Mike McDaniel ist Trainer des NFL-Teams der Stunde. Mit nur 40 Jahren hat der Head Coach der Miami Dolphins schon viele Höhen und Tiefen gesehen und führt nun plötzlich die heißeste Offense der Liga an. Tiefe Rückschläge prägen ihn bis heute.
Mike McDaniel war nach dem vergangenen Sonntag in aller Munde. Zum einen reichte dafür alleine schon das historische 70:20 seiner Miami Dolphins in der NFL gegen die Denver Broncos.
Ein fast noch größeres Thema war dann aber die Entscheidung des Head Coaches ganz am Ende der Partie. McDaniel wies sein Team an, nicht auf ein weiteres Field Goal zu gehen und damit nicht auf die 73 Punkte, die dem Team den alleinigen NFL-Rekord beschert hätte. Gnade für die Denver Broncos. Obwohl fast das ganze Hard Rock Stadium in Miami skandierte: "Noch drei Punkte“. McDaniel blieb stabil und entschied sich für das "Fairplay"-Zeichen.
Es gehe für ihn nicht darum, Punkte zu jagen und Rekorde zu brechen, erklärter er hinterher. "Das war nicht die Botschaft, die ich senden wollte." Unterstützung erhielt er unter anderem von seinem Star-Quarterback Tua Tagovailoa.
Beeindruckend und historisch war die Leistung der Dolphins ohnehin, dafür benötigte es das Sahnehäubchen gar nicht. Erstmals erzielte ein Team fünf Passing- und fünf Rushing-Touchdowns. Die furiose Offensive um QB Tua Tagovailoa erzielte 726 Total Yards. Das vielköpfige Offensiv-Monster ist der wahrgewordene NFL-Traum von McDaniel.
Wer ist dieser Mann, der lässig mit der Sonnenbrille an der Seitenlinie steht und manchmal zwischen all den Kolossen und Über-Athleten etwas verloren aussieht?
Vom Balljungen zum Broncos-Zerstörer
Ein Bild flog am vergangenen Sonntag durchs Netz und wurde rasend schnell weiterverbreitet. Es zeigt einen jungen und glücklich dreinblickenden Mike Mike McDaniel. Damals noch ein Balljunge der Denver Broncos. Denn eine weitere Pointe der 70-Punkte-Gala ist die Vergangenheit des Coaches.
McDaniel wuchs in einem Vorort von Denver in Colorado auf – als großer Fan der Denver Broncos. Als Kind war er Dauergast und Autogrammjäger am Trainingsgelände. In der High School ergatterte er sich einen Job als Balljunge.
Danach ging McDaniel ans College, studierte an der Elite-Uni Yale Geschichte und spielte dort selbst Football als Wide Receiver. Seine körperliche Statur (1,75 Meter) war allerdings nicht gerade Angst einflößend, so kam er nur als Backup zu Einsatz. Dass er es als Spieler nicht in die Profiliga schaffen würde, war ihm wohl schon früh klar. Als Jugendlicher schrieb er an seinem Helm. "You will make it". Ob als Spieler oder anderweitig ließ er offen.
Die Broncos blieben in seinem Herzen, trotzdem schickte er während seiner Abschlussarbeit in Yale (in der es natürlich um die NFL ging) an alle 32 Teams Bewerbungsunterlagen für irgendeinen Job im Trainer Staff, sei er noch so klein. Tatsächlich gab ihm Mike Shanahan, damals Head Coach der Broncos, eine Zusage für ein Praktikum, da er sich an den umtriebigen jungen Mann erinnerte. Die NFL-Tür zur Traumwelt stand plötzlich weit offen.
"Er konnte Dinge tun, die anderen Coaches nicht konnten oder wollten. Er hat sie so gut gemacht und sehr schnell", erinnerte sich Mike Shanahan.
McDaniel biss sich fest und wechselte 2006 zu den Houston Texans, wo er erstmals auf Kyle Shanahan, den Sohn von Mike Shanahan und heutigen 49ers-Trainer traf. Als Assistent arbeitete der 21-jährige McDaniel dem Offensive Coordinator Shanahan zu.
Doch 2008 endete die Zeit in Texas mit einem Knall, Head Coach Gary Kubiak galt als harter Hund und als er früh morgens seinen Assistenten zwei Mal am Telefon nicht erreichte, wurde McDaniel rausgeschmissen. Er müsste wohl etwas fürs Leben lernen, hieß es damals zu dem jungen Coach, der damals nicht gerade als Frühaufsteher galt. "Ich habe mich so geschämt", sagte er heute zu diesem Rauswurf.
Es war mindestens ein Schuss vor den Bug. Der K.o. riss McDaniel aus seiner NFL-Traumwelt. Statt NFL hieß es zwei Jahre United Football Leauge bei den Sacramento Mountain Lions.
Die genaue Anzahl der Tage, in denen er nicht in der NFL arbeitete, weiß McDaniel bis heute ganz genau. 865. Die Zahl begleitet ihn bis in die Gegenwart. In einem "ESPN"-Beitrag ist zu sehen, wie die 865 auf einer Karteikarte über seinem Schreibtisch hängt. Als stetige Erinnerung und Mahnung an den Arbeitsethos. McDaniel zog seine Lehren. Er schwor sich, nie wieder zu spät zu kommen. Seither beginnt er seinen Arbeitstag noch vor Sonnenaufgang. In dem "ESPN"-Film schlendert er noch vor 3 Uhr morgens mit Tatendrang durchs Dolphins-Teamgelände.
