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Abass Baraou exklusiv

Deutscher Box-Coup dank "Killer-Instinkt"

Abass Baraou explodierte in Orlando und holte sich den WM-Titel im Halbmittelgewicht
Abass Baraou explodierte in Orlando und holte sich den WM-Titel im Halbmittelgewicht
Foto: © IMAGO/Torsten Helmke
28. August 2025, 13:06

Für Größen des US-Box-Journalismus gibt es seit Samstag einen Kandidaten für den Titel "Fight of the Year": In Orlando besiegte der deutsche Profiboxer Abass Baraou den hochgehandelten Kubaner Yoenis Tellez in einer 12-Runden-Schlacht nach Punkten und krönte sich im Halbmittelgewicht zum Interims-Weltmeister. Bald schon wird Baraou auch der "echte" Champion sein, Deutschland hat dann endlich wieder einen Weltmeister.

Abass Baraou hat es geschafft: Weltmeister im Halbmittelgewicht. Ein Ziel, das vor einigen Jahren noch weit weg schien. Als heißeste Aktie des deutschen Boxens und dekorierter Amateur war der Mann aus Oberhausen 2018 bei den Preiskämpfern eingestiegen. Schon zwei Jahre später lieferte sich Baraou mit Jack Culcay einen WM-Ausscheid, der Box-Deutschland von den Sitzen riss.

Baraou verlor knapp, hatte sich im Halbmittelgewicht aber einen Namen gemacht, den erfahrenen Ex-Champion Culcay in den roten Bereich getrieben. Danach geriet die Karriere des Top-Technikers ins Stocken. Zoff mit seinen Promotern und die Corona-Pandemie bremsten Baraou aus. Der gab nicht auf, ging zum Training nach England und die USA, fightete sich in den Ranglisten zurück. 

Im Vorjahr eroberte der 30-Jährige den EM-Titel und die Position als Herausforderer von WBA-Interims-Weltmeister Yoenis Tellez. Der 25-jährige Kubaner gilt in den USA als kommende große Nummer in der Klasse bis 69,85 Kilogramm. In Orlando hatte Promoter und Influencer Jake Paul eine große Bühne für Tellez bauen lassen. Dann kam Baraou und gab den Party-Crasher.

In einer 12-Runden-Schlacht schockte der Deutsche die US-Szene und schnappte sich den Titel. Im Interview mit sport.de spricht Baraou über den Triumph, seinen Schlüssel zum Sieg und sagt, warum er bald auch "echter" Champion ist. Außerdem verrät er einen Traum, den er mit Schwergewichts-Ass Agit Kabayel teilt.

Abass Baraou: "Es war doch kein verrückter Traum"

Abass Baraou, Sie waren nach Ihrem Triumph in den USA sehr emotional, sprachen von einem langen Weg, den Sie hinter sich haben. Nehmen Sie uns doch bitte einmal mit in Ihre Gefühlswelt, als der Ringsprecher verkündete: "And the NEW Interim Champion of the World – Abass Baraou!"

Für mich gab es keine andere Option als: Ich muss den Titel mitnehmen. Das Trainingscamp war eigentlich einfach für mich: Ich bin aufgestanden und habe trainiert, wusste, was ich machen muss. Ich hatte in den letzten Jahren viele Trainingslager auch für Kämpfe, die dann nie stattgefunden haben. Als dieser große Kampf jetzt zustande kam, war mir klar: Das ist es! Also hieß es für mich: volle Kanne, alles rein. Ich bin überall gewesen, habe alles mitgemacht. In den schweren Jahren bin ich immer im Gym gewesen, habe immer an mich geglaubt und immer 100 Prozent auf höchstem Niveau gearbeitet.

Als ich dann hörte "And the New .." war ich erst einmal erleichtert, dass die Punktrichter mir das nicht genommen haben. Ich war schon etwas am Zittern, ob es genug war, denn ich war ja auf einer fremden Veranstaltung, in einem anderen Land. Da dachte ich schon, dass die doch sicher alles dransetzen werden, dass ihr Boxer gewinnt. Als dann das Urteil kam – wow –,  da dachte ich nur: Es war doch kein verrückter Traum, den ich hatte, es hat sich alles gelohnt. Ich war einfach dankbar, dass mein Traum in Erfüllung gegangen ist.

In Deutschland wissen Box-Kenner seit Jahren, welches Potenzial in Ihnen steckt. Fast schien es ein bisschen, als wären die Amerikaner überrascht gewesen, was für ein starker Gast da im Ring steht. Sie haben spektakulär geboxt, waren sehr offensiv – was war der Schlüssel zum Sieg?

