Sylvain Chavanel ist ein Relikt aus einer anderen Radsport-Zeit. Auf seiner 18. und letzten Tour de France begeistert der französische Rekordmann noch einmal seine Landsleute.
Zum Dank wurde der Held des Tages um 100 Schweizer Franken erleichtert: Da fuhr Sylvain Chavanel auf der zweiten Etappe seiner 18. Tour de France 150 km als Solist vorneweg, sorgte der Rekordmann der Frankreich-Rundfahrt am Sonntag in der Vendee, der Heimat seines Teams Direct Energie, für ein veritables Volksfest. Und erdreistete sich dann, eine Trinkflasche außerhalb der vorgesehenen Zone zu entsorgen. Mon Dieu! Die Jury kannte keine Gnade, Chavanel musste blechen.
"Es hat aber ein Riesenspaß gemacht! So viele Zuschauer waren am Straßenrand", sagte der 39-Jährige, der freilich kurz vor dem Ziel von der Meute der Sprinterteams eingeholt wurde. Aber egal, Mission erfüllt: "Ich wollte unbedingt am 62. Geburtstag unseres Teammanagers Jean-Rene Bernaudeau, in seiner Heimat, flüchten. Ich wusste, dass ich es nicht bis ins Ziel schaffe. Aber, hey, ich bin immerhin noch einmal als kämpferischster Fahrer ausgezeichnet worden."
"So eine Leistung ist kein Zufall"
Chavanel ist ein Radsportler, wie ihn die Franzosen lieben. Der nie die realistische Chance auf einen großen Sieg hat, der aber dennoch immer wieder nach vorne marschiert. Und das nun zum 18. Mal in Serie bei der Tour, die er nur einmal aufgab.
"Chapeau! So eine Leistung ist kein Zufall, kein Glück. Da musst du echt hart sein", sagte Jens Voigt dem "SID". Der Berliner, 17-maliger Tour-Starter, hielt bislang gemeinsam mit dem Australier Stuart O'Grady und Chavanel den Rekord, nun steht "Chava", der 2008 und 2010 insgesamt drei Etappensiege feierte, über allen. "Ich bin mit ihm selber viele Jahre gefahren", sagte Voigt: "Er ist ein wunderbarer Fahrer, immer spektakulär, immer vorne dabei." Will sagen: Einer, wie es Voigt selber war.
Im heutigen Radsport ist Chavanel ein Relikt alter Zeiten. Als er bei der Tour debütierte, tobte das Duell zwischen Lance Armstrong und Jan Ullrich auf Hochtouren. 2007 musste sich Chavanel mit seinem Cofidis-Team, damals eines der schwärzesten Doping-Schafe, nach einem weiteren Skandal während der Tour zurückziehen. Er selbst blieb in knapp zwei Profijahrzehnten unbescholten.
Chavanel auf Rekordjagd
Doch irgendwann muss es auch mal gut sein. "Das ist definitiv meine letzte Tour. Ich könnte auch 2019 noch weiterfahren, aber ich bin nicht an einer 19. oder 20. Tour interessiert", sagte Chavanel: "Ich weiß, wie hart eine Tour ist und welche Opfer man bringen muss."
Der einstige Kontrahent kann das nachvollziehen. "Das war bei mir genauso", sagte Voigt: "Bei der letzten Tour legst du nochmal alles rein, aber in dem Wissen: Danach muss ich nie wieder leiden, mein Leben wird danach viel einfacher."
Am Montag bestritt Chavanel seine 351. Tour-Etappe. Übersteht er die Pyrenäen, dann erreicht er die Bestmarke des Niederländers Joop Zoetemelk, der 365 Etappen fuhr. Ein Jahr lang jeden Tag eine Tour-Etappe: Was sind bei so einer Leistung schon 100 Franken Flaschenpfand.