Für McLaren verschob sich mit dem Fallen der Zielflagge beim Grand Prix von Las Vegas 2025 eigentlich der Fokus voll auf den möglichen Titelgewinn von Lando Norris in Katar. Doch statt eines heiteren Abends und der Vorbereitung der Feierlichkeiten gab es ein abruptes, ganz böses Erwachen.
Beide MCL39 wurden nachträglich disqualifiziert, weil die in die Bodenplatte eingelassenen Skid Pads unter dem Fahrzeug die Mindeststärke unterschritten hatten. Die Entscheidung der FIA war klar und ist nicht anfechtbar.
Das geschah ausgerechnet in einem Rennen, in dem McLaren angesichts der WM-Situation keinerlei Grund hatte, ein erhöhtes Risiko einzugehen. Damit rückt eine Frage in den Mittelpunkt: Wie konnte ausgerechnet die Stärke dieses Autos - die geringe Anfälligkeit für Bodenwellen und damit die Fähigkeit, extrem tief zu fahren und viel Abtrieb via Ground-Effect zu erzeugen - in Las Vegas zum entscheidenden Schwachpunkt werden?
Streckenlayout mit versteckten Tücken
Der Las Vegas Strip Circuit wirkt auf den ersten Blick unkompliziert: lange Vollgaspassagen, wenige Kurven, glatter Asphalt. Doch die Realität ist komplexer. Denn der Stadtkurs bietet die fast einmalige Mischung aus gleichzeitigem glattem Asphalt mit wenig Grip und den für Stadtkurse typischen Bodenwellen.
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Das gepaart mit den hohen Topspeeds macht die Wahl der Fahrzeughöhe zu einem heiklen Balanceakt. Denn je höher die Geschwindigkeit, umso stärker werden die Autos auf den Boden gepresst. Und es gibt in Las Vegas viele lange Geraden mit weit über 300 km/h. Man fährt also ungewöhnlich lange im kritischen Bereich bei gleichzeitig starken Bodenwellen.
Je tiefer die Autos liegen, desto höher der Abtrieb durch den Unterboden - aber desto stärker auch die Gefahr, dass die Bodenplatte auf den Bodenwellen aufsetzt. Bei über 340 km/h, wenn die Fahrzeuge maximal auf den Asphalt gepresst werden, reichen wenige Millimeter, um ungewollten Kontakt mit dem Asphalt auszulösen.
Unerwarteter Faktor: Porpoising
McLarens Konzept basiert darauf, besonders viel Abtrieb über den Unterboden zu generieren. Die MCL39 ist in der Regel weniger anfällig für Bodenwellen als viele Rivalen und kann deshalb mit niedriger Bodenfreiheit fahren. Normalerweise ist das ein Vorteil.
Doch dieser Vorteil wird zum Risiko, wenn sich bei hoher Belastung ein aerodynamisches Phänomen aufbaut, das in der Saison 2022 groß von sich reden machte: Porpoising, das in den Trainings kaum erkennbar war, trat im Rennen plötzlich stark auf. Es handelt sich um das gefürchtete "Hoppeln" der Fahrzeuge, das im ersten Jahr bei der Rückkehr des Ground Effects ein Riesenthema war.
Der hohe Abtrieb zieht dabei das Auto nach unten. Wenn es aufsitzt, entsteht ein Strömungsabriss, der Abtrieb reißt ab, und das Auto löst sich wieder vom Asphalt. Dann beginnt der Prozess erneut. Eigentlich schien das Wort nach der Saison 2022, als Gegenmaßnahmen getroffen wurden, schon in die Geschichtsbücher verbannt.
Doch beim abtriebsstarken McLaren MCL39 tritt das Phänomen hin und wieder unter ganz speziellen Bedingungen erneut auf. Das war bereits in Barcelona in den Trainings der Fall. McLaren reagierte damals, indem das Team die Fahrhöhe anhob. In Las Vegas trat das Phänomen dann wieder auf, aber erst im Rennen und zur riesigen Überraschung des Teams.
