchgebracht.


Die wichtigsten Kämpfe von Graciano Rocchigiani:

10.09.1983 Köln: T.K.o. gegen Esperno Postl (Österreich) (1. Profikampf)

11.03.1988 Düsseldorf: T.K.o. gegen Vincent Boulware (USA) vakante IBF-WM im Supermittelgewicht

03.06.1988 Berlin: Punktsieg gegen Nicky Walker (USA) IBF-WM

07.10.1988 Berlin: T.K.o. gegen Chris Reid (USA) IBF-WM

27.01.1989 Berlin Punktsieg gegen Thulani Malinga (Südafrika) IBF-WM

13.09.1991 Düsseldorf: T.K.o. gegen Alex Blanchard (Niederlande) EM Halbschwergewicht

05.02.1994 Berlin: Punktniederlage gegen Chris Eubank (Großbritannien) WBO-WM Supermittelgewicht

10.12.1994 Berlin: Punktsieg gegen Frederic Seillier (Frankreich) EM Supermittelgewicht

27.05.1995 Dortmund: Punktniederlage gegen Henry Maske (Frankfurt/Oder) IBF-WM Halbschwergewicht

14.10.1995 München: Punktniederlage gegen Henry Maske (Frankfurt/Oder) IBF-WM Halbschwergewicht

10.08.1996 Hamburg: Disqualifikation gegen Dariusz Michalczewski (Hamburg) WBO-WM Halbschwergewicht

21.03.1998 Berlin: Punktsieg gegen Michael Nunn (USA) vakante WBC-WM Halbschwergewicht

15.04.2000 Hannover: Aufgabe gegen Dariusz Michalczewski (Hamburg) WBO-WM Halbschwergewicht

10.05.2003 Stuttgart: Punktniederlage gegen Thomas Ulrich (Berlin) (letzter Profikampf)

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