Das Training natürlich, ich lege viel Wert auf Qualität, trainiere auf höchstem Niveau. Dafür gehe ich auch Wege, war jetzt in Miami. Im Kampf war der Wille einfach da und dann kommt die Erfahrung dazu. Ich war sehr gelassen. Ich habe gemerkt, dass mein Gegner nicht so viel Erfahrung gesammelt hat und keine Ahnung hat, was da auf ihn zukommt. Der Schlüssel war also, meine Erfahrung zu nutzen. Ich habe ja schon oft zwölf Runden geboxt, zum Beispiel gegen Jack Culcay, wo das Urteil knapp und leider nicht zu meinen Gunsten ausfiel. Ich wusste aber schon damals: Aus solchen Kämpfen kann ich lernen. Ich bin auch sehr selbstkritisch, schaue mir meine Kämpfe immer an, was ich besser machen kann. Das alles hat mir jetzt den Sieg gebracht. Von dem ganzen Drumherum habe ich mich nicht beeindrucken lassen. Ich bin in den Ring und wusste, ich kann das.

Stichwort sehr selbstkritisch: Wie lautet Ihre Blitz-Analyse zum Kampf, was hätten Sie noch besser machen können?

Einiges. Ich hätte mir gewünscht, dass ich den Kampf flüssiger beginne. Ich hatte das Gefühl, dass ich anfangs einiges überstürzt habe, das muss ich mir nochmal anschauen. Das hat auch sicher damit zu tun, dass ich fast ein Jahr nicht mehr im Ring stand. An Ringrost glaube ich nicht und will mir das auch nicht einreden, aber ich denke schon, dass die lange Pause ein Grund war, dass nicht gleich alles ideal lief. Aber sonst: Ich bin Weltmeister geworden (lacht).

Ihr Stil ist auf der einen Seite sehr technisch, auf der anderen Seite aber auch absolut "fan friendly" wie die Amerikaner sagen: druckvoll, offensiv. Dennoch hat man nicht den Eindruck, dass Sie dabei "all in" gehen und selbst offen sind für Prügel …

100 Prozent. Ich kann auch sehr gut defensiv und sehr technisch boxen, da kommt mir meine Amateur-Erfahrung zugute. Aber dieser Kampf war auswärts, da musste ich also mehr beweisen. Am besten ist es da, den Gegner zu brechen. Ich kann extrem Druck machen, boxe trotzdem technisch und habe Geduld. Das ist kalkulierte Offensive.

"... da kam der Killer-Instinkt rein"

In der zwölften Runde haben Sie Ihren Gegner kurz vor dem Schlussgong zu Boden geschlagen. Davor sind Sie regelrecht explodiert und haben sehenswerte Kombinationen geschlagen. Da hatten Sie aber schon eine 11-Runden-Schlacht in den Knochen, Beobachter sprechen von einem "Fight of the Year Candidate". Woher haben Sie die Kraft für diesen Ausbruch in der Schlussrunde geholt?

Vielleicht ist das der Wille. Ich wusste, ich kann nicht nur auf die Punktrichter vertrauen. Irgendwie ging der Kampf gefühlt recht schnell. Ich habe hochgeguckt und gesehen: Ok, jetzt ist schon die zwölfte Runde, aber ich habe noch Luft. Tellez war ein sehr guter Boxer. Aber als ich in seinen Augen gesehen habe, dass er keinen Willen mehr hat, habe ich meinen Tank leer gemacht, da kam der Killer-Instinkt rein und dann wollte ich ihn auf die Bretter schicken. Das war gut als Schlusspunkt, da wusste ich ganz sicher, dass ich den Sieg in der Tasche habe. Ich habe getan, was getan werden muss, wurde dann noch sehr emotional und wollte die ganze Halle hochnehmen (lacht). Leider war der Kampf dann vorbei, ich dachte, ich hätte noch zehn Sekunden.

Erstaunlich: Der Niederschlag war das Ergebnis einer Linken, obwohl die Rechte Ihre Schlaghand ist. Sie sind am Ende aber einfach in die Rechtsauslage durchmarschiert und haben dann zugehauen wie ein Linkshänder. Das hatte ja fast schon etwas von Mike Tyson. Trainieren Sie dieses "Shifting" der Beinarbeit?

Ich trainiere das nicht. Das kommt einfach, wenn ich das rieche, lass ich es einfach raus, aus jeder Auslage, aus jeder Position müssen die Fäuste landen.

Sie haben auch sehr stark zum Körper angefangen, danach wurde es kopflastiger. War das der Plan: Erst zum Körper gehen, dem Gegner die Luft nehmen und dann den Kopf ins Visier nehmen?

