Ein paar Brocken Russisch aus seiner Schulzeit kann Ricco Groß noch. Die helfen ihm zumindest ein bisschen in seinem neuen Job. Seit August betreut er als Coach Russlands Biathlon-Herren. Im Interview spricht der 45-Jährige über die Mentalität seiner neuen Schützlinge, den Abschied vom DSV und die Doping-Problematik im russischen Sport.
Herr Groß, wie sind Ihre ersten Erfahrungen in der neuen Position?
Ricco Groß: Ich habe mich mit großer Motivation, aber auch großer Neugier in die Arbeit gestürzt. Es ist vieles anders, als ich es bislang gewohnt war. Aber ich bekomme viel Unterstützung. Die Sportler sind hochmotiviert. Also, zusammengefasst: alles läuft prima.
Sind Männer einfacher als Frauen zu trainieren?
Groß: Die Frage müsste, bezogen auf meine Erfahrung, ja lauten: Sind russische Männer einfacher zu trainieren als deutsche Frauen? Aber soweit möchte ich nicht gehen. Es sind alles sehr fokussierte Athleten. Genauso wie es bei den Mädels welche gab, die Schlupflöcher gesucht haben und andere, die Extraschichten schieben wollten, gibt es die auch bei den Männern.
Was gefällt Ihnen an der russischen Mentalität?
Groß: Wenn ich den Wodka nicht mittrinken muss ..., sehr gut. Spaß beiseite: der Ehrgeiz ist sehr ausgeprägt, aber auch die Lernwilligkeit. Natürlich mussten wir uns aneinander gewöhnen. Ich habe aus meinen Erfahrungen im ja sehr gut geregelten deutschen System viele Dinge eingebracht, die erst einmal zu Erstaunen geführt haben. Wenn sie aber sehen, dass es sinnvoll ist, gehen sie jeden von mir geforderten Weg mit.
Was ist gewöhnungsbedürftig?
Groß: Die riesigen Entfernungen. Als Meilensammler mache ich mich inzwischen auch ganz gut.
Sind die russischen Athleten im Handling anders als die Deutschen?
Groß: Jeder ist Profi genug und weiß, was er zu machen hat.
Wie schwer ist es Ihnen gefallen, den Deutschen Ski-Verband zu verlassen?
Groß: Das war natürlich nicht einfach, da ich ja mehr als ein sportliches Leben lang mit dem DSV verbunden war. Erst von 1990 bis 2007 als Sportler, dann von 2010 bis 2015 als Trainer. Aber die Herausforderung, die das russische Angebot darstellte, war so interessant, dass nicht viel Zeit für Wehmut blieb.
Was waren Ihre Beweggründe für den Abschied aus der Heimat?
Groß: Natürlich gab es auch ein paar Probleme. Es wäre falsch, dies abzustreiten. Aber wo gibt es die nicht. Ich schaue aber nicht zurück, sondern nach vorne. Die Möglichkeit, eine starke Mannschaft betreuen zu dürfen, war zu verlockend.
Können Sie sich vorstellen, wieder zum DSV zurückzukehren?
Groß: Ich habe jedenfalls keine Türen verschlossen.
Und in welcher Funktion?
Groß: Bis 2018 denke ich an meine Arbeit für die Russische Biathlon-Union. Und ich sehe mich ja noch in viel größeren Bereichen als nur jenem des Trainers. Es ist ja bekannt, dass die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen in den letzten Jahren aus politischen Gründen ziemlich eingebrochen sind, obwohl beiderseits die Unternehmen danach lechzen, diese wieder zu beleben. Kurz nachdem mein Vertrag mit der Russischen Biathlon-Union fixiert war, hat mich ein führender deutscher Saunahersteller als Markenbotschafter verpflichtet. Andererseits hat mich Wladimir Putin bei einer Veranstaltung schon kurz empfangen. Er ist großer Biathlon-Fan. Ich weiß um die Verantwortung meiner Aufgabe auf mehreren Ebenen.
Was trauen Sie Ihrem neuen Team zu?
Groß: Da antworte ich mal als Bayern-Fan im Duktus des deutschen Fußball-Rekordmeisters: alles andere als der Kampf um Titel wäre eine Enttäuschung. Wir wollen uns in jedem Rennen gut präsentieren.
Wer neben Anton Schipulin und Jewgeni Garanitschew kann noch für sportliche Furore sorgen?
Groß: Alle haben gut trainiert und werden sicher das ein oder andere Mal im Bereich der Top 15 auftauchen.
Gibt es Zielvorgaben vom Verband?
Groß: Wir wollen gemeinsam erfolgreich sein.
In der Vergangenheit gab es immer wieder Doping-Vergehen im russischen Biathlon. Haben Sie deswegen nicht mit der Unterschrift unter den Vertrag gezögert?
Groß: Natürlich haben wir dieses Thema in den Gesprächen sehr ausführlich behandelt. Der Verband weiß, dass ich jede Form von Betrug im Sport ablehne.
Zuletzt wurde der russische Leichtathletikverband von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen. Hat diese Entscheidung auch Auswirkungen auf den Biathlon-Verband?
Groß: Ich bin gegen jede Art von Doping. Ich bin aber auch gegen jede Art von Verallgemeinerung und Vorverurteilung. Damit sollte meinerseits alles zu diesem Thema gesagt sein.