Die Saison 2023/24 hat für Manuel Neuer begonnen, wie die alte aufgehört hat: ohne Spielpraxis - dafür aber mit vielen Ungewissheiten. Ein Comeback ist immer noch nicht absehbar. Dazu läuft der Vertrag des 37-Jährigen beim FC Bayern aus und das Verhältnis zum neuen Bundestrainer Julian Nagelsmann gilt als vorbelastet. Läuft dem fünfmaligen Welttorhüter neun Monate vor der Fußball-EM in Deutschland die Zeit davon?
Manuel Neuer könnte mit seinen 37 Jahren am Scheideweg seiner Karriere stehen. Die Baustellen, die in den kommenden Monaten auf den Stammtorwart des FC Bayern München und der deutschen Nationalmannschaft zukommen dürften, haben es in sich.
Aus der Welt schaffen kann der Weltklassekeeper diese selbst - dafür muss er jedoch wieder Leistung auf dem Platz bringen.
Genau darin liegt das erste und sicherlich größte Problem: Auch mehr als neun Monate nach seinem Unterschenkelbruch, den er kurz nach dem WM-Vorrundenaus mit der DFB-Elf in Katar im Ski-Urlaub erlitt, ist unklar, wann Manuel Neuer sein Comeback zwischen den Pfosten geben wird.
Die Hoffnung des FC Bayern, mit Beginn der laufenden Saison wieder auf seine langjährige Nummer eins setzen zu können, zerschlug sich schon im Mai. Da musste sich Neuer einem zweiten Eingriff unterziehen. Eine Routine-OP, hieß es damals. Eine Schraube sei entfernt worden, um die Knochenheilung zu unterstützen.
Bayern-Coach Tuchel will kein Risiko bei Neuer eingehen
Doch auch aus der für Anfang September erhofften Rückkehr wurde nichts. Mit Daniel Peretz verpflichteten die Bayern, die Yann Sommer an Inter Mailand abgaben, im August vorsorglich einen weiteren Schlussmann.
Vor dem 7:0-Kantersieg gegen den VfL Bochum äußerte sich Münchens Trainer Thomas Tuchel zwar zuversichtlich, bald wieder auf Neuer zurückgreifen zu können. Neuer habe jedoch immer noch "Beschwerden", räumte der 50-Jährige ein. Man wolle kein Risiko eingehen: "Er ist weiterhin sehr positiv, weil er glaubt, dass es sehr schnell gehen kann, sobald er im Mannschaftstraining ist. Das glaube ich ihm auch."
Berechtigte Hoffnungen auf ein baldiges und vor allem komplikationsfreies Comeback hören sich anders an. Die Chancen, dass Neuer beim DFB-Debüt von Bundestrainer Julian Nagelsmann Mitte Oktober an Bord sein wird, tendieren somit ebenfalls gegen null.
Wie geht Ex-Bayern-Coach Nagelsmann im DFB-Team mit Neuer um?
Allerdings ist auch völlig offen, welche Rolle Manuel Neuer unter dem neuen, ein Jahr jüngeren DFB-Coach überhaupt einnehmen wird. Das Verhältnis der beiden gilt spätestens seit der "Tapalovic-Affäre" beim FC Bayern im Frühjahr als angeknackst.
Von Torwarttrainer Toni Tapalovic hatte sich der deutsche Rekordmeister am 23. Januar nach über elf Jahren mit sofortiger Wirkung getrennt. Differenzen mit dem damaligen Bayern-Coach Nagelsmann sollen den Ausschlag gegeben haben.
Neuer gab wenig später der "Süddeutschen Zeitung" ein Aufsehen erregendes Interview, in dem er die Entscheidung scharf kritisierte. "Für mich war das ein Schlag, als ich bereits am Boden lag", hielt er fest: "Ich hatte das Gefühl, mir wird mein Herz rausgerissen, das war das Krasseste, was ich in meiner Karriere erlebt habe."
Kommt es zu einem DFB-Comeback, trifft Neuer zwangsläufig wieder auf Nagelsmann. Der neue Bundestrainer gab sich am vergangenen Freitag diplomatisch, was Neuers Rückkehr ins DFB-Team angeht. "Das Allerwichtigste ist, dass wir Manu die nötige Zeit geben, gesund zu werden. Wenn die Situation eintritt, werden wir das bewerten", erklärte der 36-Jährige, stellte aber auch klar: "Wir haben einige Weltklassekeeper."
Ex-Bayern-Star zweifelt: Neuer wird nicht wieder der Alte
Das Kapitänsamt beim DFB hat Neuer schon an Ilkay Gündogan verloren, Julian Nagelsmann stellte sich hinter den Beschluss von Ex-Bundestrainer Hansi Flick. Nicht wenige Experten vermuten, dass Nagelsmanns Engagement beim DFB auch das Ende der Ära Neuer als deutscher Nationaltorhüter einläuten dürfte - so auch TV-Experte Dietmar "Didi" Hamann, der ohnehin "nicht vor Winter" mit einem Neuer-Comeback rechnet.
"Neuer ist das kleinste Problem, das Nagelsmann im Moment hat", meinte der Ex-Nationalspieler am Samstag bei "Sky".
Schon im August hatte Hamann im Interview mit der Münchner "Abendzeitung" große Zweifel daran geäußert, dass Neuer wieder zu alter Stärke finden wird: "Wer jetzt denkt, dass Neuer besser hält als bei der WM - das ist ja ausgeschlossen. Er kann nicht ein Jahr verletzt sein und dann besser halten als vorher."
Sollte Hamann mit seiner Einschätzung recht behalten, stellt sich eine weitere große Frage: Was wird aus Manuel Neuer beim FC Bayern? Sein zuletzt im Mai 2022 verlängerter Vertrag läuft im kommenden Sommer aus - und ein neues Arbeitspapier ist noch nicht in Sicht.
Vertrag beim FC Bayern läuft aus: Neuer braucht ein starkes Comeback
Das Fachmagazin "kicker" schrieb Anfang August, dass die Entscheider beim FC Bayern "klar kommuniziert" hätten, dass Neuer "wieder die Nummer 1 werden soll" - und das "im besten Fall nach einer Vertragsverlängerung noch für die nächsten zwei, drei Jahre". Dann wäre Neuer 39 oder 40 Jahre alt.
Eine Unterschrift des Weltmeisters von 2014 ohne ein überzeugendes Comeback nach langer Verletzungspause erscheint aber äußert unseriös.
Im Gegensatz zur Nationalmannschaft, wo Barca-Keeper Marc-André ter Stegen auf die dauerhafte Ablösung Neuers als Stammtorwart hofft, hat Neuer beim FC Bayern einen Vorteil: Sorgen, dass Sven Ulreich und Daniel Peretz Ansprüche im Münchner Kasten erheben, muss der 37-Jährige nicht haben.
Allerdings machte der Rekordmeister nicht zuletzt mit der 100 Millionen Euro teuren Verpflichtung von Stürmerstar Harry Kane klar, dass die Bayern in dieser Saison endlich wieder um die Champions-League-Trophäe mitspielen wollen.
Nicht weniger als diesem Anspruch muss Manuel Neuer gerecht werden - speziell in der zweiten Saisonhälfte, wenn nicht nur dieser Titel vergeben wird.
Claudio Palmieri