Die erste WM-Titelverteidigung seiner Karriere steht bevor. Am 11. März boxt Halbmittelgewicht-Weltmeister Jack Culcay gegen den US-Amerikaner Demetrius Andrade (Samstag, 22:15 Uhr, ProSieben MAXX).
Culcay zählt zu den große Hoffnungsträgern des deutschen Boxsports. Der Schützling von Star-Trainer Ulli Wegner hat 22 seiner 23 Profi-Kämpfe gewonnen, elf davon vorzeitig. Im exklusiven sport.de-Interview spricht der 31-Jährige über den WM-Kampf, seine Zukunftspläne und die Gefahren des Boxsports.
Herr Culcay, Sie wurden Weltmeister der WBA, als Sie zu Hause auf dem Sofa saßen. Ist die Boxwelt nicht verrückt?
Jack Culcay: Das stimmt. Ich hätte mir das natürlich anders gewünscht.
Können Sie unseren Lesern kurz erklären, wie es zu dieser merkwürdigen Konstellation kam?
Ich hatte im April meinen Interims-Weltmeistertitel verteidigt. Der offizielle Weltmeister war damals noch Erislandy Lara. Der boxte kurz darauf gegen Vanes Martirosyan. Ich wusste: Wenn Lara gewinnt, steigt er zum Superchampion auf. Ich würde dann als Interims-Weltmeister zum offiziellen Weltmeister ernannt werden. Ich habe mir den Kampf von Lara damals um fünf Uhr morgens angesehen. Plötzlich war ich dann Weltmeister.
Ist die Box-Welt mit all den Verbänden und den verschiedenen Titeln nicht zu undurchsichtig?
Für Außenstehende ist das wirklich kompliziert. Es gibt eben mehrere Verbände und zu viele Titel. Die Verbände wollen damit einfach Geld machen. Ich finde es in Ordnung, dass es einen Superchamp und einen Weltmeister gibt. Einen Interims-Weltmeister müsste es allerdings nicht geben. Dieser Titel hat keine große Bedeutung.
Nun verteidigen Sie Ihren WM-Gürtel gegen Demetrius Andrade. Was ist das für ein Gegner?
Er ist als Rechtsausleger relativ schwer zu boxen. Er ist sehr explosiv und schlägt viele Kombinationen. Er ist ein langer Kerl, macht sich im Ring aber eher klein. Zudem bringt er viel Erfahrung mit. Er wurde nicht ohne Grund Weltmeister bei den Amateuren und später Profi-Weltmeister der WBO.
Als Amateur haben Sie bereits vor zehn Jahren gegen Andrade geboxt und verloren. Welche Erinnerungen haben Sie an den Kampf?
Ich habe zwar verloren, aber das Urteil der Punktrichter war sehr zweifelhaft. Er wurde als Heim-Boxer bevorzugt.
Auch im Profiboxen sind die Punkturteile häufig diskussionswürdig. Manche bewerten die klaren Treffer, andere die Aktivität. Wissen Sie vor einem Kampf, wer die Punktrichter sind und nach welchen Kriterien sie werten? Oder ist das bei jedem Kampf eine Wundertüte?
Das ist wirklich eine Wundertüte. Die Punktrichter ticken eben sehr unterschiedlich, kommen aus verschiedenen Ländern und haben eine andere Sicht auf das Boxen. Deshalb muss ich versuchen, viel nach vorne zu gehen, viel zu schlagen, aber auch die klaren Treffer zu setzen. Gleichzeitig muss ich zusehen, selber keine klaren Treffer abzukriegen. Das ist über zwölf Runden allerdings kaum möglich.
Direkt nach dem Schlussgong wissen Sie also nie, wie die Punktrichter den Kampf gesehen haben.
Genau. Das war auch bei meiner bislang einzigen Niederlage so. Ich wusste, dass ich den Kampf gegen Guido Niclas Pitto knapp gewonnen habe. Mein Trainer war der gleichen Meinung. Aber die Punktrichter haben anders entschieden. Da ist man als Boxer machtlos. Den Rückkampf habe ich dann klar gewonnen. Ich muss in jedem Kampf versuchen, jede Runde zu gewinnen. Mehr kann ich nicht machen.