Ich habe Tellez angeschaut. Er war in den ersten Runden sehr beweglich mit dem Kopf. Also habe ich ihn mit Körperschlägen etwas verlangsamt und mich auf den Kopf konzentriert. Er hat sich von seinen Blutungen und Schwellungen sehr beeinflussen lassen. Ich hatte das Gefühl, dass er das alles nicht gewohnt ist. Er hat trotzdem Willen gezeigt, aber die Kopftreffer haben ihm schon zugesetzt.

Gab es einen Aha-Effekt, einen Moment, in dem Sie wussten: Okay, jetzt hab ich ihn, das Ding gewinne ich heute hier?

Er hat irgendwann angefangen, Tiefschläge zu setzen, da habe ich gemerkt: Er wird langsam dreckig und findet keinen Ausweg mehr. Ich wusste, er wird brechen, ich habe mich nur gefragt, wann. Als er dann tief oder manchmal noch nach dem Gong geschlagen hat, wusste ich, dass Tellez langsam verzweifelt. Er hatte irgendwann sowas von keine Lust mehr auf den Kampf.

Boxen: Baraou träumt von Titel-Kampf in Deutschland

Nochmal Glückwunsch! Wir haben jetzt Ende August, aber es steht schon fest: Ab dem 13. September werden Sie nicht mehr "nur" Interims-Weltmeister sein, sondern der echte WBA-Weltmeister im Halbmittelgewicht. Dann steigt der bisherige Champion Terence Crawford im Supermittelgewicht gegen Canelo Alvarez zum Multimillionen-Blockbuster in Las Vegas in den Ring, verliert seinen Status und es gibt endlich wieder einen deutschen Boxweltmeister. Wie fühlt man sich, wenn man – jedenfalls bei den Männern – der einzige deutsche Weltmeister ist?

Boah, gute Frage. Ich brauche noch ein paar Tage, um das zu realisieren. Ich habe hier ein paar Freunde aus Deutschland und England und jeden Tag sagen wir: And the New Champion of the World .... Das ist schwer zu begreifen. Ja, Weltmeister. Ich habe immer dran geglaubt, dass ich Weltmeister werde, auch als es schwer war, der Weg steinig wurde. Ich wusste, ich habe das Zeug zum Weltmeister. All die ganze Arbeit hat sich ausgezahlt, die Opfer, die ich gebracht habe. Ich bin einfach froh. In einer Sache bin ich im Kopf aber schon weiter: Jetzt muss ich Weltmeister bleiben!

Sie haben jedenfalls deutsche Boxgeschichte geschrieben. Offiziell war es zwar nur eine Interims-WM, einen Titel in den USA haben sonst aber nur Max Schmeling und Noel Mikaelian gewonnen. Insofern gehören Sie zu einem kleinen Klub …

(atmet durch) Hammer! Unglaublich ...

Haben Sie den WM-Gürtel schon oder schickt den die WBA dann noch per Post, wenn Crawford gegen Canelo durch ist?

(lacht) Nein, nein, den habe ich schon bekommen.

Im Halbmittelgewicht ist viel los, es ist eine der spannendsten Gewichtsklassen. Mit Sebastian Fundora und Vergil Ortitz schwirren große Namen herum, mit Boots Ennis kommt der Weltergewichts-Champion dazu. Der könnte auch Ihr erster Herausforderer bei der WBA werden, ein Duell mit Ex-Champion Jermell Charlo ist ebenfalls im Gespräch. Haben Sie einen Wunschgegner?

Alle Kämpfe, alle Gegner wären gut für mich. Ich habe mir alle schon angeschaut und mir gedacht: Ey, da hast du gute Chancen. Mal schauen, ich kann mir alles vorstellen.

Wahrscheinlich werden Ihre Kämpfe in den USA stattfinden, wo das Interesse einfach viel größer ist. Dennoch: Wie wäre es mit einem Kampf in Deutschland?

Leider ist es in Deutschland ruhiger geworden, was das Boxen angeht. Aber mein Traum ist immer noch, einmal in der Rudolf-Weber-Arena in Oberhausen zu boxen.

Die Idee hat Agit Kabayel auch schon mal bei uns im Interview geäußert, er kommt ja wie Sie aus dem Pott. Das wär's doch – ein WM-Doubleheader mit Agit Kabayel und Abass Baraou in Oberhausen …

Das wäre (muss lachen) – wow! Das wäre unglaublich. Agit hat mir auch Glückwünsche geschrieben, wir kennen uns ja.

Das ist die gleiche Pott-Mentalität …

Hundertprozentig. Ich habe mich auch gefreut, wie Agit in seine letzten Kämpfe immer als Underdog reingegangen ist und dann gewonnen hat, so wie ich jetzt, auch für Deutschland. Da sieht man: Wenn man den Willen hat und fleißig ist, kann man das schaffen.

Mit Abass Baraou sprach Martin Armbruster

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