Wenn die Indianapolis Colts in dieser Woche nach Deutschland reisen, um im ersten Berlin Game der NFL gegen die Atlanta Falcons anzutreten, dann werden die Blicke auch auf Quarterback Daniel Jones gerichtet sein, der ein Jahr zuvor in München noch eine traurige Figur abgegeben hatte.
Daniel Jones fiel vor Jahresfrist vor allem durch seine zögerliche und mutlose Spielweise in Diensten der New York Giants auf, die in der Allianz Arena von München den Carolina Panthers nach Verlängerung unterlagen. In Erinnerung blieb etwa, dass Jones bei einem Flea-Flicker einen Sack kassierte und Head Coach Brian Daboll an der Seitenlinie vor Wut tobte.
Jones wurde wenig später von den Giants durch Tommy DeVito ersetzt und schließlich entlassen. Seine Karriere schien am Scheideweg mit keinem klaren Weg zurück zu einem weiteren Starting-QB-Gig in der NFL. Er schloss sich den Minnesota Vikings an, obwohl er wusste, dass er dort keine Rolle spielen würde bis Saisonende.
Wie sich jedoch herausstellte, war dies jedoch der richtige Schritt, um sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen und erstmal zur Ruhe zu kommen. In einem der besten Kurorte für Quarterbacks - neben San Francisco mit Kyle Shanahan - erholte sich Jones dann unter Head Coach Kevin O'Connell ähnlich wie in dem Jahr auch Sam Darnold als Starter und ging schließlich mit neuem Fokus und mehr Selbstvertrauen in die Free Agency.
Konkurrenz für Anthony Richardson
Letztlich landete er bei den Colts, wo die klare Marschroute war, Konkurrenz für den bisherigen Starter Anthony Richardson zu schaffen, der in zwei Jahren in der NFL nicht wirklich überzeugte - in der verhältnismäßig kurzen Zeit, in der er tatsächlich fit war und spielte, versteht sich. Jones setzte sich am Ende durch und begann die Saison als Starter.
Jones erfüllte im Grunde alle Kriterien, nach denen Steichen Ausschau gehalten hatte: "Du suchst nach einem Spieler, der im Huddle das Kommando übernimmt, gut kommuniziert und dann effizient die Offense anführt; die Pässe nimmt, wenn sie da sind, klug spielt, nichts erzwingt und den Ball bewegt", sagte Steichen im Programmheft für das Berlin Game.
Was Jones seither gemacht hat, ist verblüffend. Nach sechs Jahren in der Liga, in denen er im Grunde nie auch nur zu den besseren Quarterbacks der Branche gezählt hat, führt er nun die effizienteste Offense der NFL an (+0,16 EPA/Play). Die Colts liegen nach ihrem Ausrutscher in Pittsburgh (20:27) auf Rang 2 der NFL in Yards pro Spiel und auf Rang 1 in Punkten pro Spiel. Wir reden hier über ein Team, das im Vorjahr in all diesen Belangen höchstens Durchschnitt verkörperte, seit 2020 nicht mehr zweistellig Spiele gewonnen hat und seit 2014 auf einen Division-Titel in der AFC South wartet.
Nun, wenige Tage vor dem Berlin Game, stehen die Colts bei 7-2 und führen die NFL an - sie wären Stand jetzt sogar der Top-Seed der AFC, was ihnen seit Peyton Mannings Zeiten nicht mehr gelungen war. Was also hat sich verändert? Wie ist Daniel Jones' signifikanter Leistungsanstieg zu erklären?
| Statistik | Liga-Rang |
| Passing Yards | 1. |
| Passer Rating | 11. |
| Expected Points Added (EPA) | 4. |
| EPA/Dropback | 7. |
| QBR | 7. |
Shane Steichen ist die Antwort
Die erste Antwort darauf muss natürlich Head Coach Shane Steichen sein. Er hatte bereits großen Anteil daran, dass die Philadelphia Eagles 2022 mit einer explosiven Offense den Super Bowl erreichten. Und nach zwei durchwachsenen Jahren mit zahlreichen verschiedenen QBs aufgrund der Verletzungen von Richardson, hat er nun wieder einen Passgeber gefunden, der seine Vorstellungen umsetzen und vor allem seine guten Vorlagen verwerten kann.
Jones jedenfalls ist begeistert von seinem neuen Coach: "Zum einen ist er unglaublich detailorientiert, wenn es darum geht, jede Position zu coachen – besonders natürlich die Quarterback-Position und was er dort sehen will. Ich finde, er macht einen großartigen Job, indem er die Dinge nicht verkompliziert und sicherstellt, dass alle bereit sind. Wir haben die Antworten – es ist alles sehr durchdacht, und jeder ist fokussiert. Es macht Spaß. Es ist ein unterhaltsames System, in dem man spielt. Es bietet viel Abwechslung und viele Möglichkeiten, eine Defense anzugreifen. Es gibt einige neue Konzepte und Dinge, die ich bisher nicht so oft gemacht habe und noch lerne, aber ich genieße die Zusammenarbeit mit ihm und das Lernen von seiner Herangehensweise wirklich sehr."
Steichen, dessen Offense am besten als Mischung auf QB-Option und West Coast umschrieben werden kann, versteht es, seinem Quarterback Lösungen an die Hand zu geben. Er macht es ihm leicht, die Offense umzusetzen, indem er ihm einfache Reads gibt, das Spiel vereinfacht und mehrere Möglichkeiten aufzeigt. Kurzum: er bringt seinen QB und damit die Offense in eine Position, erfolgreich zu sein.
