Der Berlin-Marathon 2025 begeistert an diesem Sonntag wieder die Massen (LIVE ab 8:30 Uhr bei RTL und auf RTL+). Eine Rekordanzahl von gut 55.000 Läuferinnen und Läufer geht in der Hauptstadt an den Start. Im exklusiven Interview mit sport.de gibt Lauf-Legende und -Coach Herbert Steffny wichtige Tipps für Marathon-Einsteiger. Wie sollte das Training für die 42,195 Kilometer aussehen, was sind No-Gos und häufige Fehler? Zudem berichtet der Bestseller-Autor, warum der Berlin-Marathon so einzigartig ist.
Herr Steffny, kann prinzipiell jeder Mensch einen Marathon laufen mit entsprechender Vorbereitung?
Herbert Steffny: Da würde ich sagen: Vielleicht nicht jeder. Marathon ist eine sehr anspruchsvolle Angelegenheit, für die man orthopädisch, physiologisch als auch mental besondere Eigenschaften haben muss. Ich habe Jahrzehnte lang viele Läufer trainiert. Bei manchen merkt man dann: Der Körper will das nicht.
Aber Halbmarathon wäre eine Distanz, die mit etwas guter Vorbereitung und guten Trainingsplänen schaffbar ist.
Das heißt, Sie würden Einsteigern empfehlen, zunächst einen 10er und Halbmarathon vor dem großen Projekt zu machen?
Klar. Der Aufbau wäre: "Laufen lernen", Fitnessjoggen, eventuell ein bisschen abnehmen und gesünder werden. Dann macht einem das Ganze auch mehr Spaß. Vielleicht lässt man sich dann von einem Freund überreden, an einem Volkslauf teilzunehmen. Dann könnte das nächste Ziel lauten, einen Halbmarathon zu laufen. Wenn es einem dann immer noch zu gut geht, kann man sich an den Marathon rantrauen. Es ist wichtig, sich Schritt für Schritt an diese lange Distanz heranzuarbeiten.
Marathon ist sehr anspruchsvoll. Genau genommen, ist es eben nicht ein vierfacher 10-Kilometerlauf. Sondern eine ganze andere Strecke, für die man im Durchschnitt anderthalb Jahre Lauferfahrung haben sollte.

Wie lange sollte die konkrete Vorbereitung für Einsteiger mindestens sein?
Wer einen Halbmarathon geschafft hat, kann ernsthaft über einen Marathon nachdenken. Die spezielle Vorbereitung aus einer guten Lauffitness heraus wären zehn bis zwölf Wochen, in denen man gezielt darauf hinarbeitet. Aus meiner Sicht wenigstens vier Mal in der Woche. Der mit Abstand wichtigste Lauf ist der längere, den man von einer 18-Kilometer-Basis stufenweise ausbaut, bis man drei Mal um die 30 Kilometer gelaufen ist. Das Gute ist: Man muss nicht unbedingt schnell laufen, aber fleißig Kilometer sammeln und einmal die Woche einen langen Lauf machen.
Sie haben viel Erfahrung als Läufer und Laufcoach. Was ist der aus Ihrer Sicht wohl größte Fehler, den Anfänger machen?
Der Hauptfehler ist wohl: zu schnelles Laufen. Marathon ist eine aerobe Disziplin, sie erfolgt also im Sauerstoffüberfluss, so dass man sich eigentlich noch während des Laufens unterhalten kann.
Das machen viele falsch. Wenn wir in unseren Seminaren nachmessen, zeigt sich: Drei Viertel der Läufer macht den Dauerlauf an der anaeroben Schwelle. Das ist viel zu schnell. Man quält sich unnötig. Denn Ausdauertraining funktioniert anders: Öfter laufen, länger laufen. Dadurch wird man schneller. Das klingt paradox. Aber es ist so. Denn die biologischen Anpassungsprozesse im Körper brauchen Zeit und einen Reiz im grünen Bereich. Wenn man vier Mal die Woche läuft, würde man einen langen Lauf, zwei "harmlose" Dauerläufe und eine Einheit, die etwas schneller ist, machen.
Was wird im Training Ihrer Meinung nach häufig unterschätzt?
Ein weiterer häufiger Fehler ist falsches Schuhwerk. Das heißt, dass man sich irgendwelche Schuhe gekauft hat und verpasst hat, eine individuelle Laufanalyse zu machen. Das Beste ist, man geht in ein echtes Laufsport-Geschäft.
Man muss auch Respekt vor dem Marathon haben. Salopp gesagt: Je mehr Schiss man davor hat, desto besser wird es. Beim ersten Mal geht es darum, den Marathon überhaupt zu schaffen. Danach kann man darüber nachdenken, schnellere Zeiten anzupeilen.
