Yuliya Stepanova brauchte eine Nacht und einen Tag, dann hatte die wohl berühmteste Doping-Whistleblowerin der Sportgeschichte ihre Bestürzung in Worte gefasst. Ihr Ausschluss von den Olympischen Spielen in Rio sei "unfair", teilt die 30-Jährigen am Montag in einer dreiseitigen Erklärung mit. Die Entscheidung, sie trotz all ihrer Verdienste um die Aufklärung des russischen Dopingskandals nicht in Brasilien laufen zu lassen, würde auf "falschen und unwahren Aussagen" basieren.
Die Betroffenheit ist nachvollziehbar. Stepanova, die ihr Leben riskiert hat, um den vom Staat orchestrierten Betrug in der russischen Leichtathletik aufzudecken, die mit ihrem Mann Vitali und Sohn Robert an einem geheimen Ort lebt, der der internationale Sport für ihren Mut dankbar sein muss, sie darf in Rio nicht starten. Laut IOC-Ethikkommission erfüllt die 800-m-Läuferin, weil sie selbst mindestens fünf Jahre Teil des Systems gewesen sei, "nicht die ethischen Anforderungen an einen olympischen Athleten". Stepanova muss diese Aussage wie Spott vorkommen, wenn man bedenkt, dass etwa US-Sprinter Justin Gatlin, bereits zweimal positiv auf Doping getestet, am Zuckerhut um 100-m-Gold rennt.
Für viele ist die Entscheidung des IOC, zahlreiche russische Athleten für Rio zuzulassen, Stepanova aber zu brüskieren, eine Bankrotterklärung im Anti-Doping-Kampf. Ausgerechnet Stepanova, "die Sportlerin, die mit ihren mutigen Enthüllungen das Dopingsystem ihrer Heimat ins Wanken brachte, darf nicht zu Olympia. Die fatale Botschaft: Wer über Doping auspackt, wird bestraft", kommentierte ARD-Experte Hajo Seppelt, der zusammen mit Stepanova den Skandal im russischen Sport ins Rollen brachte.
Ein falsches Zeichen
Stepanova und die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA befürchten nun, dass Kronzeugen immer mehr Anreize verlieren, über betrügerische Machenschaften zu berichten. Die Botschaft, die Stepanovas Startverbot an alle Whistleblower der Zukunft aussende, "bereitet der WADA große Sorgen", sagte Generalsekretär Olivier Niggli. Stepanova habe mit viel Mut "den größten Dopingskandal der Geschichte aufgedeckt". Doch anstatt mit einem Auftritt auf der größten Bühne des Sports gewürdigt zu werden, wird sie erneut bestraft.
Stepanova betonte am Montag zudem, sie hätte es nie abgelehnt, als Teil des russischen Teams anzutreten - sondern die Athleten wollten nicht im gleichen Team wie die 30-Jährige starten. "Wenn das Russische Olympische Komitee gesagt hätte, es würde mich unterstützen und mich gerne in seinem Team haben, hätte ich das akzeptiert. Ich wollte nie jemandem schaden, sondern den Sport sauberer machen", sagte Stepanova. "Ich bin nicht gegen die russischen Athleten, ich unterstütze sie vom ganzen Herzen. Sie tun mir leid, dass sie Teil dieses Systems sind."
Die Geschichten sind wahr!
Jenes System steht am Ende fast wie der Sieger da. "Russland glaubt immer noch nicht, dass die Geschichten über Doping wahr sind", hatte Stepanova noch Anfang Juli bei der Leichtathletik-EM in Amsterdam gesagt, wo sie als einzige Russin mit einer Ausnahmegenehmigung starten durfte. Doch die Geschichten sind wahr, das hat eine unabhängige Kommission der WADA längst bestätigt. Die russischen Leichtathleten bleiben deshalb auch bis auf Weiteres international gesperrt. Stepanova hatte beantragt, als neutrale Athletin an den Spielen teilnehmen zu dürfen. Aber sie erfüllt ja nicht die "ethischen Anforderungen". Die Einladung an sie und ihren Ehemann, in Rio Gäste des IOC zu sein, klingt da fast wie Spott.