René Weller trug Schnauzbart, Goldkette und ein braungebranntes Sixpack. Der "schöne René" war der deutsche Boxprotagonist der 1980er Jahre, Idealtyp des kämpfenden Straßenprolls und zweimal Europameister im Leichtgewicht. Jetzt ist er nach jahrelanger Demenz im Alter von 69 Jahren gestorben.
René Weller stieg mit kurzen Boxershorts in den Ring, damit jeder seine muskulösen und gebräunten Oberschenkel sehen konnte. Ein kurzer Nachruf auf die deutsche Boxlegende ist allerdings nicht drin. Dazu spielte sich in Wellers 69 Lebensjahren zu viel ab. Wo anfangen? Vielleicht mit einem Vergleich oder genauer gesagt: einer Typisierung.
Eine vernünftige KI sollte bei der Frage nach dem Idealtyp des deutschen Achtziger-Prolls zwei Namen ausspucken: René Weller und Götz Georges "Schimanski". Schnauzer, loses Mundwerk, flotte Sprüche. Außerdem langten beide - in vielerlei Hinsicht - gerne zu, riskierten unter ihren veritablen Haar-Balken stets 'ne dicke Lippe. Nur: Im Gegensatz zum Duisburger Tatort-Kommissar war Weller real, auch wenn sein Boxerleben ab und an wie Fiktion erschien.
René Theo Weller wurde am 21. November 1953 in Pforzheim geboren, der "Goldstadt" am nördlichen Rand des Schwarzwalds. Das Rüstzeug für seine Boxkarriere holt sich der junge Weller laut eigener Aussage auf der Straße. "Früher zählte nur, wer der Stärkere auf der Straße war. Wenn es Probleme gab, wurde gekämpft. Wenn einer am Boden lag, war es vorbei. Wie im Boxring." Weller aber kann nicht nur kämpfen, er hat Talent, Willen und eiserne Disziplin. Bei Blau-Weiß Pforzheim lernt der Junge den Faustkampf, abseits des Rings fängt er früh an Geld zu verdienen, macht eine Lehre zum Heizungsmonteur, lernt zudem das Handwerk des Goldschmieds.
Als Don King durchklingelte
Schon zu Amateurzeiten ist Weller in Deutschland eine Klasse für sich: 1972 wird der Badener deutscher Meister im Bantamgewicht, von 1973 bis 1976 und von 1977 bis 1980 gewinnt Weller jeweils in Serie den DM-Titel im Feder- und Leichtgewicht. Und als guter Boxer kommt er in der Welt herum: 1976 nimmt Weller an den Olympischen Spielen in Montreal teil, 1979 tritt der damals 25-Jährige beim ersten World Cup der Amateure in New York an. "Ich gegen David Armstrong - Deutschland gegen die USA - und das im Madison Square Garden. Das war natürlich eine super Erfahrung", sagte Weller später.
Der Deutsche hinterlässt in den Staaten Eindruck. Niemand Geringeres als Promoter-Pate Don King klingelt durch. "Er ließ mich in einer Riesen-Limousine abholen. Wir saßen in seinem Büro und haben gesprochen", erzählte Weller. Die Starkstromlocke habe ihn in den USA zum Profi machen wollen. "Aber ich wusste, dass mein Markt in Deutschland sein würde. Deswegen habe ich abgelehnt."
Don King ist nicht die einzige Box-Größe, die Weller in jungen Jahren trifft. In den siebziger Jahren reist er im Rahmen einer PR-Tour mehrere Tage an der Seite von Muhammad Ali durch Deutschland. "So einen lustigen Menschen hatte ich noch nie kennengelernt. Mein Gott, hatten wir Spaß und lachten den ganzen Tag. Als ich ihn näher kennengelernt hatte, wusste ich, warum er so erfolgreich ist: Er hat das Leben mit vollen Zügen genossen und die Leichtigkeit des Seins verstanden", sagte Weller über seine Zeit mit dem wandelnden Box-Mythos. Der Pforzheimer schneidet sich vom "Größten" eine Scheibe ab.
