Eigentlich war Colin Kaepernick der Superstar der San Francisco 49ers. Dann machte er den Mund auf und begann Missstände anzusprechen. Eigentlich kein Problem. Eigentlich. Nun ist der Quarterback arbeitslos.
Es ist Mittwoch, der 23. August 2017. Knapp tausend Menschen haben sich in der Park Avenue in New York versammelt. Sie rufen "Boykott, Boykott!" und halten Schilder hoch auf denen Dinge zu lesen sind wie: "Stoppt diese Ungerechtigkeit!" Gerichtet sind die Sprechchöre an die Männer und Frauen im Haus mit der Nummer 345. Dort hat die NFL ihre Büros.
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Und dort sollen sie verantwortlich sein für die Arbeitslosigkeit von Colin Kaepernick. Dafür, dass kein Team den 29-Jährigen unter Vertrag nimmt.
Doch es sind auch andere Botschaften, die die Demonstration durchdringen. Kritik an Donald Trump ist ebenso gegenwärtig wie die Black-Lives-Matter-Bewegung. Und irgendwie ist ja auch alles miteinander verwoben.
Der Rassismus, den die USA bis heute nicht überwunden haben, die Krise, in der sich die NFL befindet, und der Präsident, der für viele nicht akzeptabel ist.
Im Draft fast übersehen
Angefangen hatte alles mit ihm: Colin Rand Kaepernick. Der Spielmacher kam 2011 via Draft in die NFL. Gewählt hatten ihn die 49ers aber erst in der zweiten Runde an Position 36.
Dort werden Spieler gezogen, deren Tauglichkeit allgemein angezweifelt wird. Doch auch im hochentwickelten amerikanischen Scouting-System schlüpft hin und wieder ein Rohdiamant durch. Einer wie Kaepernick.
Der Quarterback war zunächst nur die Nummer zwei hinter Alex Smith, sah in seiner ersten Spielzeit kaum Minuten. Seine Chance kam in Woche zehn der zweiten Saison: Smith zog sich eine Gehirnerschütterung zu und musste vom Feld. "Kap" nutzte die Gelegenheit - und wie. Er behielt den Platz als Starter, führte die 49ers in die Playoffs und schließlich ins Endspiel.
Wovon viele NFL-Profis ihre Karriere lang träumen, Kaepernick benötigte nur zehn Spiele, um es zu erreichen: den Super Bowl. Dort verlor San Francisco knapp gegen die Baltimore Ravens. Dennoch war es ein großer Erfolg für das Team.
In der darauffolgenden Spielzeit verpassten die 49ers eine erneute Teilnahme erst in den Conference Finals, dem Halbfinale. Kaepernicks vierte Spielzeit in der Bay Area verlief enttäuschend. Das Team verpasste die Playoffs. Es folgten eine Schulterverletzung und mehrere Umbrüche. Kaepernick verlor den Platz als Starter.
Trump: "Neues Land suchen"
Inmitten des Trubels begann Kaepernick mit seinem stillen Protest. Während der Nationalhymne saß er auf der Bank, statt zu stehen. Die ersten beiden Spiele fiel es nicht auf. Erst in Woche drei sah ein Reporter den einstigen Star, wie er auf der Bank sitzen blieb. "Ich stehe nicht auf, um Stolz auf eine Flagge für ein Land zu zeigen, das schwarze und farbige Menschen unterdrückt", erklärte Kaepernick. Ein Eklat.
San Franciscos Polizeigewerkschaft drohte mit einem Boykott der 49ers-Spiele, sollte Kaepernick ohne Strafe davonkommen. Der damalige Präsidentschaftskandidat Donald Trump empfahl dem Sportler, sich "ein neues Land" zu suchen.
Das ist nun ein Jahr her. Seitdem hat sich etwas geändert. Kaepernick steht nicht mehr in Diensten der 49ers. Er verließ den Klub am Saisonende, wäre allerdings wohl ohnehin entlassen worden.
Noch immer hat der einstige Superstar keinen neuen Job. Sportliche Aspekte können es nicht sein. Zu viele Teams haben Quarterbacks verpflichtet, die sportlich weit unter Kaepernicks Niveau agieren.
Im hauptsächlich republikanischen NFL-Milieu sind Teambesitzer üblicherweise weiße Geschäftsmänner (nur ein Owner ist nicht weiß). Sie wollen das politische Minenfeld nicht betreten, fürchten Fanproteste.
NFL wird politischer
Stattdessen tun dies nun andere Spieler. Die Zahl der Profis, die während der Hymne knien, sitzen oder auf andere Art protestieren, wächst stetig. Andere werden noch deutlicher: Spieler wie Michael Bennett, der Opfer von Polizeigewalt wurde. Der früh anfing, ebenfalls zu knien und der seine weißen Kollegen zuletzt in die Pflicht nahm. Der Defensive End wünschte sich Statements von Superstars wie Aaron Rodgers und Tom Brady.
Und die lieferten. "Ich denke, er sollte bei einem Klub im Kader stehen", verkündete Rodgers mit Blick auf die sportlichen Fähigkeiten von Kaepernick. "Ich denke, aufgrund seiner Proteste tut er es nicht." Ähnlich äußerte sich auch Brady: "Ich hoffe, er bekommt eine Chance. Seine Fähigkeiten stehen außer Frage."
Auch bei Teilen der Fans findet ein Umdenken statt. Vielen ist klar, dass der heilige Nationalsport die Augen vor der amerikanischen Realität nicht länger verschließen kann. Der Protest in New York war kein Einzelfall. Auch in Chicago gingen Menschen unlängst für Kaepernick auf die Straße.
Colin Kaepernick steht zwar momentan nicht auf dem Feld. Weg ist er allerdings nicht. Ganz im Gegenteil: Sein stiller Protest ist lauter als je zuvor.
Simon Lürwer



