Dafür gibt es mehrere Gründe:
- durchwachsene und teilweise wenig repräsentative Trainingsdaten (rote Flagge in FT2, Regen in FT3 und im Qualifying) - ein bewusst tief gewähltes Set-up, um langsamere Passagen und Reifenmanagement zu optimieren - das Ganze womöglich noch kombiniert mit einer etwas weicheren Fahrwerksabstimmung als sonst, um in den langsamen Kurven schneller zu sein - die grundsätzliche Charakteristik der McLaren-Aero, die schnell ins kritische Schwingen geraten kann, wenn die Rahmenbedingungen sich ändern
Im Rennen ergab sich ein ungünstiger Mix aus Tempo, Bodenwellen, niedriger Fahrzeughöhe und dem spontanen Einsetzen des Porpoisings - mit der Folge, dass die Bodenplatte deutlich stärker abgerieben wurde als erwartet.
McLarens Erklärung und mögliche Schäden
Teamchef Andrea Stella betonte nach dem Rennen, dass beide Fahrzeuge "unerwartet hohe" Porpoising-Werte erlebten, die in den Trainings nicht sichtbar waren. Zudem habe man nach dem Rennen kleinere Beschädigungen entdeckt, die möglicherweise zu zusätzlicher Unterbodenbewegung geführt haben könnten.
Bei Oscar Piastri gibt es zumindest eine mögliche Ursache: Er wurde in Kurve 1 von Liam Lawson berührt. Offensichtliche Folgen am Unterboden waren nicht erkennbar, aber solche Berührungen können feine aerodynamische Veränderungen hervorrufen, die sich erst bei hohen Geschwindigkeiten auswirken.
Für Norris gibt es kein dokumentiertes Ereignis, das auf konkrete Schäden hindeuten würde. Dennoch blieb das Resultat identisch und Beschädigungen durch Zweikämpfe sind damit als Ursache eigentlich auszuschließen. Trotz weiterhin 24 Punkten Vorsprung bleibt die WM-Situation angespannt.
Letzte Gegenmaßnahmen: Langsamer machen, bevor es zu spät ist
Formel-1-Teams verfügen über keinerlei Sensoren, die direkt die Dicke der Bodenplatte messen. Stattdessen versuchen sie, über Algorithmen aus anderen Telemetriedaten und Set-uphöhen das Abnutzungsrisiko abzuschätzen.
In Las Vegas zeigten diese Modelle McLaren irgendwann an, dass der Verschleiß kritisch werden könnte. Daraufhin folgte der letzte Notanker: Die Fahrer mussten bewusst das Tempo drosseln. Norris und Piastri wurden angewiesen, in schnellen Passagen früher vom Gas zu gehen und vor den Bremszonen zu lupfen. Selbst auf dem langen Las Vegas Strip gingen beide McLaren-Piloten mehrfach vom Gas.
Die Daten zeigen klar: Zwischen Runde 45 und 48 senkte Norris das Tempo um bis zu 40 km/h. Ein ungewöhnliches Bild in einem Rennen, das ansonsten komplett auf Topspeed ausgelegt ist. Die Maßnahmen reichten aber nicht mehr aus. Bei den FIA-Messungen lagen beide Fahrzeuge unter der erlaubten Mindeststärke von 9,0 Millimetern (inklusive Toleranz):
Norris: 8,88 Millimeter vorne / 8,93 Millimeter hinten Piastri: 8,96 Millimeter vorne / 8,74 Millimeter Mitte / 8,90 Millimeter hinten
Bei einer derart deutlichen Unterschreitung blieb der FIA keine andere Wahl, als die Disqualifikation auszusprechen.
Fazit
McLaren fiel in Las Vegas einem paradoxen Zusammenspiel aus eigener Fahrzeugphilosophie und untypischer Streckendynamik zum Opfer. Die MCL39 waren zu tief, das Set-up zu optimistisch - und das Porpoising entwickelte sich im Rennen stärker als in den Trainings abzusehen war.
Reaktive Eingriffe am Ende des Rennens kamen zu spät, die Bodenplatte hatte schon zu sehr gelitten. Die Disqualifikation ist sportlich ein Rückschlag, aber technisch gut erklärbar. Für Katar stellt sich nun vor allem eine Frage: Wie viel Risiko ist McLaren noch bereit einzugehen, wenn es um den WM-Titel geht?



