Zach Wilson fand in New York nicht das passende Umfeld vor. Justin Fields sollte zunächst ohne Wide Receiver, dann ohne Offensive Line auskommen. Aber kein Quarterback des Jahrgangs 2021 aus dem Draft musste in seinem ersten Jahr mehr Klippen umschiffen als Trevor Lawrence, Quarterback der Jacksonville Jaguars. Er hat bis jetzt alle gemeistert.
In Jahr Eins seiner NFL-Karriere coachte Urban Meyer die Jax in Florida. Fast vergessen sind die Eskapaden rund um den ehemaligen College-Coach. Meyer ließ sich damals auf einer Auswärtsfahrt mit einer jungen Frau eng umschlungen ablichten, während seine Ehefrau zu Hause geblieben war. Doch diese Geschichte brachte das Fass erst zum Überlaufen.
Denn aus den Trainings war zu hören, dass Meyer einen nicht mehr zeitgemäßen Umgang mit seinen Spielern pflegte, der früher vielleicht höchstens bei jungen Studenten angesagt gewesen wäre. So hat der damalige Placekicker Josh Lambo zwischenzeitlich sogar Meyer und die Jaguars verklagt, weil die verbale Gewalt in der Kommunikation einfach überhandgenommen hatte und Meyer ihn sogar getreten haben soll.
Das Resultat waren drei Siege bei 14 Niederlagen. Urban Meyer wurde bereits Anfang Dezember entlassen. Interimscoach Darrell Bevell übernahm und konnte mit einem Erfolg über die Indianapolis Colts am Saisonende wenigstens einen erfreulichen Schlusspunkt an ein katastrophales erstes Jahr von Trevor Lawrence setzen.
Junge Quarterbacks und die richtigen Umstände
Es wird immer viel von den Umständen gesprochen, in die ein Quarterback gedraftet wird. Doch die besten Spielmacher in der NFL haben sich stets durch alle Widrigkeiten hindurchgekämpft, während andere gescheitert sind. So war bereits Joe Burrow vor Lawrence in der Lage, die Cincinnati Bengals binnen eines Jahres nach seiner Ankunft von einer Verlierertruppe in einen Super-Bowl-Contender zu verwandeln.
Der musste im Gegensatz zu Lawrence aber keinen Trainerwechsel während des ersten Jahres verkraften, sondern hat bis zum heutigen Tag die Zusammenarbeit mit Head Coach Zac Taylor gepflegt. Trevor, für den die Jaguars vermeintlich sogar auf den ersten Draftpick bewusst hingearbeitet hatten, durfte erst zu seiner zweiten Saison so etwas wie eine Chemie zu seinem Trainer aufbauen.
Zur Saison 2022 wurde Doug Pederson als neuer Chef vorgestellt und die Jaguars haben damit einen Coup gelandet. Statt auf einen jungen und unerfahrenen Kandidaten zu setzen, wollten sie ihr Schiff aus unsicheren Zeiten wieder in seichte Fahrwasser führen und wählten dafür einen Trainer mit viel Erfahrung aus, der wenige Jahre zuvor noch den Super Bowl mit den Philadelphia Eagles gewonnen hatte.
Pedersons Ruf folgten dann auch die ersten Wide Receiver, die Lawrence auf dem Feld unterstützen sollten. Ein wirklich großer Name wurde aber bis zum heutigen Tag nicht verpflichtet. So sind Christian Kirk oder zuletzt Calvin Ridley nicht ansatzweise mit dem Duo Ja’Marr Chase und Tee Higgins bei den Bengals zu vergleichen.
Comeback-Kid Trevor Lawrence
Trotzdem fuhren die Jaguars 2022 eine 9-8-Bilanz ein und erreichten zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder die Postseason. Prompt holte der junge Quarterback von der Clemson University auch seinen ersten Playoff-Sieg, als er mit einem sagenhaften Comeback die Los Angeles Chargers aus der Endrunde kegelte.
Mit 27:0 lagen die Jax bereits hinten, als Lawrence einen Schlüsselmoment als Führungsspieler für seine Franchise erlebte. Aus seiner College-Zeit war es der Quarterback gewohnt, praktisch nie zu verlieren. So gewann er bereits mit 18 Jahren als Freshman und Starting-QB der Tigers die College-Meisterschaft.
Mit dieser Gewissheit spornte er seine Teamkollegen an, nicht aufzustecken und bis zum Schluss an den Sieg zu glauben. Kurz vor der Pause landete Lawrence mit einem Touchdown-Pass auf Evan Engram den ersten Score zum 27:7. Im dritten Quarter verkürzte ihr Quarterback mit Würfen in die Endzone auf Marvin Jones und Zay Jones zum zwischenzeitlichen 30:20.
Als er dann im vierten Quarter seinen Receiver Christian Kirk fand, wagte er gemeinsam mit Coach Doug Pederson eine Two-Point Conversion und setzte alles auf eine Karte. Wäre diese misslungen, hätte kein Field Goal zum Ausgleich gereicht. Wäre sie gelungen, hätte man sich nach einem Kick zwischen die Torstangen die Overtime erspart.
Jaguars: Aufschwung trotz frühem Playoff-Aus
Das Play war auf den selbstbewussten Quarterback zugeschnitten und so lief Lawrence für zwei Punkte in die Endzone. Wenige Minuten später führte er dann seine Offense bis zur 19-Yard-Linie. Von dort aus verwandelte Kicker Riley Patterson bei auslaufender Uhr einen relativ leichten Field-Goal-Versuch zum 31:30 Endstand.
Zwar verloren die Jaguars anschließend mit 20:27 gegen die Kansas City Chiefs. Doch die Tatsache, dass man auch hier mithielt, und vor allem das sagenhafte Comeback führten dazu, dass die Franchise plötzlich mehr an sich und den Erfolg glaubte, weshalb die Ziele für dieses Jahr natürlich automatisch höher gesteckt wurden.
Trevor Lawrence will mit seinem Team in der AFC South nicht nur die Meisterschaft holen, sondern auch die schwächelnde Konkurrenz dominieren. Da passt der momentane Start von einem Sieg und zwei Niederlage nun wirklich nicht zum Plan.
Doch Lawrence wird mit Pederson erneut einen Weg finden, wie die Jaguars wieder aufstehen und zum Comeback blasen. Noch darf der Titelanwärter aus dem sonnigen Süden nicht abgeschrieben werden. Ein Sieg im Spiel am Sonntag (ab 15:30 Uhr live auf RTL) in London gegen die Atlanta Falcons wird bei solch hohen Ansprüchen aber allmählich zur Pflichtaufgabe.
Philipp Forstner