Bei der 3. Ausgabe der European Games in Krakau und Kleinpolen war Skispringen erstmals Teil des Programms. Wie die deutschen Athletinnen und Athleten die Premiere bestritten und welche Hausaufgaben sie bis zum Winter erledigen wollen.
Skispringen Ende Juni ist für die Aktiven selbst längst nichts ungewöhnliches mehr, bei den European Games hingegen schon. Auf Wunsch der Gastgeber in Krakau und Kleinpolen war die Disziplin erstmals Teil des Programms.
Doch neben klassischen Sommersportarten wie Kanu, Leichtathletik oder Fechten wirkten die Wettbewerbe in Zakopane wie ein Fremdkörper.
Zumindest aber die Teilnehmerfelder waren ansprechend, gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die Teams erst vor gut einem Monat wieder mit dem Sprungtraining angefangen hatten, nachdem zuvor der Kraftraum den Alltag bestimmt hatte.
Frauen-Bundestrainer Maximilian Mechler bekundete im Vorfeld, dass "wir die Ergebnisse nicht zu hoch bewerten" würden, obwohl sein Team in Bestbesetzung anreiste.
Mit Selina Freitag holte eine DSV-Springerin sogar eine Medaille, sodass Mechler ihr folgerichtig die beste Frühform attestierte: "Sie hat es sehr gut gemacht, konnte an ihre Trainingsleistungen anknüpfen und wurde mit einer Medaille belohnt."
DSV-Springerinnen haben im Flug noch Reserven
Freitags Bronzemedaille auf der Großschanze stellt vor allem deshalb eine Besonderheit dar, "weil das unsere ersten Großschanzensprünge im Sommer waren", wie der Bundestrainer einordnete.
Eben jene Großschanzen machen im Frauen-Weltcup etwa die Hälfte aller Wettkämpfe aus und sind deshalb in der Trainingsarbeit genauso wichtig. Dort spielt der Absprung, die Paradedisziplin der deutschen Springerinnen, eine untergeordnete Rolle, umso mehr geht es um Flugfähigkeiten.
In diesem Bereich haben die Springerinnen hinter Schmid und Freitag noch Reserven und benennen diese auch. Anna Rupprecht erkannte schon bei der Premiere des Skifliegens im März im Gespräch mit sport.de: "Bei mir fehlt es einfach noch an der fliegerischen Qualität. Da macht es gerade auf den großen Schanzen nicht viel Spaß."
Und es bringt auch weniger Punkte: Im vergangenen Winter holte die Springerin des SC Degenfeld auf Normalschanzen im Schnitt 18 Weltcuppunkte pro Springen (entspricht den Punkten für Rang 14), waren es auf Großschanzen lediglich deren elf (Rang 20). Ähnlich erging es auch ihren Teamkolleginnen Pauline Heßler und Luisa Görlich.
Dass es Mechler und sein Assistent Thomas Juffinger innerhalb eines Sommers hinbekommen können, einer Springerin wortwörtlich Flügel zu verleihen, lässt sich am Beispiel von Selina Freitag wunderbar belegen: Sammelte sie in der Saison 2021/2022 nur sechs Punkte im Schnitt auf Großschanzen, konnte sie diesen Wert zur letzten Saison versechsfachen – und schaffte es so in die Weltspitze.
Im Sommer dazwischen lernte sie, ihren Flug aggressiver zu gestalten und den Winkel zwischen Ski und Körper deutlich zu reduzieren, indem man ihr im Training mehr Anlauf als üblich gab und sie die Schanzen ausspringen ließ.
Katharina Schmid (geborene Althaus) fand unter dem neuen Trainerteam wieder zurück zu alter Stärke, einzig die Konstanz ist bei ihr noch ausbaufähig. Das zeigte sich auch in Zakopane, als sie in beiden Einzelspringen lediglich einen starken Sprung zeigte und deshalb nicht in den Top Ten landete.
DSV-Springer müssen Umstellung schnell meistern – auch neben der Schanze
Damit, dass ihr die Umstellung auf unterschiedliche Schanzen nicht einfach fällt, ist die Oberstdorferin aber nicht alleine. Genau dieses Phänomen zog sich in den letzten beiden Saisons wie ein roter Faden durch fast das gesamte Herren-Team.
