Marcel Kittel fiebert seinem Debüt bei Mailand-Sanremo entgegen. Druck verspürt der Top-Sprinter keinen. Für einen deutschen Sieg könnte in Abwesenheit von Ex-Champion John Degenkolb am ehesten Andre Greipel sorgen.
Marcel Kittel hat 14 Etappen bei der Tour de France gewonnen und ist längst ein Routinier, doch einer Herausforderung wie Mailand-Sanremo hat sich der deutsche Top-Sprinter noch nie gestellt. 291 km, über sieben Stunden im Sattel, dazu voraussichtlich abermals nasskaltes Wetter: Vor seinem Debüt bei der Primavera und dem bislang längsten Rennen seiner Erfolgskarriere verspürte Kittel eine Mischung aus purer Vorfreude und Respekt.
"Es ist schon sehr cool", sagte Radprofi Kittel: "Meine Devise ist, dass ich das Rennen erst mal kennenlernen will. Wir können locker reingehen." Der legendäre erste große Frühjahrsklassiker der Saison hatte bislang stets ohne den 29-Jährigen stattgefunden. Bei seinem Ex-Team QuickStep hatte sein kolumbianischer Sprint-Rivale Fernando Gaviria den Vorzug erhalten, zuvor war die Classicissima beim Giant-Team dem in diesem Jahr erkrankt fehlenden John Degenkolb, dem Sieger von 2015, vorbehalten gewesen.
"Eine richtige Hausnummer"
Nach dem Wechsel zu Katusha-Alpecin zur laufenden Saison bekommt Kittel nun endlich die Chance, seine eigenen Erfahrungen zu sammeln. Die Schwierigkeit Mailand-Sanremos liegt vor allem in der Länge. Kurz vor Ende der zehrenden Tortur stellen sich den Fahrern zudem die beiden Anstiegen Cipressa und Poggio in den Weg. Sie sind Schlüsselstellen auf dem Weg zum Sieg. Wer hier den Kontakt zur Spitze abreißen lässt, ist im Finale chancenlos.
Das weiß auch Kittel, der nach einer Besichtigung aber findet, dass Cipressa und Poggio "nicht so schwer sind wie gedacht, aber nach 260 km eine richtige Hausnummer."
Dieser würde sich auch Degenkolb nur zu gern stellen, doch der Wahl-Hesse ist zum Zuschauen verdammt. "Ich habe Mailand-Sanremo auch im Kopf schon abgehakt", sagte Degenkolb dem "SID" schwer enttäuscht: "Ich bin nicht in der Lage, komplett vorne mitzufahren."
Andre Greipel will angreifen
Dem 29-Jährigen vom Team Trek-Segafredo macht vor allem eine Nasennebenhöhlenentzündung zu schaffen, die das Luftholen erschwert. Unter diesen Voraussetzungen wäre ein Start für Deutschlands erfolgreichsten Klassiker-Spezialisten undenkbar. Zu groß ist das Risiko, das weitere Frühjahr mit dem Höhepunkt Paris-Roubaix (8. April) durch falschen Ehrgeiz aufs Spiel zu setzen. "Die Klassikersaison ist noch lang, und diese Rennen sind extrem wichtig für mich", sagte er.
Wenn am Samstagmorgen der Startschuss in die 109. Auflage ohne ihn erfolgt, gehört die Bühne anderen - etwa Andre Greipel. Der Top-Sprinter hat in der Vergangenheit mehrfach seine Klassikertauglichkeit unter Beweis gestellt. "Seine Form lässt darauf schließen, dass er in der Lage ist, vorne mit anzukommen. Wenn es einen Sprint gibt, dann kann er auch ganz vorne landen", sagt Degenkolb.
Spannung steigt: Kwiatowski und Sagan im Fokus
Gehört Lotto-Soudal-Profi Greipel auf dem Schlusskilometer noch zur Spitzengruppe, zählt er angesichts seiner Sprint-Qualitäten zu den Sieganwärtern. Greipel dämpfte dennoch die Erwartungen. "Man hat bei den letzten Austragungen einfach gesehen, dass es für Sprinter ziemlich schwierig wird", sagte er.
Mehr als Kittel und Co. haben die Top-Favoriten Michal Kwiatkowski (Polen/Sky) und Peter Sagan (Slowakei/Bora-hansgrohe) zu verlieren. Titelverteidiger Kwiatkowski und der im Vorjahr knapp geschlagene Weltmeister Sagan lieferten sich zuletzt einen verbalen Schlagabtausch und heizten die Stimmung an. Gefährlich werden können dem Duo der Franzose Julian Alaphilippe (Quick-Step Floors) sowie Lokalmatador Matteo Trentin (Mitchelton-Scott).