Als Weller 1981 sein Profidebüt gibt, liegt das deutsche Preisboxen am Boden. Es gibt weder Welt- noch Europameister, vor allem aber keine charismatischen Kämpfer. Die Hallen sind leer. Das ändert sich erst, als Promoter Wilfried Sauerland die Bühne betritt - und Weller als Zugpferd verpflichtet. Sauerland erkennt, was in dem Leichtgewicht steckt. Bald sind die Hallen wieder voll.
Auffallen, um berühmt zu werden
Wenn Weller boxt, sitzt das "Milieu" am Ring. "Die Zuhälter am Ring gehören zum Profiboxen wie die Damen mit den großen Hüten zur Baden-Badener Rennwoche", sagte Box-Impresario Ebby Thust zu den Spektakeln. Weller, der sie alle kennt, erklärt das bunte Treiben am Seilgeviert in einem Interview mit dem "Spiegel" von 1985 so: "Es gibt in Deutschland - ich weiß nicht genau - so etwa 2.000 Zuhälter. In einem großen Fußballstadion verschwinden die, aber in einer kleinen Boxhalle, wo alles um den Ring herumsitzt, da sehen Sie die halt besser. Überall, wo Kampf ist, da sind diese Leute. Beim Boxen sitzen sie eben ganz vorn. Unter denen gibt's genauso viele Nette wie bei allen anderen Leuten auch."
Wellers Credo: "Ich muss auffallen, um berühmt zu werden." Rund um seine Auftritte im Ring kultiviert er das Image vom braungebrannten Playboy mit der Goldkette, dem die Frauen zu Füßen liegen. "In der Liebe bin ich Weltmeister", behauptete Weller. "Sehr eitel" sei er außerdem, betonte der 1,77 Meter große Modellathlet und findet: "Jeder Mensch sollte eitel sein. Das unterscheidet uns von den Tieren."
1985 spielt der Boxer sogar in einem typischen Achtziger-Schinken die Hauptrolle. Der Filmtitel ist beinahe schon zu viel Klischee: "Macho Man". Von der Gleichberechtigung Frau hält Weller "gar nichts", wie er im "Spiegel"-Gespräch proletete. "Die emanzipierte Frau hat bei mir im Haus nichts zu suchen, so eine könnte nie meine Lebensgefährtin sein." Von einer gewissen Maria ist der "schöne René" in seiner Blütezeit zwar besonders angetan, kassiert nach einer neunmonatigen Beziehung aber den Laufpass.
Geschäfte auch außerhalb des Rings
René Weller war das, was man einen "Hans Dampf in allen Gassen" nennt. Im Leichtgewicht (der Gewichtsklasse bis 61,2 Kilogramm) wird er schon im dritten Profikampf deutscher Meister, bei seinem einzigen Profikampf in den USA setzt Weller 1982 in Las Vegas seine komplette Gage von 25.000 Dollar auf sich und gewinnt.
Auch außerhalb des Rings brummen die Geschäfte. Der Goldschmied designt und verkauft Schmuck, dazu Hosen aus Haifischleder, baut die Kultmarke "Rewell" auf - und ist mit seinen Produkten immer auf Achse. "Der hatte den Kofferraum immer voller Schmuck, teurer Uhren, T-Shirts", erinnerte sich sein Freund Ebby Thust. "Was die Leute wollten, bekamen sie bei ihm. Einmal bei einem EM-Kampf habe ich gesehen, wie er noch während der Nationalhymne auf einen Bekannten in der ersten Reihe zeigt und ruft: Von dir kriege ich noch 10.000 Mark!"
Ganz hasenrein geht es bei Weller allerdings nicht zu, immer wieder kommt er mit der Justiz in Kontakt. Häufig steht der Vorwurf der Hehlerei im Raum, 1983 verurteilt ihn ein Gericht deshalb zu einer Geldstrafe von 15.000 Mark. Später, nach seiner Karriere, werden ihm seine Geschäfte zum Verhängnis.
Zur Mafia nach Sizilien
Zwischen den Ringseilen ist Weller meist extraklasse. Starke Beinarbeit, schnelle Fäuste, gute Reflexe. Das Gesicht des "schönen René" bekommt nicht allzu viel ab. Dass hinter Wellers großer Klappe auch einiges steckt, beweist er 1983. Für den Kampf gegen Europameister Lucio Cusma fliegt der Deutsche nach Sizilien - ins Machtzentrum der Mafia. "Ich habe Morddrohungen bekommen: 'Wenn du gewinnst, kommst du nicht lebend nach Hause.' Aber ich habe mir wegen sowas nicht in die Hose gemacht", erzählte Weller. Zwei Bodyguards reisen sicherheitshalber trotzdem mit nach Brolo.