Auch bei den Springen in Zakopane, wo mit Philipp Raimund und Constantin Schmid zwei Springer aus der letztjährigen Weltcup-Mannschaft am Start waren, fiel auf, dass erst der letzte Wettkampfsprung der Beste war.
Die löbliche Ausnahme war dabei Raimund, der auf der Normalschanze um einen Punkt an der Medaille vorbeisprang, sich diese auf der Großschanze dann mit Bronze aber noch sichern konnte.
Für den 23-Jährigen ist die Medaille ein schöner Fingerzeig, dass der eingeschlagene Weg der Richtige ist. Denn primär ging es für den Oberstdorfer und seine Teamkollegen darum, Erfahrungen zu sammeln und "schon einmal die olympische Luft zu schnuppern", wie Bundestrainer Stefan Horngacher es formulierte.
"Die arrivierten Athleten", wie Horngacher seine Stars Karl Geiger, Andreas Wellinger und Markus Eisenbichler gerne nennt, "verfolgen weiter ihr Stützpunkttraining. Eisenbichler ist derzeit zudem mit seiner Ausbildung bei der Bundespolizei beschäftigt."
Beschäftigen wird die DSV-Springer und ihre Kontrahenten nun auch das neue Reglement, das im Materialbereich viele Änderungen umfasst.
Felix Hoffmann, der in Zakopane ebenfalls am Start war, erklärte gegenüber sport.de: "Die European Games waren die letzten Wettkämpfe mit altem Material. Nun fokussieren wir uns auf das neue, wo viele Details anders sind: Im Anzugschnitt, am Schuh und auch am Keil im Schuh. Ein paar Einheiten damit haben wir schon gemacht und es fühlt sich definitiv anders an."
Ähnlich wie in der Formel 1 kann auch im Skispringen ein Material-Kniff entscheidende Vorteile bringen, somit gilt es für die DSV-Techniker und -Wissenschaftler gerade im Bereich des Anzugs das Optimum herauszuholen.
So sieht der Fahrplan bis zum Weltcup-Winter aus
Der finale Härtetest vor dem Weltcup-Start wird dann das Sommer-Grand-Prix-Finale am 7. und 8. Oktober in Klingenthal sein, wo das Team bei beiden Geschlechtern in Bestbesetzung antreten wird. Das Springen in der Vogtland Arena ist ein Anhaltspunkt für die Bundestrainer, um die Tickets für den Weltcup zu vergeben. Die endgültige Entscheidung darüber fällt erst nach den Deutschen Meisterschaften Ende Oktober.
Bei den vorherigen Stationen in Courchevel (Frankreich) und Szczyrk (Polen) wird aller Voraussicht nach eine B-Mannschaft am Start sein, die Springen in Rasnov (Rumänien) werden wohl gar nicht besetzt. Erst auf der Normalschanze in Hinzenbach (Österreich) sollen auch Wellinger, Geiger und Co. sich erstmals der Konkurrenz stellen.
Horngacher ist dann auch gefordert, das Team in der Breite bei Laune zu halten. In den vergangenen Saisons hielt er selbst bei sichtbaren Leistungsdefiziten an erfahrenen Springern fest, sodass es für jüngere Springer enorm schwierig wurde, einen Platz im Team zu ergattern.
Verschärft wird diese Thematik nun auch durch den Internationalen Ski- und Snowboardverband (FIS), der den stärksten Nationen zur kommenden Saison einen Startplatz streicht und diesen an kleinere Nationen vergibt.
Hoffmann, der im Frühjahr in Horngachers Trainingsgruppe aufgestiegen ist, bekundete im Gespräch mit sport.de: "Natürlich möchte ich jetzt auch einen Startplatz im Weltcup haben. Die Kürzung macht es nicht leichter, den auch zu bekommen. Aber ich versuche mich im Training und bei den Wettkämpfen anzubieten und dann schauen wir, ob es reicht."
Wie sorgfältig Hoffmann und Co. die Sommer-Hausaufgaben erledigt haben, wird sich also erst im Winter zeigen. Und das unter erschwerten Bedingungen.
Luis Holuch