Als vermeintliches Jahrhunderttalent in die Formel 1 eingestiegen, macht Mercedes-Pilot Andrea Kimi Antonelli die erste Krise seiner Karriere durch. Mit einem Kopfschüttel-Manöver hat er sich ausgerechnet vor seinem Heimspiel in Monza bei den Tifosi unbeliebt gemacht, die Experten rechnen gnadenlos ab. Bringt es Antonelli einfach nicht? Die Fakten sprechen eine klare Sprache, der Druck steigt.
Jacques Villeneuve ist nicht bekannt dafür, mit Kritik hinterm Berg zu halten. Und so polterte der Weltmeister im gewohnten Klartext-Modus drauf los, als man ihn auf das Manöver von Kimi Antonelli beim Niederlande-GP gegen Charles Leclerc ansprach.
"Das ist keine Formel-1-Aktion, das ist keine Rennfahrer-Aktion, das ist im Grunde eine sehr amateurhafte Aktion - und du bist hier in der Formel 1", zog Villeneuve bei "ComeOn.com" vom Leder.
Was war passiert?
Mercedes-Rookie Antonelli hatte sich in der Steilkurve innen an Leclerc herangemacht, traf dabei das linke Hinterrad des Ferrari. Leclerc legte eine Pirouette hin, krachte in die Wand und schied aus - Nullnummer für den Monegassen, Strafe sowie ebenfalls null Punkte für Übeltäter Antonelli.
Formel-1-Legende zählt Mercedes-Rookie Antonelli an
"Es war offensichtlich, dass es nicht funktionieren wird, als ich gesehen habe, wie er dann innen reintaucht, dachte ich: 'Was denkt er denn, wo er endet", kommentierte Villeneuve das unmögliche Manöver des 18-Jährigen.
Dass Antonelli später angab, überrascht gewesen zu sein, als er auf Leclerc zusteuerte, machte das Ganze für den Kanadier noch schlimmer: "Nein! Er (Leclerc, d.Red.) war auf der Rennlinie. Was hat er (Antonelli, d.Red.) sich nur gedacht, was er da tut?"
Ähnlich kritisch äußerte sich RTL-Experte Christian Danner in der sport.de-Rennanalyse. "Er hat etwas versucht, was nicht ging. Das darf nicht passieren", urteilte der frühere F1-Pilot und legte den Finger in die Wunde: "So abgeklärt wie ein Hadjar fährt - als Rookie -, muss ein Antonelli eigentlich auch fahren."
Hadjar fuhr in Zandvoort fehlerfrei zum ersten Podium, Antonelli schoss den Bock des Tages. Die Formel 1 sei "keine Schulbank, um besser zu werden, sondern die Besten kommen in die Formel 1", betonte Danner. Gehört Antonelli zu den Besten?
Immer mehr Beobachter setzen mittlerweile das Fragezeichen hinter die Fähigkeiten des Italieners - besonders im Vergleich zu den anderen Greenhorns im Feld.
"Schaut euch (Gabriel Bortoleto) an. Er macht Schritte nach vorne", sagte Villeneuve. Für Antonelli gebe es "keine Ausreden, er ist im Mercedes. Da ist ein riesiges Team drumherum".
Andere Rookies performen stärker als Antonelli
Der einstige Weltmeister sprach dabei einen weiteren wunden Punkt an. Keiner der anderen Rookies wurde derart penibel auf die Formel 1 vorbereitet, wie Antonelli. Mercedes-Häuptling Toto Wolff ließ seinen Schüler in älteren Boliden tausende Kilometer abreißen. "Er war für das (die F1, d.Red.) also vorbereitet, und seit dem Start der Saison hat er keine Fortschritte gemacht", so Villeneuve.
Ist dem so? Ein einfach Ja wäre unterkomplex. Immerhin fuhr Antonelli in den ersten sechs Grands Prix des Jahres fünfmal verlässlich in die Punkte, wurde bei seinem Debüt in Melbourne gleich starker Vierter, danach viermal Sechster.

Beim sechsten Rennwochenende setzte Antonelli in Miami gar das erste Karriere-Highlight: Pole Position in der Qualifikation für den Sprint - viele Kritiker jubilierten. Es folgten drei technisch bedingte Ausfälle, für die der Youngster nichts konnte, ehe in Kanada mit dem ersten Podestplatz der Karriere der nächste Erfolg.
Aber: Seither läuft Italiener überhaupt nichts mehr, der Trend ist eindeutig nicht Antonellis Friend. In Spielberg schoss er in Runde 1 in der Spitzkehre völlig übermotiviert Max Verstappen ab, demolierte beide Autos. Der erste heftige Fehler des Jahres. Kann passieren, Mund abwischen, weitermachen, hieß aus dem Silberpfeil-Lager und auch Verstappen begnadigte den Mercedes-Bock.
Antonelli muss dringend liefern - mit Blick auf 2027
Das völlig unrealistische Zandvoort-Manöver mit dem Abschuss Leclercs wiegt schwerer - wennschon der Monegasse in Ferrari-Diensten seinen jungen Kollegen in Schutz nahm und nicht noch weiter auf Antonelli eindrosch. Vielleicht, weil der Routinier wusste, dass dies schon genug tun würden.
Vor dem F1-Heimspiel in Monza ist der Druck auf den jungen "Kimi" in einen gefährlichen Bereich angeschwollen. Der Hype um das vermeintliche Supertalent droht zu platzen. Gewiss: Wolff wird an seinem langjährigen Junior festhalten, Antonelli den Silberpfeil auch kommende Saison pilotieren.
Nur: Der Rookie muss jetzt liefern, will er wirklich eine Zukunft in der Königsklasse haben. 2027 kommt schneller, als man denkt. Ein Max Verstappen könnte für Mercedes dann auf dem Markt sein. Hat Antonelli bis dahin keine Erfolgspuren im Asphalt hinterlassen, ist er nicht nur für Mercedes keine Option.
Russell fährt Antonelli um die Ohren
Besonders im Duell mit seinem arrivierten Mercedes-Rivalen George Russell muss sich Antonelli dringend steigern. Der Blick auf die nackten Zahlen ist für ihn noch schmerzhafter als der Fauxpas zuletzt in Holland.
Im Qualifying steht es gegen Russell 1:14, im Rennen 0:15. Frappierend: Am Quali-Samstag ist Antonelli im Schnitt eine halbe Sekunde langsamer als der Brite (Methodik: Mittelwert der Zeitabstände aus dem jeweils letzten Quali-Segment, an dem beide teilgenommen haben). Der gegen Ausreißer robustere Median-Wert liest sich mit einer Lücke von mehr als dreieinhalb Zehntelsekunden nicht viel besser.
Antonelli muss also zum einen erheblich schneller werden, wenn er mit Russell mithalten und auf dem Niveau eines etablierten Top-Piloten fahren will. Und zum anderen muss er das schaffen, ohne weitere Unfälle zu bauen. Ein schmaler Grat - für die Nerven, den Gas- und den Bremsfuß.
Als Andrea Kimi Antonelli in die Formel 1 kam, eilte ihm der Ruf eines vermeintlichen Jahrhunderttalents voraus. Vergleiche mit Max Verstappen, der 2015 in einem ähnlichen Alter in die Königsklasse kam, wurden laut.
Von all dem ist der sympathische Italiener, den im Fahrerlager eigentlich jeder mag, zurzeit weit weg. Stattdessen reist er mit schwerem Gepäck nach Monza. A casa muss vor den kritischen Tifosi ein Erfolgserlebnis her - und einen Ferrari sollte Antonelli im Vollgas-Tempel Italiens bloß nicht nochmal abschießen.