Wichtig ist auch, den Untergrund der Trainingsstrecken an die Wettkampfstrecke anzupassen. Also zum Beispiel lange Läufe auf Asphalt, wenn man in Berlin laufen würde. Im Idealfall sollte man auch zur Marathon-Startzeit laufen, damit der Körper den Rhythmus umstellen kann.
Von Bedeutung ist auch das Streckenprofil. New York hat zum Beispiel viele Höhenmeter, vor allem am Ende im Central Park. In der Trainingsstrecke muss man dann auch solche welligen Abschnitte einbauen.
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In den vergangenen Jahren war viel von Carbon-Schuhe die Rede. Sollten Anfänger die Finger davonlassen?
Carbon-Schuhe bringen im Hochleistungssport sicher einige Minuten für Eliteläufer. Wenn ich für die Fitness laufe, um das Herz-Kreislauf-System zu trainieren, oder um Kalorien abzubauen, interessiert diese Art von Schuh überhaupt nicht. Sie sind teuer, halten nicht lange und sind gewöhnungsbedürftig. Mitunter können sie zu Waden- und Achillessehnenprobleme führen. Elite- und leistungsambitionierte Läufer können sie sich aber gerne anschauen und ausprobieren.
Was viele umtreibt: Wie kommt man verletzungsfrei durch die Vorbereitung? Haben Sie eine goldene Regel?
Entscheidend ist, dass man von einer fitten Basis startet und zuvor Ausdauertraining gemacht hat. Man sollte schon 18 bis 20 Kilometer in einem langsamen Tempo draufhaben. Wichtig ist, alle Steigerungen, die man im Training macht, nur sehr vorsichtig anzugehen, also keine allzu großen Sprünge machen, nicht übermütig werden. Genau genommen muss man froh sein, dass man ohne Verletzung und Erkrankung bis zum Marathon kommt – also das Projekt mit Demut angehen.
Ein Trainingsplan und die intensive Vorbereitung können auch ganz schön zäh werden, vor allem in der Mitte, wenn gefühlt alles einfach nur wehtut. Haben Sie Motivationstipps für das Loch?
Im Marathontraining hat man wahrscheinlich immer mal einen Hänger bei zwei Drittel der Zeit und fängt sogar an zu zweifeln. Also: Einfach weitermachen. Man hat gute und schlechte Tage. An guten freut man sich, an schlechten ist man schnell deprimiert. Aber schlechte Tage sind ganz normal. Kontinuität zahlt sich aus und gut Ding braucht eine Weile.
Wichtig ist, einen guten Plan zu haben und diesen zu befolgen, aber auch mal den Mut haben, auf den eigenen Körper zu hören. Wenn man sich müde fühlt, kann es sinnvoll sein, eine anspruchsvolle Einheit sausen zu lassen. An anderer Stelle macht man dann vielleicht mal mehr. Nicht mit der Brechstange handeln und mit dem Körper, statt gegen ihn trainieren.
Der ehemalige Weltrekordler Haile Gebrselassie hat das mal sehr schön formuliert:
Er wurde gefragt, ob er immer das mache, was seine Trainer sagen. Seine Antwort: Ja, er hört schon auf die Trainer, aber zuerst auf sein Körpergefühl. Das ist sehr treffend.
Was sind No-Gos, bei denen man nicht starten sollte?
Lampenfieber ist ok. Aber wer echtes Fieber hat, darf auf keinen Fall starten. Das weiß ich aus erster Hand. 1988 in Seoul bei den Olympischen Spielen habe ich einen Tag vor dem Marathon eine asiatische Grippe bekommen mit 39,8 Fieber. Niemals wäre ich gelaufen. Die Gesundheit geht vor. Letztendlich riskiert man dann eine Herzmuskelentzündung. Ich halte generell nichts von Medikamenteneinnahme – auch nicht im Training.
Es gibt Studien zu den seltenen Todesfällen bei Marathons. Sie zeigen: Circa zwei Drittel davon waren durch unerkannte Herzfehler oder durch Laufen mit Infekt bedingt also vermeidbar. Daher gehört es auch zur Vorbereitung, sich im Vorfeld bei einem sporterfahrenen Arzt untersuchen zu lassen.
Wie sieht es mit Verpflegung während des Laufs aus?
