"Ich sehe uns nicht als Außenseiter", trotzte Davis-Cup-Teamchef Michael Kohlmann den Absagen des deutschen Top-Trios Philipp Kohlschreiber, Mischa sowie Alexander Zverev und fügte selbstbewusst an: "Ich denke, dass wir in allen fünf Matches Siegchancen haben."
Der Zweckoptimismus des 43-Jährigen ist die einzige und richtige Antwort auf die regelmäßige Verschmähung der deutschen Farben durch die Spitzen-Akteure. Fesselten DTB-Teams um Boris Becker und Michael Stich noch ein Millionenpublikum mit teils epischen Ländervergleichen an den TV-Geräten und entfachten so einen Tennis-Boom in Deutschland, verhallte der Ruf des DTB zuletzt nicht selten ungehört.
Während der Wechsel des Belags mitten in der Saison und die hohe Belastung die deutsche Elite auch beim wichtigen Kampf gegen den Abstieg vergrault, lacht die zweite oder dritte Reihe des deutschen Tennis den Unwegsamkeiten ins Gesicht. Jan-Lennard Struff (Nummer 54 der Welt), Cedrik-Marcel Stebe (90) sowie die Debütanten Yannick Hanfmann (136) und Tim Pütz (380) sollen die Kohlen aus dem Feuer holen. Schlecht sind die Chancen auf den Klassenerhalt dennoch nicht.
Stebe und Struff kennen den Druck
Zum einen ist das portugiesische Quartett um Spitzenspieler Joao Sousa (Nummer 57 der Welt) nicht unbedingt angsteinflößend, zum anderen dürften gute Erinnerungen die deutsche Auswahl beflügeln. Stebe sicherte dem DTB 2012, bei seiner bis dato letzten Berufung in den Kader, mit einem Überraschungserfolg gegen den Australier Lleyton Hewitt den Verbleib unter den besten Teams der Welt.
Struff avancierte im vergangenen Jahr mit zwei gewonnenen Einzeln im Playoff gegen Polen zum Matchwinner. "Ich habe als Kind immer davon geträumt, in so einer Situation gefeiert zu werden. Das ist Wahnsinn", brachte Struff den Reiz des Wettbewerbs damals auf den Punkt.
Hoffnung macht auch, dass das Duell auf Sand steigt: Hanfmann, der von Geburt an schwerhörig ist, gilt als Spezialist auf der roten Asche - im Juli erreichte der 25-Jährige bei einem seiner ersten Auftritte auf der Pro-Tour in Gstaad sogar sensationell das Finale und schlug auf dem Weg dahin unter anderem Sousa. Stebe, den Kohlmann als "Comeback-Spieler" der Saison bezeichnet, gewann 2017 sogar 33 seiner 44 Auftritte auf Sand. Das Duo dürfte sich um den Platz neben der deutschen Nummer eins Struff streiten.
Gelungene Generalprobe von Struff und Pütz
Eine weitere Variante wäre, dass Kohlmann Struff nur in ein Einzel schickt, anschließend auf Stebe und Hanfmann setzt und den Warsteiner für das Doppel an der Seite von Pütz schont. Das Duo steht regelmäßig gemeinsam auf dem Court und feierte vor wenigen Tagen mit dem Erfolg beim Challenger-Turnier in Genova eine gelungene Generalprobe. An der Motivation dürfte zumindest nicht mangeln. "Der Davis Cup ist ein Traum für mich", gab Pütz, der sich erst spät für eine Profilaufbahn entschied, im Gespräch mit dem DTB zum Besten.
Wenn ab Freitag die ersten Filzkugeln unter Wettbewerbsbedingungen über das Netz fliegen, stehen die Chancen für die DTB-Nobodys also nicht schlecht. Mit Boris Becker ist dann auch ein Gesicht der glanzvollen alten Zeiten dabei.
Der neue Chef des deutschen Herren-Tennis ist sich seiner Präsenz und Wirkung durchaus bewusst. "Ich gebe vielleicht Sicherheit. Ich habe breite Schultern, mich stört das nicht", so Becker, der aber auch etwas wehmütig auf vergangene Zeiten verweist. "Davis Cup in den 80er, 90er Jahren war etwas anderes. Die Zeiten haben sich geändert."
Marc Affeldt