Nach den besagten 865 Tagen erhielt er seine zweite Chance. Wieder unter Mike und Kyle Shanahan, die ihn zu den Washington Commanders (damals noch Redskins) lotsten. Wieder war er ein Helfer für den Offensive Coordinator, später auch Wide Receiver Coach.
Um sich von den anderen aufstrebenden Assistenten-Coaches wie Matt LaFleur and Sean McVay abzuheben, hatte er früh die Entscheidung gefasst, sich auf die O-Line zu spezialisieren und die Offensive aus deren Warte zu betrachten und zu analysieren. McDaniel macht sich so bei Shanahan weiter einen Namen. "Ich habe nicht geschlafen, damit ich mehr involviert war", erzählt er.
Er lernte alle Aspekte des offensiven Gameplans und folgte Shanahan auch nach Cleveland und Atlanta. Dort rang ihn beinahe ein zweiter Tiefschlag nieder.
NFL: Alkoholprobleme kosteten Mike McDaniel fast den Job
McDaniel verlor sich zunehmend im Alkohol. Im täglichen Trinken. "Ich habe jeden Abend getrunken, ich dachte, nur zum Spaß. In Atlanta war so nah dran, schon wieder den Job zu verlieren", sagt er heute. Kollegen stellten ihn zur Rede, weil er nach Alkohol roch und sie Flaschen Hochprozentiges im Büro entdecken.
McDaniel stellte sich seinen Probleme und ging für drei Wochen in eine spezielle Klinik in Therapie. Ärzte diagnostizieren neben dem Alkoholismus auch eine Depression.
"Ich habe Alkohol getrunken um auszuchecken, um mich nicht mit den Problemen auseinanderzusetzen", sagt McDaniel rückblickend. Auch hier fasste er eine weitreichende Entscheidung. Seit Januar 2016 hat er keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. Lektion gelernt.
Er blieb an der Seite von Shanahan, nun in San Francisco, wo er sich bei den 49ers vom Run Game Coordinator bis zum Offensive Coordinator hocharbeitete.
Die Belohnung folgte dann im Winter 2022. Die Dolphins wollten nach der Entlassung von Brian Flores den Neuanfang einleiten und setzen dabei auf McDaniel als Head Coach. Es ist die schon siebte Trainerstation für den Football-Nerd. Als der Anruf kam, habe er einfach nur Gänsehaut gehabt, erzählt er. Als eine der ersten Amtshandlungen telefonierte er mit Quarterback Tua Tagovailoa, um ihm er erklären, dass er auf ihn als Leader setze. "Es geht los, Bro", sagt er ihm eindringlich.
Sein eigenes Leben hatte er schon auf Kopf gestellt, nun waren die Dolphins an der Reihe. McDaniel zeigte Tagovailoa als Erstes ein Video mit 700 Dingen, die er gut macht. "Versteht du nicht, was du für ein Spieler bist?", fragte er seinen Star, der mit Verletzungsprobleme zu kämpfen hatte. Die Botschaft klar: Ich setze auf dich.
In der ersten Saison Bilanz kamen die Dolphins auf eine Bilanz von 9:8 und schafften den ersten Einzug in die Playoffs seit 2016. Über den Sommer machte das Team einen weiteren Schritt nach vorne. Offensivguru McDaniel drückte der Offense noch mehr seinen Stempel auf, baute die Dolphins zu besten und brutalsten Offensiven der Liga aus. Nicht zuletzt die Broncos erlebte das hautnah.
Das Run-Game ist überragend - und brutal schnell: Mit De’Von Achan, Tyreek Hill und Raheem Mostert verfügen die Dolphins über extrem schnelle Spieler, die McDaniel einzusetzen weiß. Mit kreativen Calls setzt er Tagovailoa in Szene, der aktuell so akkurat und tief wirft wie kaum ein anderer Quarterback. Und Nummer-2-Receiver Jaylen Waddle war gegen die Broncos nicht einmal dabei.
Mike McDaniel kreiert ein NFL-Offensivmonster
Spieler und Teammitglieder loben die positiv-empathisch Art von McDaniel. Manchmal sind es Kleinigkeiten. In seinem ersten Sommer zog er im Training einen Hoodie an, um zu merken, wie sehr die Spieler wohl schwitzen müssen.
Die Team-"Culture" prägt er mit solchen Entscheidungen. Ex-Miami-Tight-End Mike Gesicke berichtete von intensiven Teamsitzungen um 7 Uhr in der Frühe samt manischem Trainer. "Er schreit und ruft in einer positiven Art und er ist glaube ich der Einzige, der in diesem Moment wirklich wach ist."
1651 Total Yards und 43,3 Punkte pro Spiel habe die Dolphins bisher abgeliefert und die Gegner überrollt. "So etwas habe ich noch nicht erlebt oder gesehen", schwärmte Tagovailoa, der sichtlich aufblüht und eine gute Connection zum Trainer hat.
Bahnt sich da eine neue starke Verbindung an wie in Kansas City mit Andy Reid und Patrick Mahomes? Nun, dafür ist es noch zu früh. Aber das Fundament scheint gelegt zu sein, die Liga muss sich zu Recht fürchten.
Tagovailoa und McDaniel gelten jedenfalls als frühe Favoriten für den MVP- und "Coach Of The Year-"Award.
Die nächsten Spiele werden zeigen, wohin die Dolphins-Reise führt. Am Sonntag geht es gegen die Buffalos Bills (gegen die sie in den Playoffs rausgeflogen sind), noch im Oktober und Anfang November warten die Top-Teams Kansas City Chiefs und Philadelphia Eagles.
McDaniel wird einen Plan haben.
Emmanuel Schneider