Das ist auch abhängig von den Temperaturen. Wenn es heiß ist, braucht man viel Flüssigkeit, am besten auch Wasser über den Kopf und Körper gießen. Im Wettkampf braucht man Kochsalz, um Wasser und die Kohlenhydrate in den Körper aufzunehmen. Dafür gibt es beispielsweise Elektrolyt-Getränke und Gels. Man kann sie auch selbst mitnehmen oder hat Verpflegungsposten an der Strecke. Wichtig ist, dass man die Kohlenhydrate vorzeitig, in der ersten Rennhälfte nimmt. Die Verdauung braucht eine gewisse Zeit. Wenn jemand erst bei Kilometer 34 Kohlehydrate aufnimmt, hilft das vielleicht nur noch zur Regeneration hinterher. Genau genommen sollte man schon an die ersten Getränkestationen laufen und sich versorgen.
Gels mit Koffein bitte nicht in der frühen Phase nehmen. Sonst startet man eventuell zu schnell. Der Koffeinschub funktioniert in Regel nur einmal und das sollte man sich für Kilometer 30 aufbewahren, um sich für die Endphase einen Push zu geben.
Ein geläufiger Begriff im Marathon ist der "Mann mit dem Hammer" so rund um Kilometer 30, wenn plötzlich nichts mehr geht und die Beine schwer werden – wie verhindert man den gefürchteten Einbruch?
Am besten durch gescheites Training vorher und eine sinnvolle Wettkampfstrategie. Also auf eine realistische Zeit hinzulaufen. Es gibt die Faustformel: Die aktuelle 10-Kilometer-Zeit mal 4,666. Das ist die maximale mögliche Marathonzeit. Wer seinen ersten Marathon läuft, dem empfehle ich aber, die 10-Kilometer-Zeit mit 4,9 zu multiplizieren und dann auf diese Zeit zuzulaufen.
87 Prozent aller Läufer, laufen die zweite Hälfte deutlich langsamer. Die meisten laufen also viel zu schnell los. Das ist ein Kardinalfehler. Daher sollte man sich an vorher definierten Zwischenzeiten und Pulswerten orientieren. Auch wenn man sich auf den ersten 15 Kilometern noch so locker fühlt - auf keinen Fall schneller laufen, als man sich vorgenommen hat!
Man braucht wahrscheinlich mehrere Marathons, um ideale Verhältnisse zu erwischen. Da hat Berlin beim Wetter in den vergangenen Jahren immer auch Glück gehabt.
Was macht den Reiz des Berlin-Marathons aus?
Für mich ist Berlin insofern sehr besonders, weil ich damals 1990 beim berühmten Wiedervereinigungslauf mitgelaufen bin. Als man dann durchs Brandenburger Tor gelaufen ist, war das schon sensationell. Berlin ist in Deutschland klar die Nummer 1. Er ist der internationalste Lauf, das Publikum geht enorm mit und die Strecke ist schnell. Mit den über 50.000 Startern zum Jubiläum war er einer der größten weltweit.
Eignet sich die Strecke für Einsteiger?
Grundsätzlich sind flache Strecken immer gut. Vom Profil her und der Jahreszeit ist der Berlin-Marathon also gut geeignet. Der erste Marathon sollte im Frühjahr oder Herbst sein, nicht im Sommer. Da kommen natürlich auch andere wie in Hamburg oder Frankfurt infrage. Als Debütant könnte man allerdings auch einen heimatnahen Marathon für die Premiere auswählen. So hat man gegebenenfalls Familie und Betreuer dabei.
Welche besonderen Erinnerungen haben Sie an den Berlin-Marathon?
Die Weltrekorde. Ich war als TV-Experte und Co-Kommentator jahrelang vor Ort. Heute bin ich als Sportreporter dabei und fotografiere. Letztes Jahr war der Weltrekord von Tigst Assefa sensationell. Sie hätte sogar fast meine Bestzeit pulverisiert. (lacht)
Da steht man da, schüttelt den Kopf und staunt. Auch Eliud Kipchoge ins Ziel laufen zu sehen mit seinen Weltrekorden oder Haile Gebrselassie kommentieren zu dürfen war sensationell.
Herr Steffny, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview erschien in ähnlicher Form im vergangenen Jahr.
Zur Person:
- Diplom-Biologe
- 3x Frankfurt Sieger
- EM-Bronze 1986 Marathon
- 3. Platz NYC 1984
- Olympiateilnehmer 1988 Seoul
- Laufseminarveranstalter / Laufreisen
- Buchautor mehrerer Lauf- und Ernährungsbücher, u.a. des Best- und Longsellers "Das große Laufbuch"
- Sportjournalist und Fotograf (auch beim Berlin Marathon seit Jahrzehnten)
- Jahrelanger Marathon-TV-Experte und Co-Kommentator