Die Karrieren von den großen Box-Stars Wladimir Klitschko, Artur Abraham, Felix Sturm und Jürgen Brähmer neigen sich dem Ende zu. Trauen Sie sich zu, dass neue Gesicht des deutschen Boxsports zu werden?
Warum nicht? Ich nehme jede Herausforderung an.
Felix Sturm wurde in Deutschland populär, als er in den USA gegen Oscar de la Hoya geboxt hat. Artur Abraham wurde berühmt, als er einen Kampf trotz doppeltem Kieferbruchs gewann. Braucht ein Boxer einen Mega-Fight, um zum Superstar zu werden?
Das ist bestimmt so. In meiner Gewichtsklasse gibt es die stärksten Gegner. Wenn ich den Kampf gegen Andrade gewinne, könnte ich auch in Amerika gegen die besten Boxer meiner Gewichtsklasse antreten.
An welche Boxer denken Sie?
Saul Alvarez und Miguel Cotto wären die perfekten Gegner. Floyd Mayweather boxt ja leider nicht mehr.
Der kommt aber immer wieder zurück, wenn die Börse stimmt.
Das ist richtig. Ich will einfach gegen die Besten in den Ring treten. Ich wäre sofort bereit, dafür nach Amerika zu gehen. Man müsste das einfach wagen. Letztendlich sind diese Stars auch nur Menschen.
Sie werden von Ulli Wegner trainiert. Er wirkt sehr kumpelhaft, aber auch sehr streng. Wie ist die Zusammenarbeit mit ihm im Trainingsalltag?
Streng ist er nur gegenüber den Leuten, die sich im Training wenig Mühe geben. Das ist bei mir anders. Ich liebe es, hart zu trainieren. Deshalb haben wir nie Probleme miteinander.
Bei Ihrem Trainingspartner Artur Abraham muss er also strenger sein als bei Ihnen?
Genau. Mein Vater hat mich so erzogen, dass man immer pünktlich sein sollte und alles mit dem nötigen Ernst betreiben muss. Auch meine Zeit bei der Bundeswehr hat mich geprägt. Das kommt mir heute zugute.
Wie sieht der Trainingsalltag in der direkten Kampfvorbereitung aus?
Man arbeitet 24 Stunden pro Tag auf einen Kampf hin. Das beginnt bei der Ernährung und reicht bis hin zum Schlafen. Ich trainiere erst zweieinhalb bis drei Stunden. Dann geht es in die Sauna, in die Kältekammer oder auf die Massagebank. Später folgt noch eine vierstündige Trainingseinheit.
Boxen ist ein gefährlicher Sport. Immer wieder weisen Studien auf die Gefahren hin, dass starke Schläge auf den Kopf zum Beispiel zu Hirnschäden führen können. Wie leben Sie mit diesem Risiko?
Man verdrängt dieses Risiko. Ich mache mir wenig Gedanken darüber, weil ich seit 18 Jahren boxe und nie Probleme hatte. Aber natürlich kann es auch mich treffen. Ein falscher Schlag kann schlimme Folgen haben. Das haben wir leider im November bei Eduard Gutknecht erlebt. Ich sehe hier auch die Ringrichter mehr in der Verantwortung.
Inwiefern?
Wenn ein Boxer acht oder neun Runden lang ständig etwas auf den Kopf bekommt, muss der Ringrichter das erkennen und den Kampf abbrechen. Die Ringrichter müssten besser ausgebildet werden. So etwas wie mit Gutknecht darf einfach nicht passieren. Die Schläge im Boxen sind nun einmal sehr hart. Im Kampf tut es nicht weh, aber danach schon.
Sie wurden durch Ihren Vater an den Boxsport herangeführt. Würden Sie, wenn Sie später selber Kinder haben, Ihre Kinder ebenfalls den Boxsport empfehlen? Oder würden Sie aufgrund der Gefahren eher abraten?
Ich würde meinem Kind schon das Boxen beibringen. Das ist nun einmal meine Leidenschaft. Ob er dann aber in den Ring steigen möchte, müsste er selber entscheiden. Abhalten würde ich ihn jedenfalls nicht.
Das Interview führte Oliver Jensen