In Kombination mit Daniel Jones lässt sich das an mehreren Punkten leicht erkennen: Jones hatte in seiner Karriere bis auf 2021 und 2022 nie eine so hohe Play-Action-Quote wie in diesem Jahr. Sie liegt derzeit bei 37,4 Prozent und damit deutlich höher als etwa im Vorjahr (25,8 Prozent). Jeder sollte mittlerweile wissen, dass Play Action jedem Quarterback das Leben leichter macht, weil Verteidiger darauf reagieren müssen und damit Lücken über die Mitte öffnen. Vor allem hat Jones damit seine höchste Zeit, um den Ball zu werfen. Und mehr Zeit ist in aller Regel gut für Quarterbacks.
Die drohende Gefahr durch Taylor
Hinzu kommt, dass Jones schon jetzt auf Kurs ist, die meisten Run Pass Options seiner Karriere zu spielen. RPOs sind der ultimative Weg, eine Offense für den QB zu vereinfachen, weil sie Reads für ihn deutlich einschränken - der Fokus liegt nur auf wenigen Verteidigern, die darüber entschieden, welchen Teil der Option man nutzt. Und im Fall von Jones ist es zumeist der Pass, denn Gegner der Colts müssen natürlich jederzeit mit einem (explosiven) Run von Superstar-Running-Back Jonathan Taylor rechnen, der die Liga in Rushing Yards und Touchdowns anführt.
Zudem hat Steichen einen Weg gefunden, Jones' gottgegebene Mobilität auf eine bessere Weise einzusetzen als seine Kollegen in New York. Jones hat deutlich weniger designte Runs als früher - Scramble-Runs gibt es immer noch, aber nicht in einer sonderlich hohen Frequenz, da seine Bewegung in der Pocket ruhiger geworden ist und er die Augen stets Downfield hat, was auch an seiner starken Offensive Line liegen mag, die laut Bewertung von "PFF" die drittbeste in der NFL im Pass Blocking ist - obgleich man diese Bewertungen mit der gegeben Skepsis betrachten muss. Wenn er jedoch die Pocket verlässt, dann meist mit klarem Plan, nämlich einem längeren Pass.
Steichen setzt mit Jones häufig auf designte Rollouts und Bootlegs, um ihm und seinen schnellen Receivern mehr Zeit zu verschaffen und gleichzeitig den Gegner zu täuschen, schließlich muss man auch Jones' Beine respektieren.
Generell sollte man Jones nun respektieren, denn die Kombination aus Steichens Scheme und Play-Calling, der starken Offensive Line, Taylor im Backfield und den äußerst zuverlässigen und teils explosiven Receivern - die Drop-Quote von 4,7 Prozent ist die mit Abstand niedrigste seiner Karriere, wenn er eine komplette Saison gespielt hat - sorgt dafür, dass sich Jones nun aufs Wesentliche konzentrieren kann. Das scheint ihm neues Selbstvertrauen gegeben zu haben, denn nun hat er anscheinend auch eine seiner größten Schwachstellen in den Griff bekommen - Pressure!

Jones legt größte Schwäche ab
Ob nun mit Blitz oder ohne, seine Leistungen unter Druck waren in den vergangenen Jahren schlecht. In diesem Jahr jedoch sind sie sehr gut. Sein Passer Rating (101,7) bewegt sich in einer sauberen Pocket oder unter Druck - mit Blitz oder ohne - immer um die die 100er-Marke. Sehr viel konstanter kann man eigentlich nicht agieren als Quarterback. Und es ist sogar davon abzuraten, gegen Jones zu blitzen - dann nämlich wirft er im Schnitt seine tiefsten Pässe (9,5 Air Yards) und legt Big Plays auf.
Das bemerkenswerteste an Jones' Saison und den Vorstellungen der Colts ist jedoch die Tatsache, dass dieses Gesamtkonstrukt so gut funktioniert, ohne, dass Jones dafür übermäßig spektakulär spielen muss. Er spielt auf hohem Niveau und zeigt große Konstanz, aber seine Quote an den richtig guten Würfen, die "PFF" als "Big Time Plays" bezeichnet, ist mit 2,5 Prozent gar nicht mal so hoch. Sprich: Er ist eher der souveräne Ballverteiler als ein Superstar-Quarterback, der auch mal aus der Struktur ausbricht. In Steichens Scheme und mit all den Playmakern ist das aber auch gar nicht nötig.
Dass Jones jedoch sehr wohl nötig ist, zeigt die Tatsache, dass Richardson, Gardner Minshew oder Joe Flacco es in den ersten zwei Jahren unter Steichen nicht geschafft haben, diese Rolle auch nur im Ansatz so auszufüllen, wie Jones es nun tut. All das macht er im Übrigen zum Schnäppchenpreis von gerade mal 14 Millionen Dollar - plus-minus ein paar Millionen mehr an Incentives, die an Spielzeit und Erfolg geknüpft sind. Eine langfristige Vertragsverlängerung zwischen beiden Seiten sollte also nur eine Frage der Zeit sein - besonders vor dem Hintergrund, dass die Colts gerade ihre kommenden zwei Erstrundenpicks für Cornerback Sauce Gardner nach New York geschickt haben.
Jones mag kein Superstar sein, doch in den richtigen Umständen kann er einem Team weiterhelfen und es offenkundig auch besser machen. Solche Quarterbacks sind in der NFL nur schwer zu finden. Die Colts profitieren davon, dass er ihnen über Umwege begegnet ist.
Wie sich Daniel Jones mit den Colts im Berliner Olympiastadion gegen die Atlanta Falcons schlägt, seht Ihr am kommenden Sonntag live bei RTL (ab 14:30 Uhr).



































