Der eine in guter Verfassung, die anderen auf der Suche: Die deutschen Abfahrer Thomas Dreßen, Josef Ferstl und Andreas Sander wagen sich unter verschiedenen Vorzeichen auf die Streif in Kitzbühel.
Kitzbühel. Die Streif. Was dem einen Schauer über den Rücken jagt, was bei anderen die Nackenhaare aufstehen lässt oder für verstärkten Harndrang im Starthaus sorgt, löst bei Josef Ferstl beinahe Glücksgefühle aus. "Ein Mythos. Adrenalin pur. Eine megageile Strecke", sagt er über die berühmte wie berüchtigte und in der Regel eisige Piste am Hahnenkamm. "Mir taugt so etwas", sagt der 28-Jährige, vor knapp vier Wochen der erste deutsche Weltcup-Sieger in einem Super-G seit Markus Wasmeier vor knapp einem Vierteljahrhundert.
Ferstl ist schon als Kind an der Streif gewesen, mit seinem Vater. Josef Ferstl Senior ist ja durchaus eine Berühmtheit, beim wohl berühmtesten Ski-Rennen der Welt auf jeden Fall: "Sepp" Ferstl hat zweimal gewonnen auf der Streif, 1978 zeitgleich mit Sepp Walcher aus Österreich, ein Jahr später alleine. Das bringt gewisse Vorteile mit sich. Ferstl Junior, genannt "Pepi", kennt die Strecke "auswendig", und er versichert: Der Name des Vaters "steht mir nicht im Weg. Ich gehe meinen eigenen." Dieser Weg allerdings war zuletzt ein wenig steinig.
Der Sieg von Ferstl beim Super-G am 15. Dezember 2017 in Gröden war der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die nicht absehbar war. Im Sommer 2014 hatten sie beim Deutschen Skiverband ernsthaft überlegt, die Abteilung Speed dranzugeben. Dann kam Mathias Berthold zurück, diesmal als Cheftrainer der deutschen Männer, und er sagte gleich mal: Bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang wolle er die Jungs so weit haben, dass sie um die Medaillen mitfahren können. Was sehr verwegen klang, wirkte vor vier Wochen plötzlich durchaus machbar.
Berhold hofft auf Kitzbühel als "Wendepunkt"
Nur: Berthold, ein Mann, der hinter seinen Läufern steht, sie aber auch permanent fordert, ist mit der Entwicklung nicht zufrieden. Allenfalls mit jener von Thomas Dreßen, der gerade Fünfter in Wengen geworden ist und dem sie im Deutschen Skiverband viel bis alles zutrauen, auch wenn sie es lieber nicht laut sagen. Was Ferstl und Andreas Sander angeht, nun ja, "da haben wir im Moment noch mehr Arbeitsbedarf", sagt Berthold. Seine Hauptkritik an den beiden: "Beim Andi und beim Pepi sehe ich diese letzte Risikobereitschaft nicht."
Ferstl und Sander haben sich in kleinen Schritten herangekämpft an die erweiterte Weltspitze, aber Berthold findet, es reiche nicht mehr, dass sie sich unregelmäßig irgendwo zwischen den Plätzen fünf bis 15 bewegen. Berthold behauptet, Ferstl sei in der Abfahrt sogar besser als im Super-G, habe dort aber in dieser Saison "bisher nichts gebracht". Sander sei ein technisch herausragender Skifahrer, der zwar glaube, immer Risiko zu gehen, "aber er ist in Wahrheit ganz weit weg", das letzte Risiko "habe ich bei Andi noch nie gesehen, aber darauf wird es ankommen".
Berthold will übrigens nicht, dass seine Läufer immer Kopf und Kragen riskieren. Er will, dass sie ihre Risikobereitschaft ihrem skifahrerischen Können anpassen, sprich: Sie sollen wenigstens so viel Risiko eingehen, dass ihre Fahrt für sie beherrschbar bleibt. Ferstl will sich die Ansagen von Berthold auf jeden Fall zu Herzen nehmen, im Super-G am Freitag und dann in der Abfahrt am Samstag: "Vielleicht", sagt er, "ist Kitzbühel ja der Wendepunkt."