Im Ring schert sich Weller nicht viel um die Ansage der Paten, gibt Cusma Saures. Nach zwölf Runden errechnen (oder konstruieren) die Punktrichter ein höchst umstrittenes Unentschieden - der Lokalmatador bleibt Europameister. "Da in Italien, da musstest du deinen Gegner schon totschlagen, um ein Unentschieden zu bekommen", kommentierte Thust das sizilianische Urteil, sein Kumpel habe eigentlich jede Runde gewonnen. Ein Jahr später kommt es in Frankfurt zur Revanche, am Main siegt Weller einstimmig nach Punkten, krönt sich zu Europas Nummer eins.
Seine einzige Niederlage kassiert Weller 1986 in Dänemark gegen den späteren WBO-Weltmeister Gert Bo Jacobsen - der ausgeglichene Kampf wird in Runde 8 gestoppt, weil dem "schönen René" das Blut aus einem Cut in der Augenbraue strömt. 1988 holt sich Weller den EM-Gürtel zurück, ein WM-Kampf gegen WBA-Champion Brian Mitchell platzt. Der Pforzheimer lässt das Boxen daraufhin sein, kehrt erst vier Jahre später für ein einjähriges Comeback zurück. 1993 ist nach 55 Kämpfen endgültig Schluss.
"Seine Reise schon angetreten"
Es wird ruhiger um René Weller. Bis 1998. Der damals 45-Jährige tappt der Polizei bei einem fingierten Rauschgift-Deal in die Falle: Weller versucht fünf Kilogramm Kokain für 400.000 Mark zu kaufen und wird verhaftet. Ein Jahr später das Urteil: Sieben Jahre Gefängnis. Anfang 2003 kommt Weller wegen guter Führung wieder frei - und steht bei "seiner Maria" vor der Tür, der er "20 Jahre nachgelaufen war", wie sie erzählte. Der Macho braucht Halt.
Über verschiedene "Reality-TV"-Formate findet Weller einen Weg zurück in die Promi-Welt, mit Maria nimmt er 2013 an der RTL-Zwei-Show "Promi-Frauentausch" teil, drei Jahre später sind sie im "Sommerhaus der Stars" bei "RTL". Da ist "der schöne René" schon seit ein paar Jährchen unter der Haube.
Im Spätherbst seines Lebens holt Weller das Schicksal vieler ehemaliger Boxer ein. 2014 wird bei ihm Demenz diagnostiziert. "Man selbst merkt wohl am wenigsten, wenn man nicht mehr alle beisammen hat." Sein Satz aus dem "Spiegel"-Interview von 1985 wird für Weller bittere Realität. Um den einstigen deutschen Boxhelden legt sich der Mantel der geistigen Umnachtung. "Mein René hat seine Reise schon angetreten. Er liegt fast nur noch im Bett und schläft sehr viel, erkennt mich meistens nicht mehr. Ich muss ihn füttern. Der Champ spricht kaum, lebt in seiner eigenen Welt. Ich bin im Grunde genommen jetzt schon allein", sagte Maria Weller kurz vor dem Tod ihres Mannes der "Bild"-Zeitung.
Vom vielen Geld ist René Weller wie so vielen guten Boxern kaum etwas geblieben. Laut seiner Frau bezog er zum Ende seiner Tage eine Rente von nur 270 Euro. Ein Platz in einem Pflegeheim sei unerschwinglich, klagte Maria Weller. Sie pflegte ihren dementen Mann zu Hause in Pforzheim, ließ ihn in einem Hospiz auf die Warteliste setzen. Dort zog Weller nicht mehr ein. Der Mann, der das deutsche Boxen fast ein Jahrzehnt im Alleingang relevant hielt, verstirbt am 22. August 2023. René Weller ist tot - und mit ihm ein Stück Sport der Achtziger.
Martin Armbruster