Wird die Tour de France immer gefährlicher? Ein negativer Trend lässt sich nicht ausmachen. Eine grundlegende Sicherheitsdebatte wäre fehl am Platz.
Schwere Stürze und Knochenbrüche, Übergriffe auf die Fahrer, ein Polizeieinsatz mit Tränengas: Die Tour de France scheint immer gefährlicher zu werden. Am Dienstag stürzte der Belgier Philippe Gilbert in einer Abfahrt spektakulär über eine Mauer, dabei brach ihm die Kniescheibe. Zuvor war das Feld aufgrund eines Pfefferspray-Einsatzes der Gendarmerie gegen protestierende Bauern vorübergehend zu einem Stopp gezwungen.
Trotz Vorfällen wie diesen flammt bislang aber keine grundlegende Sicherheitsdebatte auf. "Ich fühle mich sicher und keineswegs bedroht", sagte Geraint Thomas nach der verrückten 16. Etappe. Auch er war als Träger des Gelben Trikots in die Tränengas-Wolke gefahren. "Das Zeug war noch in der Luft, als wir die Stelle passiert haben. Ich habe es in Augen und Lunge gespürt, es war dann aber schnell wieder okay", sagte Thomas.
Als hätte der Gesamtführende vom umstrittenen Team Sky derzeit nicht schon genug wegzustecken. Auf dem Podest wird der Waliser wegen des schlechten Rufs seiner Mannschaft regelmäßig ausgebuht. Von Fanatikern an der Strecke werden er und die Teamkollegen um Titelverteidiger Chris Froome beschimpft und sogar bespuckt. Auf dem Weg nach L'Alpe d'Huez wäre Froome fast vom Rad gestoßen worden.
"Die Polizei und die ASO geben ihr Bestes"
Zu Rufen nach strengeren Sicherheitsvorkehrungen veranlasst Thomas all das nicht. Es sei "manchmal bedauerlich", sagte der 32-Jährige, "aber wir fahren auf offener Straße und nicht in einem Stadion. Die Polizei und die ASO (Tour-Veranstalter, d. Red.) geben ihr Bestes."
Zehn bis zwölf Millionen Fans bejubeln die Fahrer während der 21 Etappen an der Strecke. 23.000 Polizisten, unterstützt von Tausenden privaten Sicherheitsleuten, sollen den reibungslosen Ablauf des wichtigsten Radrennens der Welt gewährleisten.
Für die 12. Etappe hinauf nach L'Alpe d'Huez waren besondere Vorkehrungen getroffen worden. Die ersten und letzten Kilometer des Anstiegs wurden durch Absperrgitter geschützt, zudem Hunderte Beamte entlang der ungeschützten Bereiche postiert. Gänzlich verhindern konnten die Maßnahmen vereinzelte Attacken nicht. Das dürfte auch in Zukunft so bleiben.
Das gilt auch für Stürze, zu denen es auch bei der Tour 2018 immer wieder kommt. Die Bilder von Gilberts Unfall ließen am Dienstag Böses erahnen. Auf der Abfahrt, auf der 1995 der Italiener Fabio Casartelli tödlich verunglückte, fiel der Ex-Weltmeister mehrere Meter in die Tiefe. "Wir haben zunächst nichts von ihm gehört", sagte Gilberts Sportlicher Leiter Brian Holm: "Wenn sie schreien, weißt du, dass sie leben. Wenn du nichts hörst, machst du dir Sorgen."
"Als Radsportler bist du Stürze gewohnt"
Seine Sorgen waren unbegründet. Gilbert fuhr die Etappe zu Ende - mit gebrochener Kniescheibe. "Als Radsportler bist du Stürze gewohnt, hast das Stürzen gewissermaßen gelernt. Man hat sich gewisse Schutzmechanismen angeeignet, die der Körper dann anknipst", sagte der deutsche Radprofi Tony Martin der "FAZ". Der viermalige Zeitfahr-Weltmeister musste selbst nach einem Sturz auf der 8. Etappe mit einem Wirbelbruch verletzt aussteigen.
Gerade bei Rennen wie der Tour "wird eben sehr ambitioniert gefahren. In der ersten Woche der Tour liegt die Sturzwahrscheinlichkeit bei 30 bis 50 Prozent", sagte Martin: "Schürfwunden gehören zum Alltag."
Findet bei der 105. Frankreich-Rundfahrt also bloß der ganz normale Sturz-Wahnsinn statt? Nicht ganz, sagt Martin, der glaubt, das Risiko durch eine bessere Streckenplanung zumindest minimieren zu können: "Die Probleme sind zum großen Teil hausgemacht und provoziert von der Streckenführung."


